Kleiner Musterprofi
Erik Thommy hat sich beim VfB Stuttgart zum Stammspieler gemausert
STUTTGART – Als am Samstag um 15.43 Uhr ein Fußball in der Mercedes-Benz-Arena vom Pfosten kurz vor die Torlinie der Frankfurter Eintracht sprang, hatte ein 23-jähriger heranstürmender Stuttgarter einige Möglichkeiten. Es gab schon Bundesligaspieler, die so einen Ball erneut an den Pfosten setzten oder ein Luftloch schlugen oder ihn unter einer Grätsche begruben, ohne ihn auch nur einen Millimeter fortzubewegen. Und was machte Erik Thommy, der gebürtige Ulmer, der sich erst in seinem 14. Bundesligaspiel überhaupt befand, im vierten für den VfB und noch nie ein Tor erzielt hatte? Er drückte ihn einfach rein. So ein frecher Hund.
Immerhin räumte der Schütze des Goldenen Traumtors nach dem 1:0Sieg schmunzelnd ein, das sei nicht ganz so schwierig gewesen. „Den Hauptanteil am Treffer hatte natürlich Daniel Ginczek“, sagte Thommy und fügte an: „Eigentlich freue ich mich über Treffer der anderen fast mehr als über die eigenen“(um später einzuräumen, dass er sich immerhin etwas gefreut habe). Kein Zweifel: Da stand ein eher mannschaftsdienlicher Spieler vor den Journalisten, allerdings sind sie das ja derzeit fast alle beim VfB. „Mal lege ich für Erik auf, mal Erik für Mario, mal Mario für mich, es ist ein Geben und Nehmen derzeit“, so Ginczek.
Erik Thommy ist also nur einer von vielen beim VfB, und doch ist er mehr. Der 1,74 Meter kleine quirlige Dribbler läuft nicht nur extrem viel und kreuzt und quert, gerne mehr als 12 Kilometer, er ist auch Herr über die Standards und tritt Eckbälle wie Freistöße – einen davon, einen abgeprallten, hatte Gomez zum 1:0 in Augsburg genutzt. „Er ist sehr ballsicher und fleißig und hat eine unglaubliche Entwicklung genommen“, sagt Mitspieler Andreas Beck. Kapitän Christian Gentner berichtet: „Ich habe Erik als hochprofessionell kennengelernt. Er ist ein sehr offener, angenehmer Typ, hat gute Dribblings und Spielintelligenz.“
Dass Thommy seit dem Amtsantritt des neuen Trainers Tayfun Korkut in der Startelf gesetzt ist und den Ex-Nationalspieler Dennis Aogo, der ebenfalls links in der zentralen Viererkette spielen könnte, verdrängt hat, ist tatsächlich die größte personelle Überraschung derzeit beim VfB. Wie Korkut, der Thommys Defensivarbeit hervorhebt, ist der bayerische Schwabe damit noch ungeschlagen, zehn Punkte holte der VfB mit den beiden, und wie der Trainer wurde offenbar auch Thommy unterschätzt von der Fachwelt.
VfB wollte ihn schon in der Jugend
Vier Jahre lang war er auf den meisten seiner Wege Ersatzmann gewesen – zu Saisonbeginn beim FC Augsburg, wo er insgesamt vier Jahre spielte und im Februar 2014 sein Bundesligadebüt feierte, aber auch vor zwei Jahren bei Zweitligist Kaiserslautern. Nur im Vorjahr, bei Drittligist Regensburg, war Thommy mit acht Toren und neun Assists ein Leistungsträger und Garant für den Aufstieg, danach holte ihn der FCA zurück, ohne ihm viel Spielzeit zu geben. VfB-Manager Michael Reschke sah, dass da ein Talent in der Region schlummerte – und schlug zu. Auch wenn Augsburg ihn nach eigener Aussage gerne behalten hätte: 500 000 Euro Ablöse kostete Thommy nur im Winterschlussverkauf, ein Schnäpple, würden Schwaben sagen.
Zumindest vom Typ und seiner schmächtigen Statur her weckt Erik Thommy Reminiszenzen an einen ganz Großen. Die strebsame und selbstsichere Art, in der der gläubige Musterprofi („Gott ist immer bei mir“) über seine Extraschichten mit einem Personaltrainer spricht oder über seine Ziele, als er nach Stuttgart kam, erinnert verdächtig an Philipp Lahm. „Ich gebe in jedem Training alles und bereite mich immer so vor, als ob ich von Anfang an spiele. Natürlich habe ich mir so viel Spielzeit wie möglich vorgenommen. Die Jungs haben mich top aufgenommen“, sagte Thommy also. Und: „Immer wenn es nach vorne geht, schaue ich, in den torgefährlichen Raum zu kommen. Diesmal hatte ich das Glück, dass mir der Ball vor die Füße fällt.“
Wie Lahm stammt Thommy zudem aus einem bayerischen Nest, aus Wettenhausen im Kreis Günzburg. Beim SV Kleinbeuren fing er an, bis er 14 war, kickte Thommy sieben Jahre lang in der Jugend für den SSV Ulm, ehe er via TSG Thannhausen nach Augsburg kam. Sein Bruder Eduard (27) verdingte sich vier Jahre beim SV Illertissen.
Der VfB wollte Erik Thommy übrigens schon, als er zwölf war, er kannte ihn aus den Gastspielen der Ulmer. Thommys Familie aber lehnte ab, die Fahrzeit wäre zu lang gewesen. Mit elf Jahren Verspätung fanden beide Parteien doch noch zusammen. „Es war kein einfacher Weg, auf dem alles rund lief“, sagt Erik Thommy. „Aber das ist dieser Weg bei den Wenigsten.“