Der Ton wird giftiger
EU und Großbritannien können sich nicht auf Brexit-Rahmenbedingungen einigen
LONDON - Keinerlei Fortschritt, dafür ein zunehmend giftiger Ton: Die Brexit-Verhandlungen stecken in der Krise. EU-Chefunterhändler Michel Barnier stellte der Regierung von Premierministerin Theresa May am Freitag ein Ultimatum. London müsse einen Vorschlag machen, wie die künftige innerirische Grenze vermieden werden kann. Sollte Großbritannien wie angekündigt Binnenmarkt und Zollunion verlassen wollen, „werden künftig Grenzkontrollen unvermeidlich“, sagte Barnier in Brüssel. Brexit-Minister David Davis beschuldigte die EU, deren Verhandlungstaktik sei „unhöflich und nicht von positiver Absicht geprägt“.
Bereits bei seinem Besuch in der Downing Street am Montag hatte Barnier seine Gastgeber mit der Bemerkung verärgert, für diese sei „die Zeit gekommen, sich zu entscheiden“. Ein EU-Gipfel in sechs Wochen soll den Weg für die von Großbritannien gewünschte Übergangsphase frei machen.
May überrascht mit Forderungen
Über deren Einzelheiten haben die Delegationen ergebnislos in den vergangenen Tagen verhandelt. Der Übergang soll nach dem Austrittsdatum 30. März 2019 noch rund zwei Jahre andauern, wahrscheinlich bis Ende 2020. In dieser Zeit hätte Großbritannien weiterhin die Rechte und Pflichten eines EU-Mitglieds, wäre aber vom Konferenztisch ausgeschlossen. Weil dies vom harten Kern der EU-Feinde in der konservativen Partei als „Status eines Vasallenlandes“denunziert wird, hatte May zuletzt Brüssel mit neuen Forderungen überrascht. So sollen nach März 2019 neu ins Land kommende EU-Bürger nicht, wie bisher angenommen, die gleichen Rechte genießen wie jene, die bis zum Brexit auf der Insel eintreffen. Barnier lehnt dies ab, im Gegenteil: Dem Verhandlungspapier zufolge, das Davis’ Zorn erregte, sollen die Briten bei Zuwiderhandeln gegen EU-Normen vom Binnenmarkt ausgeschlossen werden.
Der in Brüssel herrschende Ton gegenüber dem zweitgrößten Nettozahler wird längst nicht mehr nur von EU-Feinden kritisch gesehen. So sprach der frühere EU-Beamte und Ex-Vizepremier Nicholas Clegg davon, in der EU-Kommission herrsche „höhnische Geringschätzung“gegenüber britischem Patriotismus. Anders als Cleggs Liberaldemokraten, die ein zweites Referendum fordern, starren Regierung und die größte Oppositionspartei wie gelähmt auf den EU-Austritt. Die Labour-Party weicht unter ihrem EU-skeptischen Parteichef Jeremy Corbyn hartnäckig der Frage aus, ob das Land in der Zollunion, womöglich sogar im Binnenmarkt bleiben solle. Schwerer wiegt die Unentschlossenheit bei den Torys. Das Brexit-Kabinettskomitee beriet diese Woche ohne Einigung über die Frage, wie sich die Regierung die Zukunft des Landes außerhalb der EU vorstellt. Die Brexiteers um Außenminister Boris Johnson und die EU-Freunde um Finanzminister Philip Hammond stehen sich unversöhnlich gegenüber.
Dabei soll die Übergangsphase, wie Minister Davis stets betont, als Brücke dienen zu einem neuen „engen Verhältnis“mit dem Kontinent von 2021 an. Um aber sinnvoll darüber verhandeln zu können, gibt ein deutscher Kenner der Londoner Verhältnisse zu bedenken, „muss das andere Ende der Brücke erkennbar sein“. Davon ist keine Rede, im Gegenteil. Für Mays vage Position zeigt der Beobachter Verständnis, denn: „Jede Präzisierung würde die Regierung in die Luft sprengen.“
Wie hysterisch der Ton bei den Torys und den ihnen nahestehenden Medien geworden ist, zeigt sich in der Berichterstattung über George Soros. Der 87-jährige Milliardär unterstützt die Brexit-kritische Organisation „Best for Britain“mit 400 000 Pfund, was Soros in der Tageszeitung „Telegraph“als „heimliches Komplott gegen den Volkswillen“zur Last gelegt wurde. Wie Soros setzt sich auch der Labour-Lord Andrew Adonis für eine zweite Volksabstimmung ein. Derzeit halten 43 Prozent der Briten den Brexit für gut, 44 Prozent für schlecht.