Kreis betreut mehr minderjährige Flüchtlinge als geplant
Ein Drittel lernt immerhin einen Beruf – Nicht nur dafür ist Deutschunterricht ein wichtiger Faktor
LINDAU (ee) - Geht es nach der geltenden Verteilquote, müsste sich der Landkreis Lindau nur um gut 50 sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge kümmern. Tatsächlich jedoch betreut der Kreis fast doppelt so viele Jugendliche mit ausländischen Wurzeln. Das bedeutet fürs Jugendamt, aber auch andere Fachbereiche des Landratsamtes, einiges an Arbeit, wie Jugendamtsleiter Jürgen Kopfsguter im Jugendhilfeausschuss verdeutlichte. Immerhin gibt es einen Lichtblick: Jeder dritte jugendliche Flüchtling hat inzwischen eine Lehrstelle.
Polizeibeamte haben in den ersten zehn Monaten dieses Jahres 114 junge Flüchtlinge aufgegriffen, die ohne erwachsene Verwandte über eine der Lindauer Grenzen nach Deutschland gekommen sind. 82 davon mussten „vorläufig in Obhut” genommen werden, wie es im Amtsdeutsch heißt, weil sie noch keine 18 Jahre alt waren. Zwar gibt es inzwischen eine Regel, nach der die jungen Ausländer bundesweit verteilt werden. Doch es gibt dabei auch ein Aber – eine Weiterreise gilt als nicht möglich, wenn Kindeswohl oder der Gesundheitszustand dem entgegenstehen. Und Kopfsguter weiß: Die Flucht hinterlässt Spuren, körperlich wie seelisch. Das führt dazu, dass „diese jungen Menschen in der Regel einen überdurchschnittlich hohen Betreuungsbedarf” hätten.
Dass dennoch rund ein Drittel der momentan 95 jungen Flüchtlinge, die das Jugendamt betreut, eine Ausbildung begonnen haben, bewertete Jugendamtsleiter Jürgen Kopfsguter im Jugendhilfeausschuss als „sehr positiv“. Wenngleich ihm und seinen Kollegen bewusst ist: Längst nicht jeder der noch minderjährigen Flüchtlinge wird seine Ausbildung auch abschließen. Als Gründe sieht Kopfsguter körperliche und psychische Probleme genauso wie schulische Defizite.
Die Schulbildung der jungen Flüchtlinge ist sehr unterschiedlich
Letzteres bestätigte auch Berufsberaterin Alexandra Drechsel, die beratendes Mitglied im Ausschuss ist. Sie und ihre Kollegen kümmern sich auch bei den minderjährigen Flüchtlingen um den Übergang Schule-Beruf und einen guten Start in die Ausbildung.
Nach Drechsels Erfahrungen ist der schulische Wissensstand bei den unbegleiteten Flüchtlingen aber „sehr unterschiedlich“. Auf der einen Seite habe sie junge Syrer als „sehr karriereorientiert“erlebt, die oftmals in ihrer Heimat schon eine weiterführende Schule besucht hätten, bevor sie nach Deutschland flüchteten. Und die den erklärten Willen hätten, hier unbedingt beruflich Fuß zu fassen. Bei jungen Afghanen sei die Situation oft ganz anders – denn diese zumeist jungen Männer hätten manchmal sogar noch nie in ihrem Leben eine Schule besucht. „Das ist schon ein sensibler Bereich“, gestand Drechsel ein: Berufsberatung bei Flüchtlingen sei immer ein Abtasten unter dem Motto „was willst du, was kannst du“.
Als wichtiger Faktor gilt aber auch die Sprache. „Handwerkliche Fähigkeiten können angeeignet werden”, sagte Kopfsguter. Deutsch zu lernen, betrachten die Fachleute als „wohl entscheidenden Faktor für eine gelungene Integration”. Denn für Bindung, Vertrauen und Kommunikation seien Deutschkenntnisse „elementar”. Und deswegen achte das Jugendamt nicht nur bei alleinreisenden Jugendlichen, sondern auch bei den Kindern asylsuchender Familien darauf, dass diese frühzeitig Deutsch lernen – ob in Rockzipfelgruppen oder im Kindergarten.