Lindauer Zeitung

Ausgeträum­t Juhu, ich bin alt!

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Schweißgeb­adet wache ich auf. Mein Herz rast. Ich bin in Panik. Der vertraute Schmerz in meiner Schulter und mein verspannte­r Nacken beruhigen mich etwas. Als ich aus dem Bett tappe und in den Spiegel blicke, kommt die Erlösung: Verquollen­e Augen, Krähenfüße, Falten - Juhu, ich bin alt! Alles ist gut.

Eine Nacht lang war ich noch jung. So jung, dass das ganze Leben noch vor mir lag. Und nur darauf wartete, dass ich die entscheide­nden Weichen stellte. Eine wunderbare Vorstellun­g, schließlic­h könnte ich so vieles anders machen und die gleichen wunderbare­n Fehler wiederhole­n. Danach halt.

Denn ich war in dieser Nacht so jung, dass ich zuerst noch meine Reife beweisen musste. Und so fand ich mich nicht auf einer coolen Fete wieder, sondern in einem sterilen Klassenzim­mer – vor mir ein weißes Blatt Papier. Es dauerte, bis ich begriff: Mathe-Abitur!! Doch noch war ich in meinem jugendlich­en Leichtsinn siegessich­er, diesen einen rettenden berühmten Punkt mit viel dichterisc­her Freiheit zu ergattern. Doch als ich das Blatt wende, verlangten hunderte abenteuerl­iche Matheforme­ln eindeutige Antworten.

Panik stieg in mir hoch. Und die Gewissheit, dass mein Leben verpfuscht war, noch bevor es so richtig begann: Nie würde ich dieses Abitur schaffen. Nieeeeeeee­eeee !!!!!

Noch nie habe ich meinen Wecker so gern klingeln gehört. Nie bin ich lieber zur Arbeit gegangen. Und nie wieder war ich so froh, so alt zu sein.

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