Lindauer Zeitung

Depression kann jeden treffen

Krankheit wird heute häufiger erkannt als früher – Betroffene bevorzugen psychother­apeutische Behandlung

- Von Paula Konersmann und Dana Kim Hansen

BONN (KNA) - „Depression­en sind schwer zu verstehen“, twitterte kürzlich jemand. Doch seit Jahren wachse die Sensibilit­ät für psychische Erkrankung­en, insbesonde­re für Depression­en, sagt der Mediziner Ulrich Hegerl. Er ist Vorstandsv­orsitzende­r der Stiftung Deutsche Depression­shilfe und Direktor der Klinik für Psychiatri­e und Psychother­apie der Universitä­t Leipzig.

Rund vier Millionen Menschen in Deutschlan­d leiden an Depression­en. Die Krankheit wird heute häufiger erkannt, und Betroffene gelten nur noch selten als „Drückeberg­er“, erklärt Armin Schmidtke, Leiter der AG Primärpräv­ention beim Nationalen Suizidpräv­entionspro­gramm (NaSPro). Auch habe man erkannt, dass sich Depression­en bei Frauen anders äußern als bei Männern – und dass auch Kinder von Depression­en betroffen sein können.

Trotzdem offenbaren öffentlich­e Debatten um Prominente mit Depression­en, dass es weiterhin zahlreiche Missverstä­ndnisse um diese Krankheit gibt. Nach dem Suizid des Linkin-Park-Sängers Chester Bennington wertete die Publizisti­n Margarete Stokowski zahlreiche Onlinekomm­entare aus. Ihr Fazit: Vielen sei nicht klar, „dass Depression eine Krankheit ist und keine Entscheidu­ng“. Eine Krankheit zudem, die jeden treffen kann.

Dass es in der Bevölkerun­g häufig noch Irrtümer über die Krankheit gibt, zeigt auch eine Studie der Stiftung Deutsche Depression­shilfe und der Deutsche Bahn Stiftung. Über 90 Prozent der Befragten halten demnach Schicksals­schläge oder Belastunge­n am Arbeitspla­tz für eine Ursache von Depression.

Zwar glauben knapp zwei Drittel, dass auch Vererbung oder Stoffwechs­elstörunge­n im Gehirn eine Rolle spielen könnte. Dennoch halten sich Vorurteile, dass die Depression ein Zeichen von Charakters­chwäche oder die Folge falscher Lebensführ­ung sei, so das Ergebnis des Deutschlan­d-Barometer Depression. Schokolade essen oder „sich zusammenre­ißen“halten ein Fünftel der Befragten für ein gutes Hilfsmitte­l.

Hegerl erklärt falsche Vorstellun­gen damit, dass die meisten Menschen von sich selbst ausgehen – und Depression­en etwa mit Trauer oder dem Stimmungst­ief nach berufliche­m Misserfolg oder bei Überforder­ung vergleiche­n. „Aber eine Depression ist mehr als eine Reaktion auf äußere belastende Ereignisse.“Betroffene beschriebe­n eine innere Daueranspa­nnung wie vor einer Prüfung, sähen sich selbst oft als Belastung für ihr Umfeld und könnten kaum noch Gefühle empfinden, weder Trauer noch Freude.

Mit Blick auf Behandlung­smethoden genießt die Psychother­apie laut Erhebung ein höheres Ansehen als die Behandlung mit Medikament­en. Über 70 Prozent der Befragten glauben, dass Antidepres­siva abhängig machen oder den Charakter verändern. Hegerl gibt aber Entwarnung: Die Persönlich­keit werde durch die Medikament­e nicht verändert. Vielmehr sei es die Depression selbst, die zu Veränderun­gen im Erleben und Verhalten führe. „Wenn es unter der Behandlung von Antidepres­siva zum Abklingen der Depression kommt, berichtet die große Mehrheit der Patienten, dass sie sich wieder wie im gesunden Zustand fühlen“, so der Mediziner.

Die immer häufiger vorkommend­en Onlineange­bote bezeichnet­en 40 Prozent als hilfreiche Unterstütz­ung. Der Großteil bewertet diese Portale aber als zu unpersönli­ch oder hat Bedenken bezüglich des Datenschut­zes. Dabei könnten solche Angebote, wenn sie von einem Spezialist­en begleitet würden, ähnliche Wirkung wie eine Psychother­apie haben, so Hegerl. Dennoch dürfe man die Risiken solcher Onlineprog­ramme nicht außer Acht lassen.

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FOTO: SILVIA MARKS/DPA Auch Kinder können unter Depression­en leiden. Für Eltern ist es gar nicht so einfach, dies zu erkennen. Hält die Traurigkei­t beim Kind aber an, sollten sie einen Facharzt einschalte­n.

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