Die Spur führt zum IS
Anschlag auf Sinai: Ägypten reagiert mit Luftangriffen
KAIRO (dpa/epd) - Nach dem Anschlag auf eine Moschee auf dem Sinai mit mehr als 300 Toten haben die Ermittler Mitglieder der Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) als Verdächtige ausgemacht. Die ägyptische Regierung reagierte mit militärischer Härte. Fahrzeuge, Verstecke und Waffenlager von Verdächtigen seien bei Luftangriffen zerstört worden, sagte ein Armeesprecher. Laut staatlichen Medien wurden dabei auch Drahtzieher des Attentats getötet.
Ein Ableger desdschih ad istischenIS hatte inder Vergangenheit immer wieder Anschläge auf dem Sinai verübt, vor allem gegen Sicherheitskräfte. Im vergangenen Jahr reklamierte die Gruppe aber auch Anschläge auf diekoptisc he Minderheit unter anderem in Kairo und Alexandria für sich.
Aus Solidarität mit den muslimischen Opfern läuteten am Samstagmittag die Glocken der koptischen Kirchen in Ägypten.
JERUSALEM/KAIRO - Die Reaktion der Armee auf den schlimmsten Anschlag der jüngeren Geschichte Ägyptens folgt prompt – und nach bekanntem Muster. Kaum hat Präsident Abdel Fattah al-Sisi in einer Fernsehansprache eine „harte Antwort“auf den Angriff auf eine Moschee im Norden der Sinai-Halbinsel und „Vergeltung für unsere Märtyrer“angekündigt, da sind schon Kampfflugzeuge in der Luft.
Mindestens 305 Menschen starben am Freitag bei dem Anschlag in der kleinen Ortschaft Bir al-Abed, rund 40 Kilometer westlich der Provinzhauptstadt al-Arisch. Die Angreifer kamen mit Pick-up-Trucks zur al-Rawdah-Moschee. Es sei ein leichtes Ziel gewesen, heißt es aus Sicherheitskreisen, weit entfernt der großen Städte. Als die Gläubigen nach ersten Explosionen aus der Moschee flüchten wollen, nehmen zwischen 25 und 30 Angreifer die Menschen unter Beschuss.
Nur wenige Stunden nach dem Anschlag verkündet der Sprecher der Streitkräfte, dass zahlreiche Tatverdächtige und Verstecke der Islamisten ausgeschaltet worden seien. Dazu verbreitet er Schwarz-WeißBilder, die diverse Raketeneinschläge mitten in der Wüste zeigen.
Ob es sich um aktuelle Bilder handelt, lässt sich nicht überprüfen. Denn der Norden des Sinai ist größtenteils militärisches Sperrgebiet, die Informationslage ist dünn. Die ägyptischen Streitkräfte führen hier schon seit Jahren mit Panzern und Kampfjets einen Krieg gegen mutmaßliche Islamisten. Doch statt damit die Lage unter Kontrolle zu bringen, eskaliert die Gewalt immer mehr.
Vakuum im ganzen Land
Die politische Analystin Sahar Aziz führt die Sicherheitskrise auf der Sinai-Halbinsel auf eine Mischung aus übereifrigem und rücksichtslosem Vorgehen der Sicherheitskräfte sowie Armut und politische Vernachlässigung der Region durch die Regierung in Kairo zurück. Seit 2011, nach Beginn des sogenannten Arabischen Frühlings, seien Hunderte, wenn nicht Tausende Soldaten, Zivilisten und Islamisten in dem Konflikt zwischen Sicherheitskräften und Terrorgruppen getötet worden, schreibt Aziz in einer Analyse der US-Denkfabrik Brookings. „Der Aufstand 2011 hat ein politisches Vakuum im ganzen Land geschaffen, das die Situation auf dem Sinai weiter destabilisiert hat.“
Obwohl sich zunächst keine Gruppe zu dem Anschlag auf die Moschee bekannt hat, rückt die Terrormiliz „Islamischer Staat“(IS) in den Fokus. Kurz nach der Tat distanzierte sich selbst ein lokaler Ableger des Terrornetzwerks al-Kaida von dem „Massaker“. Die Angreifer hätten die schwarzen Fahnen des IS bei sich getragen, erklärte die ägyptische Staatsanwaltschaft. Der IS im Sinai reklamierte in der Vergangenheit immer wieder Anschläge für sich. Zuletzt gerieten nicht nur Sicherheitskräfte ins Visier der Attacken.
Auch israelische Sicherheitsexperten finden deutliche Worte zum Versagen der ägyptischen Terrorprävention. „Die Ineffizienz der ägyptischen Streitkräfte schreit zum Himmel“, schrieb Amos Harel in „Haaretz“. Dies sei umso fataler, gerade weil IS-Veteranen nach ihren Niederlagen im Irak und in Syrien im Sinai ein Refugium suchten. Israelische Geheimdienstler prägten bereits den Begriff „IS 2.0“für deren neue Terrorstrategie, die sich auf ein „virtuelles Kalifat“stütze und nicht auf ein fest umrissenes Gebiet. Die Israelis jedenfalls sehen mit Sorge, dass sich oben an der Nordgrenze proiranische Kräfte wie die Hisbollah massieren könnten und unten im Süden, jenseits der über hundert Kilometer langen Grenze zum Sinai, mehr und mehr kampferprobte IS-Krieger.
Auch auf die Palästinenser in Gaza hat der Anschlag im Sinai negative Folgen. Aus der für Samstag angekündigten Öffnung des Grenzübergangs in Rafah zur ägyptischen Halbinsel wurde nichts. Kairo habe mitgeteilt, dass Rafah wegen der Geschehnisse im Sinai zubleiben müsse, teilen offizielle Stellen in Gaza mit. Das Aussetzen weckt neue Zweifel am Gelingen des innerpalästinensischen Versöhnungsprozesses, der sich vor allem daran festmacht, den abgeriegelten Gazastreifen aus der Isolation zu führen. Erst vor wenigen Wochen hatten die Grenzschützer der Autonomiebehörden in Ramallah die Hamas-Polizei an den Kontrollposten in Gaza abgelöst. Gespräche über das künftige Prozedere gerieten vergangene Woche in Kairo ins Stocken.
Gaza als Rückzugsgebiet
Das Motiv der ägyptischen Regierung, zwischen den rivalisierenden Organisationen der gemäßigten Fatah und der islamistischen Hamas zu vermitteln, hat dabei primär mit eigenen Sicherheitsinteressen zu tun. Kairo geht es darum zu verhindern, dass Gaza ein Rückzugsgebiet für Terroristen werden könnte. So wurde schon öfters der Verdacht geäußert, verletzte IS-Kämpfer seien über Tunnelwege zur Behandlung nach Gaza geschleust worden. Tatsächlich gibt es in dem palästinensischen Küstenstreifen einige Hundert mit dem IS sympathisierende Salafisten. Die Hamas-Führung jedoch legt seit geraumer Zeit größten Wert auf gute Beziehungen zum ägyptischen Regierungs- und Geheimdienstapparat.