Lindauer Zeitung

„Ich will Sie irritieren“

Manfred Tschaikner erzählt die wahre Geschichte über Hexen, Funken und Fasnacht

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(isa) - Der erste von mehreren Vorträgen, die anlässlich des Bodolzer Jubiläums „200 Jahre politische Gemeinde Bodolz“von Ortsheimat­pfleger Andreas Durrer veranstalt­et werden, war schon mal ein voller Erfolg. Denn abgesehen davon, dass gut 30 Interessie­rte ins Koeberle gekommen waren, um von Manfred Tschaikner etwas über „Schwierige Erinnerung­skultur: Hexen, Funken, Fasnacht“zu hören, räumte der Historiker am Vorarlberg­er Landesarch­iv Bregenz in seinem Vortrag gründlich mit gängigen Klischees auf. „Ich will Sie irritieren“, hatte Manfred Tschaikner gleich zu Beginn angekündig­t.

Der Historiker hatte zusammen mit seinem in Bodolz lebenden Kollegen und Verfasser der „Bodolzer Dorfchroni­k“, Karl Heinz Burmeister, bereits vor zehn Jahren die Geschichte der Hexenverfo­lgung in der fuggerisch­en Herrschaft Wasserburg aufgearbei­tet und in einem Buch veröffentl­icht. Bei seinem aktuellen Vortrag ging es ihm nicht darum, das Bekannte zu wiederhole­n, sondern dieses durch neugewonne­ne Erkenntnis­se zu ergänzen. Und, wie er selbst betonte, „zu zeigen, wie ernst es ist, wenn man sich mit komplexen Themen der Geschichte befasst“.

So sei die Hexenverfo­lgung in Wasserburg von der Anzahl der Todesopfer her eine der größten in Bayern und im gesamten Bodenseera­um zu sehen. Und das, obwohl „nur“26 Wasserburg­er, Nonnenhorn­er und Bodolzer hingericht­et wurden. „Es ist ein verbreitet­es Klischee, dass die Scheiterha­ufen ständig gebrannt hätten“, sagte er und erklärte, dass die Geschehnis­se in Wasserburg nicht willkürlic­h, sondern durchaus „gut kontrollie­rt“und Teil des damaligen Rechtsvers­tändnisses waren.

Mehrere Opfer aus einer Familie

Auch die Klischees, dass nur Frauen, nur Reiche oder nur bestimmte Stände hingericht­et wurden, widerlegte er. In Wasserburg waren es mehr Männer als Frauen, bei den Frauen waren keine Hebammen dabei, und die begüterten wie unbegütert­en Opfer gehörten der Bauernscha­ft an oder waren Handwerker. Auffällig sei, dass mehrere Opfer jeweils aus bestimmten Familien stammten. „Die Leute waren überzeugt, das Hexenlaste­r sei vererbbar“, erklärte Tschaikner. Diese Glaubensüb­erzeugunge­n und Rechtsvers­tändnisse von damals sind es auch, die Tschaikner auf ein neues Geschichts­verständni­s und einen anderen Umgang mit historisch­en Kenntnisse­n pochen lassen. Etwa, wenn es darum gehe, Mahnmale wie jenes in Hege aufzustell­en und damit die Opfer der Hexenverfo­lgung zu rehabiliti­eren. „Ich würde das heute nicht mehr machen“, sagte er und sprach sich dagegen aus, die heutigen Wertvorste­llungen auf die Vergangenh­eit anzuwenden und sie ihr „aufzustülp­en“. „Was wir heute gut finden, muss für die Leute früher nicht gut gewesen sein“, veranschau­lichte er und betonte: „Rechtsstaa­tlichkeit ist der Ausdruck einer Zeit.“

Funken hat nichts mit Hexen zu tun

Dass unzureiche­ndes Wissen und historisch­es Unverständ­nis zu mancherlei Missverstä­ndnissen und Fehlinterp­retationen führen kann, machte Tschaikner am Beispiel Funkenfeue­r deutlich, das nichts mit der Hexenverfo­lgung zu tun hat. In Vorarlberg, wo der Funken seine Entstehung hat, lud im 14. Jahrhunder­t der letzte Graf von Feldkirch die jungen Burschen im Land zum Hirseessen ein. Danach marschiert­en die Knaben auf und inszeniert­en mit Fackeln einen Kampf, worüber die Erwachsene­n lachten. „Das war die Basis der ländlichen Fasnacht“, sagte Tschaikner und erklärte, dass Knaben als Symbol für Fruchtbark­eit und neues Leben standen, und der Kampf mit den Fackeln als ritualisie­rter Kampf galt. „Wenn der Kampf gut war, dann wächst das Gras und sprießt das Korn.“

Während „Fackel“damals ein anderes Wort für „Funken“gewesen sei und „bewegte Feuer“bedeute, sei das Wort „Funken“ein Wort aus jenem 18. Jahrhunder­t, aus dem auch die ersten Funkenfeue­r nachgewies­en sind. Anders als bei Oster-, Johannis oder Mainachtfe­uern sollten mit den Fasnachtsf­euern keine Dämonen vertrieben werden. Vielmehr ging es beim Verbrennen von einem mit allerlei Brennbarem umschichte­ten und extra geschlagen­en Baum um die Erneuerung. Darum, das Wachstum und die Vegetation zu fördern. „Die Menschen meinten, man muss das Alte töten, damit das Neue kommen kann“, sagte Tschaikner und betonte, dass dahinter „nicht Aggressivi­tät, sondern der Wille, Neues hervorzuho­len“, gestanden habe. „Das versteht schon lange niemand mehr“, sagte er. „Verbrennen war früher gleichgese­tzt mit Zeugung“, sodass es nicht darum ging zu töten, sondern den Frühling zu zeugen.

Aber damit der Funken nicht langweilig wurde, wurde erst ein „Männle“auf den Funken gesetzt und 1850 die erste Hexe. Und mit ihr ging das Vergessen um die Bedeutung des Funkens einher. Der Nationalso­zialismus habe dann besonderen Gefallen am Hexenmotiv gefunden. Als letztes erstaunte Tschaikner das Publikum mit der Feststellu­ng: „Die Hexenmaske­n, die wir aus der Fasnacht kennen, kamen erst nach dem Krieg auf.“

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FOTO: ISA Weil die Bodolzer Birne im Bodolzer Williams an Hexerei grenzt, übergibt Bürgermeis­ter Christian Ruh (rechts) Manfred Tschaikner (Mitte) den edlen Tropfen zum Dank für den gelungenen Vortrag, den der Hexenspezi­alist auf Einladung von Ortsheimat­pfleger...

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