Städte wollen Sicherheitsgefühl im Nachtleben wieder herstellen
Frauen werden bald mit einer Kampagne in Tübingen ermuntert, sich gegen sexuelle Belästigung zu wehren – Ähnliche Ideen in anderen Kommunen
TÜBINGEN (lsw) -„Liebe Mädels, lasst Euch nichts gefallen! Bei Belästigung aller Art stehen wir Euch bei!“, steht auf einem großen Schild auf der Toilette im Tübinger Club Butterbrezel. Seit zwei Jahren gab es immer mehr Beschwerden wegen Belästigung, wie Geschäftsführer und Türsteher Sascha Gschwind aus eigener Erfahrung berichtet. Deshalb ermutigt der Club seine Gäste bereits dazu, sich in so einem Fall zu melden – und macht jetzt bei einer Kampagne für mehr Sicherheit im Tübinger Nachtleben mit.
Ein ähnlich spezielles und flächendeckendes Programm in Zusammenarbeit mit der Gastronomie gibt es noch in keiner baden-württembergischen Stadt, wie eine Umfrage der Deutschen Presse-Agentur (dpa) ergab hat. Rund 30 Tübinger Gastronomen arbeiten dafür mit der Polizei, der Stadtverwaltung, einer Anlaufstelle für sexuelle Gewalt sowie dem örtlichen Netzwerk Antidiskriminierung zusammen.
Wer sich in einer Tübinger Kneipe oder einem Club sexuell belästigt, rassistisch angegriffen oder anderweitig angegangen fühlt, soll sich künftig mit einem speziellen Satz an das Thekenpersonal wenden können. „Es wird das Codewort geben, damit man nicht über die Theke schreien muss: Hallo, ich wurde gerade sexuell belästigt“, erklärte die erste Bürgermeisterin Christine Arbogast am Montag bei der Kampagnenvorstellung. Das Codewort solle die Hemmschwelle senken. „Ich bin überzeugt, dass die Dunkelziffer bei diesen Straftaten immer noch hoch ist.“
Wie das Codewort genau lautet, wird erst zum Startschuss der Kampagne Anfang 2018 bekanntgegeben. Die Tübinger haben sich dabei an einer Initiative des Frauen-Notrufs Münster orientiert, der die Frage „Ist Luisa hier?“festgelegt hat, um Belästigung diskret mitzuteilen.
Warum die Kampagne nötig geworden ist, erklären die Beteiligten unterschiedlich. Gschwind vom Club Butterbrezel hat den Eindruck, dass junge Leute aggressives und respektloses Verhalten in sozialen Internet-Netzwerken zunehmend im realen Leben an den Tag legen.
Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer stellte in der Vergangenheit bereits in einem FacebookBeitrag den Zusammenhang her, dass sich das Sicherheitsgefühl von Frauen in Tübingen aufgrund der Anzahl der von Geflüchteten begangenen Sexualstraftaten in der Stadt verändert habe. Der Tübinger Polizeirevierleiter, Martin Zerrinius, sagte bei der Kampagnenvorstellung, es gebe bei Sexualstraftaten in Tübingen keine Schwerpunkte bezüglich Tatort oder Herkunft der ermittelten Täter. „In Tübingen lebt es sich sicher.“Im Nachtleben werden seinen Angaben zufolge oft Gruppen aus dem Tübinger Umland auffällig, die zum Feiern in die Stadt kommen und sich betrinken. Von der Kampagne könne auch eine abschreckende Wirkung für potenzielle Täter ausgehen.
Laut baden-württembergischer Kriminalstatistik gab es 2016 insgesamt 5406 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, 1,2 Prozent weniger als im Vorjahr (5474). Die Zahl der Nichtdeutschen Tatverdächtigen ist von 1070 auf 1313 Fälle gestiegen, wobei bei den Herkunftsländern unverändert die Türkei an erster Stelle steht, neuerdings gefolgt von Afghanistan und Syrien.
Thema steht im Fokus
Lea Goetz vom Frauen-Notruf Münster hat eine andere Erklärung für die Notwendigkeit ihrer Kampagne: „Durch viele gesellschaftliche Diskussionen ist sexuelle Gewalt in den Fokus gerückt“, sagte sie am Montag der dpa. Als Beispiel nennt sie die unter dem Hashtag „metoo“geführte Debatte nach Bekanntwerden von Missbrauchsvorwürfen gegen den amerikanischen Filmproduzenten Harvey Weinstein. Dadurch werde erst klar, wie alltäglich das Problem sexueller Belästigung für Frauen sei.
In der Tübinger Gastronomie werden bis Februar 300 Gastronomie-Mitarbeiter geschult. Auch in Karlsruhe sieht die Stadtverwaltung Bedarf für ein solches Konzept und führt derzeit erste Gespräche. Die Stadt Freiburg plant nach eigenen Angaben ebenfalls den Ausbau von Prävention mit Betreibern von Bars und Nachtclubs. Nach Angaben des Frauen-Notrufs Münster wurde schon aus Freiburg, Heidelberg, Mannheim und Stuttgart Interesse an einer Adaption des Konzepts gezeigt.
Vielerorts wurden schon Ideen für einen sicheren Heimweg umgesetzt. Die Rhein-Neckar-Verkehr GmbH in Mannheim lässt Fahrgäste nachts auf Wunsch auch zwischen regulären Bushaltestellen aussteigen, um einen längeren Heimweg zu vermeiden. Frauennachttaxis mit vergünstigten Fahrpreisen, die es in Heidelberg bereits gibt, starten am 10. Dezember auch in Freiburg.
In Freiburg ist auch der Ausbau von Videoüberwachungen an Kriminalitätsschwerpunkten geplant. Auslöser für die Maßnahmen waren nächtliche Übergriffe auf Frauen in Diskotheken und auf der Straße. Zudem sorgte der Sexualmord an einer 19 Jahre alten Studentin im Oktober vergangenen Jahres für Debatten um die Sicherheit in der Stadt.