Strobl und Söder lassen SPD abblitzen
Viele Sozialdemokraten, auch Südwest-Chefin Leni Breymaier, wollen aber nachverhandeln
BERLIN/STUTTGART - Mit zahlreichen Forderungen nach Nachbesserungen am Sondierungsergebnis für eine neue Große Koalition hat die SPD bei der Union für Verärgerung gesorgt. Eine Woche vor dem SPDParteitag in Bonn, der für den Start von Koalitionsverhandlungen entscheidend ist, lieferten sich Spitzenpolitiker von CSU und SPD einen verbalen Schlagabtausch. Bei der ersten Abstimmung an der SPD-Basis über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen siegten die Gegner. Ein Juso-Antrag bekam bei einem SPD-Landesparteitag in Sachsen-Anhalt eine knappe Mehrheit.
Die SPD lässt am 21. Januar erstmals einen Bundesparteitag über die Aufnahme förmlicher Koalitionsverhandlungen entscheiden. Obwohl sich auch frühere Kritiker positiv zu den Sondierungsergebnissen geäußert hatten, ist nach wie vor offen, ob es in Bonn grünes Licht gibt. Macht der Parteitag den Weg frei, stimmen am Ende noch die Parteimitglieder über den Koalitionsvertrag ab. Auch hierbei könnte die Fortsetzung von Schwarz-Rot noch scheitern.
Die Nachbesserungsforderungen der SPD betreffen zum Beispiel die Bürgerversicherung und ein Verbot der Befristung von Arbeitsverträgen ohne sachlichen Grund. „Wer glaubt, dass das Sondierungsergebnis automatisch der Koalitionsvertrag ist, der irrt sich natürlich“, sagte SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel in der ZDF-Sendung „Berlin direkt“. Zuvor hatte sich Ralf Stegner, ebenfalls Stellvertreter von Parteichef Martin Schulz, ähnlich geäußert. Beide sind aber, genau wie Südwest-Chefin Leni Breymaier, generell für Koalitionsverhandlungen mit der Union. Die Landesvorsitzende der Genossen im Südwesten möchte aber ebenfalls nachverhandeln. „Es muss möglich sein, noch an einigen Stellen nachzuschärfen“, sagte sie der „Schwäbischen Zeitung“.
Bei CDU und CSU will man von Nachbesserungen derweil nichts wissen. „Die Union ist strikt dagegen, einzelne inhaltliche Punkte noch einmal aufzumachen“, erteilte BadenWürttembergs CDU-Landeschef Thomas Strobl, der auch Parteivize ist, den SPD-Forderungen nach Nachverhandlungen über Bürgerversicherung, Steuererhöhungen und das Ende der sachgrundlosen Befristung eine klare Absage. Ähnlich klang Bayerns designierter Ministerpräsident Markus Söder (CSU). „Natürlich gilt alles“, sagte er am Sonntag und meinte damit den Inhalt der 28 Seiten starken Sondierungsvereinbarung. Diese sei „fast schon ein Koalitionsvertrag“. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt legte sogar noch nach. Er forderte SPD-Chef Schulz auf, zu zeigen, „dass die SPD ein verlässlicher Koalitionspartner sein kann und er den Zwergenaufstand in den Griff bekommt“. Mit dem Zwergenaufstand meinte er offenkundig die Jungsozialisten und deren „No GroKo“-Kampagne.
STUTTGART - Die SPD-Landesvorsitzende von Baden-Württemberg, Leni Breymaier, spricht sich für Koalitionsverhandlungen mit der Union aus, fordert aber gleichzeitig von CDU und CSU „ein bisschen Geschmeidigkeit“bei den weiteren Verhandlungen. „Was wir vorliegen haben, ist kein Koalitionsvertrag, sondern ein Papier aus fünf Tagen Sondierungsgesprächen“, sagte sie im Gespräch mit Kara Ballarin.
Sie haben Martin Schulz sehr dafür gelobt, dass er sich am Abend der Bundestagswahl direkt gegen eine weitere GroKo ausgesprochen hat. Jetzt kommt sie wohl doch. Ist das noch glaubwürdig?
Ich habe Wetten verloren. Ich ging davon aus, dass Jamaika klappt. Am Abend der Bundestagswahl haben wir festgestellt, beide Regierungsparteien haben verloren. Es waren andere Mehrheiten möglich. Das wurde von uns als Wählerauftrag erkannt. Als Jamaika geplatzt ist, sagten wir nochmal trotzig nein. Damit hätten wir vielleicht einen Tag warten können. Wir dachten ernsthaft über eine Minderheitsregierung nach und in den Sondierungen wurde auch darüber geredet. Aber CDU/ CSU wollen das auf gar keinen Fall.
Und Neuwahlen?
Sind eine Option. Aber sollen wir die Leute so lange wählen lassen, bis das Ergebnis passt? Nein, das ist nicht demokratisch. All unsere Vorbehalte gegen eine GroKo sind immer noch da. Als Partei kamen wir immer geschwächt heraus. Und wir wollen die AfD nicht als größte Oppositionspartei im Bundestag. Aber: Es gibt die Chance, etwas zu gestalten.
Was feiern Sie als Erfolge?
Es ist für mich ganz entscheidend, dass die beschlossenen jetzt wirksam werdenden Rentenkürzungen zurückgenommen werden. Auch der Aufschlag von zehn Prozent auf die Grundsicherung, wenn man 35 Jahre gearbeitet hat, ist für mich etwas Großes. Und ich bin auch eine Verfechterin der Ausweitung der Mütterrente.
Sehen Sie Errungenschaften in der Gesundheitspolitik?
Die Rückkehr zur Parität ist ein großer Erfolg. Bislang gehen Steigerungen bei der Krankenversicherung ja alleine zulasten der Arbeitnehmer. Und wo mir noch das Herz aufgeht, sind die Perspektiven bei der Pflege. Eine gesetzliche Mindestbesetzung beim Personal ist echt ein Riesenschritt.
Welche Passagen lesen Sie indes mit Zähneknirschen?
Ich hätte mir zum Beispiel gewünscht, dass man auch über die Bürgerversicherung reden kann und endlich Schluss macht mit sachgrundlosen Befristungen von Arbeitsverträgen. Auch die Steuerpolitik befriedigt nicht. Das schmerzt mich sehr. Unsere Mitglieder, die mit Geflüchteten arbeiten, sind mit der Regelung zum Familiennachzug für Menschen mit subsidiärem Schutz unzufrieden. Ich bin das auch.
Ihre Co-Landesvorsitzende, die Ulmer Abgeordnete Hilde Mattheis, organisiert derzeit den Widerstand. Haben Sie schon mit ihr geredet?
Wir saßen am Freitag in der Sitzung der Bundestagsfraktion nebeneinander. Als Bundesvorsitzende der Demokratischen Linken hat Hilde Mattheis eine andere Rol- le. Für sie wiegen die Gründe gegen Verhandlungen schwerer. Ihre Position teile ich nicht.
Können Sie nachvollziehen, dass die SPD Sachsen-Anhalt gegen Koalitionsverhandlungen gestimmt hat?
Mit einer Stimme Unterschied. Daran sieht man auch, wie zerrissen wir sind. Ich respektiere die andere Meinung, habe aber eine andere.
Wie ist die Stimmung der Parteimitglieder im Land?
Zur Landesvorstandssitzung am Dienstag sind auch die Delegierten für den Parteitag am Wochenende eingeladen, die über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden. Ich nehme beide Meinungen wahr. Ein Drittel etwa sagt: keine GroKo, egal welche Inhalte. Ein anderer Teil sagt: macht! Die Mehrheit macht ihre Zustimmung von Inhalten abhängig. Hier müssen wir erklären und abschichten.
Wird es Koalitionsverhandlungen geben? Und wird Ihre Basis am Ende auch für eine GroKo stimmen?
Ich will mich dafür einsetzen. Die Sondierungsergebnisse sind eine gute Grundlage. Aber die Gründe, die gegen eine GroKo sprechen, sind damit nicht vom Tisch.
Muss es Nachverhandlungen geben, um die Kritiker in den eigenen Reihen einzufangen? So hat es etwa Ihr hessischer Kollege Thorsten Schäfer-Gümbel bei Gesundheits-, Steuer- und Arbeitsmarktpolitik gefordert.
Es muss möglich sein, noch an einigen Stellen nachzuschärfen. Die Frage jetzt ist aber: Können wir auf Basis der Sondierungsergebnisse in Koalitonsverhandlungen gehen? Ich denke ja.
Aus der CSU gibt es bereits klare Aussagen gegen Nachverhandlungen, etwa vom designierten bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder.
Herr Söder ist witzig. Was wir vorliegen haben, ist kein Koalitionsvertrag, sondern ein Papier aus fünf Tagen Sondierungsgesprächen. Natürlich muss noch ein bisschen Geschmeidigkeit da sein. Gerade bei Themen, die keine Steuergelder kosten, bei denen nur guter Wille und eine Betrachtung der Realität zählt. Etwa bei der sachgrundlosen Befristung.
Falls es kommt: Hält das Bündnis vier Jahre?
Es kann, aber es ist nicht in Stein gemeißelt. Wir müssen mehr streiten und notfalls die Koalition auch beenden.
Wie meinen Sie das?
Wenn Vereinbarungen nicht umgesetzt werden, müssen wir schneller Konsequenzen draus ziehen. Das war bisher nicht so. Im letzten Koalitionsvertrag war das Rückkehrrecht von Teilzeit in Vollzeit verankert, wurde aber nie umgesetzt. Die beiden großen Parteien müssen über Streit unterscheidbarer werden. Ich bin dafür, dass wir bei mehr Entscheidungen im Bundestag die Fraktionsdisziplin verlassen und mehr Abstimmungen freigeben.