Lindauer Zeitung

Nicht wegschauen, sondern handeln

Die Polizei wirbt in Scheidegg für mehr Zivilcoura­ge

- Von Olaf Winkler

SCHEIDEGG - Spätabends in einem Linienbus: Einige Fahrgäste sitzen bereits, als ein angetrunke­ner Mann einsteigt. Er setzt sich in der hintersten Reihe neben eine Frau, beginnt auf sie einzureden und dann auch, sie anzufassen. Diese Szene spielen Teilnehmer eines Workshops in Scheidegg selbst. Und so stehen sie plötzlich vor der Frage: Was tun in einer solchen Reaktion? Ignorieren und Wegschauen ist der falsche Weg, sagt Hauptkommi­ssar Anton Peter von der Beratungss­telle der Kriminalpo­lizei Memmingen. Hier ist Zivilcoura­ge gefragt.

Situatione­n, in denen eigenes Handeln gefragt ist, gibt es häufig: Wenn ein Dieb, einer Frau die Handtasche entreißt und davoneilt. Oder wenn eine Gruppe Halbstarke­r in der Fußgängerz­one einen Mann anpöbelt. Es sind Situatione­n, in denen viele Passanten sich als Unbeteilig­te geben. Dass das nicht richtig ist, ist den rund 50 Teilnehmer­n des Workshops klar. Zu diesem hatten Frauen-Union und Junge Union im Landkreis eingeladen. Aber wie sieht das richtige Verhalten aus? Mehrfach hören die Teilnehmer an diesem Abend: „Rufen Sie die 110 an.“Den Notruf zu nutzen, sei im Zweifelsfa­ll immer richtig. Je früher, umso besser, um der Polizei die Chance zu geben, möglichst schnell vor Ort zu sein.

Darüber hinaus einzuschre­iten setzt aus Sicht der Polizei Rechtssich­erheit voraus. In vielen Fällen greift das Recht auf Notwehr durch den Betroffene­n und Nothilfe durch einen Dritten. Wer auf einen körperlich­en Übergriff, beispielsw­eise einen Griff an den Po oder Busen, körperlich reagiere, der müsse das angemessen tun, informiert der Polizeibea­mte. Doch genau da beginnt die Verunsiche­rung der Workshopte­ilnehmer. Gleich mehrfach äußern sie Sorgen, dass Gerichte an diesem Punkt die Zivilcoura­ge einschränk­en. Und auch Anton Peter warnt davor, nicht zu überreagie­ren – sonst drohe unter Umständen eine Anzeige aufgrund einer Körperverl­etzung. Diese Bedenken aus den Reihen der Teilnehmer kann Peter also nicht zerstreuen. Er verweist aber auf die „opfer-freundlich­e Justiz“in Bayern.

Zulässig sei der Einsatz von Pfefferspr­ay zur Abwehr von Angreifern, stellt Peter fest. Allerdings gilt das nur für in Deutschlan­d zugelassen­e Sprays. Vom Erwerb eines „kleinen Waffensche­ins“und damit zulässiger Waffen rät er hingegen ab. Das könne schnell zu Verwechslu­ngen führen. Vor allem aber: Der Einsatz von Waffen lasse eine Situation oft eskalieren.

Die „kleinen Tricks“helfen

So sind es am Ende vor allem die „kleinen Tricks“, die bei den Teilnehmer­n gut ankommen. Sich in einem Bus nicht nach hinten und schon gar nicht an den Fensterpla­tz zu setzen, gehört dazu. Denn so hat ein möglicher Täter nicht die Option, sich direkt neben sein Opfer zu setzen und es am Verlassen des Platzes zu hindern. Außerdem: Menschen, die von einem Täter bedrängt werden, lässt sich häufig helfen, indem man direkt auf sie zugeht und die anspricht – auch wenn man sie eigentlich nicht kennt. Ein „Grüß Dich, schön Dich zu treffen, komm doch mit, wir gehen einen Kaffee trinken“, könne helfen, das Opfer aus der Situation zu holen, so Peter. Wer sich allein mehreren Tätern gegenüber sieht, die beispielsw­eise ihr Opfer bedrängen, sollte andere Unbeteilig­te zu Beteiligte­n machen und sie aktiv ansprechen und zur Hilfe auffordern. Sinnvoll könne es auch sein, Fotos der Situation zu machen und diese Fotos der Polizei für ihre Ermittlung­sarbeit zur Verfügung zu stellen. Allerdings: „Diese Bilder in Facebook zu posten, geht natürlich gar nicht“, ergänzt Peter.

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FOTO: OLAF WINKLER Kriminalha­uptkommiss­ar Anton Peter von der Beratungss­telle der Polizei Memmingen (Mitte) spielt mit den WorkshopT-eilnehmern eine Szene in einem Bus nach, in der Zivilcoura­ge gefragt ist.

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