Die Unruhestiftung
Der Riedlinger Künstler Wolf Kalz steht wegen rechter Schriften in der Kritik – Die Stiftungsarbeit mit der Stadt ist nun aufgekündigt
RIEDLINGEN - Für Wolf Kalz ist es eine Frage der Ehre. Der Riedlinger hat eine Stiftung ins Leben gerufen, um Kunst und Kultur in Riedlingen zu fördern und sein Kunstvermächtnis zu pflegen. Die Stiftung wird von der Stadt unterstützt. Doch der Mann ist nicht nur Künstler, sondern auch Autor politischer Schriften, in denen Demokratie, Menschenrechte, Toleranz und Frauenrechte verhöhnt werden. Kann man Künstler und Stiftung vom Autor trennen? Die Stadt Riedlingen hat den Spagat versucht, doch dagegen rührte sich Widerstand. Mit einem fraktionsübergreifenden Antrag wollten Räte den Rückzug der Stadt aus der Stiftung erzwingen. Und was will Kalz selbst? Er will vor allem eines: seine Stiftung retten. Doch die Luft wurde zusehends dünner. Daher hat er nun mit sofortiger Wirkung die Zusammenarbeit mit der Stadt bei der Stiftung aufgekündigt, bevor der Gemeinderat darüber befindet.
Wolf Kalz erfährt dieser Tage große Aufmerksamkeit. Das war lange Zeit nicht so. Bereits 2010 hat der anerkannte Künstler eine Stiftung ins Leben gerufen, die die Förderung von „Kunst und Kultur der Stadt“als Zweck benannt hat und auch „das künstlerische Werk des Stifters zu pflegen und zu bewahren“. Zur Stiftung gehören vor allem seine Plastiken, aber zum damaligen Zeitpunkt auch seine bis dahin erschienenen Bücher und Schriften. Doch die hatte keiner im Blick, von daher erschien der Kunstzweck unverdächtig. Dementsprechend wurde die Stadt ins Boot genommen, der Gemeinderat hat zugestimmt. Der Bürgermeister ist kraft Amtes Mitglied im Stiftungsbeirat. Und im Rathaus im ersten Obergeschoss sind die Bronzeplastiken des mittlerweile 84-jährigen ausgestellt.
Keine Dienstaufsichtsbeschwerde
Dass der langjährige Lehrer am Kreisgymnasium Riedlingen politisch am rechten Rand steht, war in der Stadt allerdings bekannt. Generationen von Schülern können dies bestätigen. Aber der hochgebildete Oberstudienrat wusste dies so weit zu trennen, dass keine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen ihn bekannt geworden wäre.
In seinen Büchern wurde er viel deutlicher. Vor allem in seinem jüngsten Buch „Das entfesselte Gute“, das er 2012 – also nach Stiftungsgründung – erstmals veröffentlicht hat und das 2017 in einer „verbesserten Auflage“im Federsee-Verlag erschienen ist. Darin beklagt er eine „kulturelle Endzeit des Abendlandes“. In 1949 scharfzüngigen Aphorismen seziert er die – aus seiner Sicht – Denk- und Handlungsfehler dieser Zeit. Dabei bewegt er sich weit vom gesellschaftlichen Mainstream ins rechte Lager hinein. Er spricht von „demokratischen Staatsterroristen“, vom Ludergeruch der Demokratie, der bei der „Verwesung der Völker“entsteht, oder dass „Weltfriede, Liberalismus, Toleranz, Menschenrechte, Humanität, Solidarität – allesamt Sterbensvokabeln morsch gewordener Völker“seien. Aber er redet auch der Eugenik hin zur „reinen Rasse“das Wort.
„Unformen der Freiheit“
Ob Liberalismus, Christentum, Kapitalismus, Bankmanager, EU-Bürokraten – Kalz watscht sie in seiner Analyse der derzeitigen Lage der Nation alle ab. Er spricht von „Unformen der Freiheit“, von einer verordneten Willkommenskultur, die die Umvolkung im Schilde führe. Nach seiner Lesart fehlt es an Führung und an gemeinsamen Werten. Werte, die nicht die westlichen Werte sind, denn „denen ist nicht zu trauen“, wie er schreibt.
Kalz weiß, dass er mit diesen rechten Sprüchen provoziert. Dass er sich weit jenseits des gesellschaftlichen Konsens befindet. Es seien die Einsichten eines Außenseiters, beschreibt er es selbst. Und in seinem Nachwort beugt er mit seinen Einlassungen über den Aphorismus der Kritik bereits vor. „Insofern unsere Epoche jeder Beschreibung spottet, bleibt nebst der Poesie der Aphorismus die einzige Weise, sich deren Irrsinn von der Seele zu schreiben“, heißt es dort. Und: „Der Aphorismus geht auf Wahrheit aus. Er will anregen, erregen, aufregen. Er ist weder rücksichtsvoll noch höflich. Weshalb man mit Aphorismen selten Leser und noch seltener Freunde gewinnt.“
So harsch Kalz in diesem Buch ist, so verbindlich gibt er sich im Gespräch. Umgeben von Kunstbüchern, Gemälden an der Wand, von eigenen Plastiken und jenen von Gerold Jäggle, wird erkennbar, weswegen Kalz etwa bei seinen Rotarierfreunden so geachtet ist: Er ist der gebildete Intellektuelle, der über Kunst und den Kunstbetrieb vortrefflich parlieren kann. Mit eher leiser Stimme spricht er zu seinem Gegenüber. Lässt Pausen, wägt Worte ab.
Er wehrt sich dagegen, im ganz rechten Lager verortet zu werden: „Ich will nicht als Rechtsradikaler eingestuft werden; als eigensinnig sehr wohl, auch als rechtskonservativ“, so Kalz. Er distanziert sich von Neonazis mit Springerstiefeln und Glatzen. Für diese „glatzköpfigen Neonazis, die sich für konservativ halten“, hat Kalz nur Verachtung übrig. Er bezeichnet sich lieber als nationalkonservativ. Einer der einer konstitutionellen Monarchie das Wort redet.
Kalz ist 1933 in Halberstadt im Harz geboren. Er flüchtete 1945 mit seinen Eltern in die Oberpfalz, wo er nach dem Abitur eine Lehre als Industriemechaniker absolvierte. Doch er wollte mehr und studierte hernach auf Lehramt Politik, Geschichte, Germanistik und auch Theologie. Von 1967 bis 1970 unterrichtete er am deutschen Gymnasium in Santiago de Chile, schrieb über die südamerikanische Politik in deutschen Zeitungen. Bei seiner Rückkehr wollte er näher zu seiner Mutter ins Süddeutsche, aufs Land und er lässt sich in Riedlingen nieder. „Donau, Alb, Flugplatz, Tennis – da war für alles gesorgt. Wir fanden es hübsch“, und sie blieben.
Damals hat er als Lehrer einen Eid auf die Verfassung geschworen. Ob er den guten Gewissens auch heute leisten würde? Kalz schweigt, lange. „Das ist die Gretchenfrage“, sagt er. „Das könnte ich ganz einfach mit Ja beantworten, dann wäre ich allen Ärger los“, fährt er fort – um dann zum Schluss zu kommen: „Natürlich, mit demselben Gewissen, mit dem die Kanzlerin geschworen hat, das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes zu verteidigen.“
Kalz, der fast drei Jahrzehnte CDU-Mitglied war, bezeichnet sich als „preußisch gesonnen“. In seinem Wohnzimmer hängt der „Alte Fritz“an der Wand. Die Sekundärtugenden hält er hoch, Disziplin etwa, aber nicht Obrigkeitshörigkeit. Dafür ist ihm der Begriff der Ehre wichtig. Und nun geht es ihm auch um die Ehre, um die Ehre seiner Stiftung. Wolf Kalz
Denn Wolf Kalz erhält Gegenwind. Ein Münchner Unternehmer, Rainer Thiemann, stieß auf die Schriften von Kalz und ließ daraufhin beim Regierungspräsidium prüfen, ob die Stiftung dem Gemeinwohl entspreche. Damit trat er einen Stein los, der inzwischen mächtig ins Rollen geraten ist. Eine Folge davon: Im Frühjahr wurde das literarische Werk von Wolf Kalz, das rund zehn Bücher und einen umfangreichen Briefwechsel umfasst, aus der Stiftung rausgenommen.
Die Stadt Riedlingen hat lange versucht, das Thema unter dem Deckel zu halten. Die Diskussionen wurden monatelang nicht öffentlich geführt. Als Begründung, dass die Öffentlichkeit nicht informiert wurde, verweist Bürgermeister Marcus Schafft darauf, dass durch die Diskussion die berechtigten Interessen Einzelner betroffen gewesen seien. Im Kern ging es jedoch um die Haltung der Stadt zur Kalz-Stiftung.
Einen Ausstieg der Stadt aus der Kunststiftung hat der Bürgermeister nicht forciert, auch wenn er persönlich die Ansichten von Wolf Kalz klar ablehnt. „Ich habe Dr. Kalz meine Meinung deutlich formuliert“, so Schafft. Die Stadt sieht er durch Veröffentlichungen zum Thema zu Unrecht s an den Pranger gestellt. Riedlingen habe sich mit seiner nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandergesetzt: Stolpersteine wurden verlegt, an den Häusern ehemaliger jüdischer Bewohner sind Plaketten angebracht; die frisch sanierte Aula der Grundschule nach einem von den Nazis verfemten Künstler benannt. Und in der Gegenwart hat die Stadt sich der Aufnahme von Flüchtlingen stark engagiert und deutlich mehr Menschen in die Stadt geholt als andere.
Warum die Stadt dann in der Stiftung verbleibt und die Kalz-Dauerausstellung im Rathaus belässt? Schafft zieht sich auf einen formalen Standpunkt zurück. Er verweist auf Prüfungen der Regierungsbehörde und der Staatsanwaltschaft. Danach gefährdet die Stiftung das Gemeinwohl nicht und es liegt auch keine Volksverhetzung vor „... trotz teils provokanter, hetzerischer und verschwörungstheoretischer Ansätze“, wie Oberstaatsanwalt Karl-Josef Diehl schreibt. Damit sieht Schafft keine Handhabe, sich aus der Stiftung zu verabschieden, solange der Gemeinderat dies nicht beschließt. Vorschlagen wollte er dies von sich aus aber auch nicht.
Andere haben diesen Schritt gemacht, das Umfeld von Kalz hat sich teilweise abgewandt. Selbst langjährige Rotarierfreunde haben sich zurückgezogen. So wie Riedlingens Ehrenbürger Winfried Aßfalg. Der renommierte Lokalhistoriker und Kunstexperte war von Beginn an Beiratsmitglied der Kalz-Stiftung. Nun hat er einen Schnitt gemacht und Ende November seinen Rücktritt aus dem Gremium erklärt.
Auch der Leiter des Kreisgymnasiums (KGR), Georg Knapp, hat sich aus dem Beirat zurückgezogen, ebenso sein Stellvertreter Anton Hepp. Knapp legt Wert auf die Feststellung, dass er nicht als Person im Beirat war, sondern in seiner Funktion als Schulleiter des KGR. Das sei in der Satzung so verfügt. Er widerspricht der Behauptung in einem Artikel des Veranstaltungsmagazins „Blix“, wonach das Regierungspräsidium Tübingen eine „Brandmauer“eingezogen hätte und die beiden Schulleiter angehalten hätte sich aus dem Beirat zurückzuziehen. Wahr sei hingegen: Er habe bereits im vergangenen Jahr seinen Rückzug wegen der politischen Haltung von Kalz angekündigt. Doch ohne einen Kandidaten, der in den Beirat nachrücken wollte, habe er nicht aussteigen können. Und selbst einen Nachfolger zu suchen, sei ja wohl nicht seine Aufgabe.
Verleger stützt Kalz
Inzwischen sind weitere Familienmitglieder in den Vorstand nachgerückt. Auch Rechtsanwalt und Rotary-Mitglied Armin Schneider aus Biberach ist in den Vorstand eingetreten. Dem gehört zudem Christopher Selg aus Riedlingen als Kassier an.
Verleger und Verlag von Kalz stärken dem Autor hingegen den Rücken. August Sandmaier (jr.) vom Federseeverlag Bad Buchau verweist auf die Meinungsfreiheit, „das muss eine Demokratie aushalten“, sagt er. Sein Vater, Verleger August Sandmaier, sieht den Inhalt von „Das entfesselte Gute“in erster Linie als „bewusste Provokation“. Aber das sei das Wesen des Aphorismus. Im Übrigen glaubt er an eine gezielte Kampagne gegen den 84-Jährigen.
Am Montag, 18. Dezember, hätte es nun im Gemeinderat Riedlingen zum „Showdown“kommen sollen – zur Abstimmung darüber, ob die Stadt sich aus der Stiftung zurückzieht und sich damit auch von der Person Wolf Kalz distanziert. In einem fraktionsübergreifenden Antrag, der vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Jörg Boßler und von Roland Uhl (Grüne Liste) unterschrieben wurde, wird eine Kündigung der Mitgliedschaft in der Stiftung und ein Ende der Zusammenarbeit gefordert.
„Ich will nicht als Rechtsradikaler eingestuft werden; als eigensinnig sehr wohl, auch als rechtskonservativ.“
Schreiben an die Räte
Doch Kalz ist dem nun zuvorgekommen und hat von sich aus die Zusammenarbeit aufgekündigt. Zuvor hat er sich bei den Räten mit einem Schreiben gemeldet. Er kämpfte um den Fortbestand der Stiftung, um die Zusammenarbeit mit der Stadt. Er hat an die Gemeinderäte eine „Bekanntmachung“weitergegeben, in der er seine Sicht erläutert. Auch er spricht von einer Kampagne, die 2015 ihren Lauf genommen habe. Ziel sei es gewesen, ihn als „als einen rechtsradikalen Unhold zum Fürchten“darzustellen.
Auch Kalz verweist darin nochmals auf die Prüfung durch das Regierungspräsidium und betont: „So gesehen, sind von den Trägern der Kampagne gegen mich Potemkinsche Dörfer aufgebaut worden, um mich vor der Bürgerschaft zu diskreditieren und mich bösartig um nicht unerhebliche Teile meines Lebenswerks bringen zu wollen“. Er sei in beleidigender, ehrenrühriger Weise angegriffen worden. Es ist eben eine Frage der Ehre.