Nicht wegschauen, sondern handeln
Die Polizei wirbt in Scheidegg für mehr Zivilcourage
SCHEIDEGG - Spätabends in einem Linienbus: Einige Fahrgäste sitzen bereits, als ein angetrunkener Mann einsteigt. Er setzt sich in der hintersten Reihe neben eine Frau, beginnt auf sie einzureden und dann auch, sie anzufassen. Diese Szene spielen Teilnehmer eines Workshops in Scheidegg selbst. Und so stehen sie plötzlich vor der Frage: Was tun in einer solchen Reaktion? Ignorieren und Wegschauen ist der falsche Weg, sagt Hauptkommissar Anton Peter von der Beratungsstelle der Kriminalpolizei Memmingen. Hier ist Zivilcourage gefragt.
Situationen, in denen eigenes Handeln gefragt ist, gibt es häufig: Wenn ein Dieb, einer Frau die Handtasche entreißt und davoneilt. Oder wenn eine Gruppe Halbstarker in der Fußgängerzone einen Mann anpöbelt. Es sind Situationen, in denen viele Passanten sich als Unbeteiligte geben. Dass das nicht richtig ist, ist den rund 50 Teilnehmern des Workshops klar. Zu diesem hatten Frauen-Union und Junge Union im Landkreis eingeladen. Aber wie sieht das richtige Verhalten aus? Mehrfach hören die Teilnehmer an diesem Abend: „Rufen Sie die 110 an.“Den Notruf zu nutzen, sei im Zweifelsfall immer richtig. Je früher, umso besser, um der Polizei die Chance zu geben, möglichst schnell vor Ort zu sein.
Darüber hinaus einzuschreiten setzt aus Sicht der Polizei Rechtssicherheit voraus. In vielen Fällen greift das Recht auf Notwehr durch den Betroffenen und Nothilfe durch einen Dritten. Wer auf einen körperlichen Übergriff, beispielsweise einen Griff an den Po oder Busen, körperlich reagiere, der müsse das angemessen tun, informiert der Polizeibeamte. Doch genau da beginnt die Verunsicherung der Workshopteilnehmer. Gleich mehrfach äußern sie Sorgen, dass Gerichte an diesem Punkt die Zivilcourage einschränken. Und auch Anton Peter warnt davor, nicht zu überreagieren – sonst drohe unter Umständen eine Anzeige aufgrund einer Körperverletzung. Diese Bedenken aus den Reihen der Teilnehmer kann Peter also nicht zerstreuen. Er verweist aber auf die „opfer-freundliche Justiz“in Bayern.
Zulässig sei der Einsatz von Pfefferspray zur Abwehr von Angreifern, stellt Peter fest. Allerdings gilt das nur für in Deutschland zugelassene Sprays. Vom Erwerb eines „kleinen Waffenscheins“und damit zulässiger Waffen rät er hingegen ab. Das könne schnell zu Verwechslungen führen. Vor allem aber: Der Einsatz von Waffen lasse eine Situation oft eskalieren.
Die „kleinen Tricks“helfen
So sind es am Ende vor allem die „kleinen Tricks“, die bei den Teilnehmern gut ankommen. Sich in einem Bus nicht nach hinten und schon gar nicht an den Fensterplatz zu setzen, gehört dazu. Denn so hat ein möglicher Täter nicht die Option, sich direkt neben sein Opfer zu setzen und es am Verlassen des Platzes zu hindern. Außerdem: Menschen, die von einem Täter bedrängt werden, lässt sich häufig helfen, indem man direkt auf sie zugeht und die anspricht – auch wenn man sie eigentlich nicht kennt. Ein „Grüß Dich, schön Dich zu treffen, komm doch mit, wir gehen einen Kaffee trinken“, könne helfen, das Opfer aus der Situation zu holen, so Peter. Wer sich allein mehreren Tätern gegenüber sieht, die beispielsweise ihr Opfer bedrängen, sollte andere Unbeteiligte zu Beteiligten machen und sie aktiv ansprechen und zur Hilfe auffordern. Sinnvoll könne es auch sein, Fotos der Situation zu machen und diese Fotos der Polizei für ihre Ermittlungsarbeit zur Verfügung zu stellen. Allerdings: „Diese Bilder in Facebook zu posten, geht natürlich gar nicht“, ergänzt Peter.