Als Lindaus Zeitung erstmals unzensiert erschien
170 Jahre Bürgerrevolution von 1848/49 in Lindau
LINDAU - Die außereheliche Geliebte des bayerischen Königs, Ludwig I. (1786-1868), die Tänzerin Lola Montez, verließ auf ihrer Flucht in die Schweiz am 24. Februar 1848 Lindau per Schiff, in Paris stürzte die Februarrevolution den „Bürgerkönig“Louis-Philippe, in London veröffentlichten Karl Marx und Friedrich Engels das Kommunistische Manifest und in Karlsruhe demonstrierten bereits am 1. März 1848 rund 20 000 Menschen vor dem badischen Landtag gegen Adelsprivilegien.
In München mit bis zu 10 000 Menschen sowie in Nürnberg begannen die Volksunruhen am 2. März 1848. Bayerns König sicherte deshalb bereits am 6. März öffentlich die Verwirklichung der an ihn gerichteten Forderungen zu. Diesen hatten sich inzwischen auch rebellierende Lindauer Bürger mit einer Resolution angeschlossen, so beispielsweise den Forderungen nach Abschaffung der Pressezensur, Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtsprechung, Einführung von Geschworenengerichten, einem zeitgemäßen neuen Wahlgesetz und der Abschaffung bisheriger adeliger Vorrechte bei den Ständeratswahlen, einem liberalen Polizeigesetz und der Verantwortlichkeit der Minister. Der bayerische Landtag begann endlich in diesem Sinne zu arbeiten.
Als dieser politische Erfolg auch in Lindau bekannt wurden, bildete sich spontan ein Freudenumzug durch die Inselstadt, wie Schlossermeister Michael Koch dies als Augenzeuge festhielt: „Sogleich wurden in allen Häusern die blauweißen Fahnen ausgehängt, die Einwohnerschaft tat sich zusammen und mit der Bürgermusik zog man in der Stadt herum. An einem Hause hängte eine schwarz-rot-goldene Fahne heraus. Das Publikum fragte, was dies zu bedeuten habe. Da musste man es den Leuten erst erklären, dass diese Farben dem deutschen Michel seine Hausfarben seien. Auf dem Marktplatz war ein schöner großer Freiheitsbaum mit schwarz-rot-goldenen Bannern geschmückt aufgepflanzt“.
In jenem Haus in der Linggstraße mit der einzigen republikanischen Demokratenfahne Lindaus in den Farben schwarz, rot und gold wohnte damals der Zimmermeister und frühere etwas widerspenstige städtische Werkmeister Johann Jacob Götzger (1807-1897), nach dessen Plänen 1846 Lindaus letztes Stadttor im Wesentlichen erbaut worden war. Auch dieses wurde in jenen Tagen mit einer republikanischen Fahne geschmückt.
Am 14. März endlich konnte das Lindauer Wochenblatt erstmals unzensiert erscheinen und bot sogleich die Möglichkeit an, in der Rubrik „Briefkasten“Leserbriefe zu veröffentlichen. Am 20. März trat König Ludwig I. endlich zurück und ernannte seinen Sohn zum neuen bayerischen König Maximilian II. (18121864). Doch die örtlichen revolutionären Auseinandersetzungen waren damit noch nicht beendet. Einerseits versuchten revoltierende Bauern der damals selbständigen und heute Lindauer Festlandsgemeinden gemeinsam auf die Insel zu ziehen, um vom städtischen Spital endlich die Abschaffung der restlichen Abgabepflichten zu fordern. Bewaffnete bürgerliche Landwehr hinderte sie daran und schloss das Landtor. Der Eisenbahndamm existierte damals noch nicht. Erst am 4. Juli 1848 trat das geforderte bayerische Gesetz des reformorientierten Landtages über die Abschaffung der bäuerlichen Grundlasten landesweit in Kraft.
Andererseits zogen am 13. April die Soldaten des in Lindau stationierten bayerischen Regiments Ysenburg durch das Tor hinaus gegen Konstanz. Dort im badischen Kreis hatten die revolutionären Demokraten um Friedrich Hecker und Gustav Struve den Versuch gestartet mithilfe eines bewaffneten Revolutionsmarsches, den „Heckerzug“, das Ende aller Königsherrschaft und die Gründung einer deutschen Republik zu erreichen.
Der Märzverein versucht die Volksrechte zu retten
Auf den April 1848 waren in allen 39 Einzelstaaten des Deutschen Bundes Wahlen zum ersten gesamtdeutschen Parlament durchgesetzt worden, der Paulskirchenversammlung in Frankfurt/Main. Dessen Ziel sollte die Formulierung und Durchsetzung einer demokratischen Verfassung für ganz Deutschland sein.
Die Wahlregeln allerdings erlaubten beispielsweise von den rund 3500 damaligen Frauen und Männern in der Stadt Lindau nur rund 350 sozial privilegierten Männern, sich an den Urwahlen zur Bestimmung von neun Wahlmännern zu beteiligen. Diese Wahlmänner wiederum beteiligten sich am 28. April in Weiler an der Wahl des Abgeordneten für den Stimmkreis Lindau-Weiler. Dabei erhielt der wirtschaftsliberale Würzburger Rechtsanwalt Karl Kirchgeßner 110 der 123 Stimmen. Dieser trat in Frankfurt allerdings nur für eine konstitutionelle Monarchie ein und ließ sich in seinem Wahlkreis nie wieder sehen.
Ein halbes Jahr später wurden für den Wahlkreis Kempten-Lindau von den dann 186 Wahlmännern drei ausgesprochen linke Demokraten und Liberale in den neuen bayerischen Landtag gewählt: Balthasar Waibel aus Kempten, Fidel Schlund aus Immenstadt und Dr. Meiser aus Roßhaupten.
Inzwischen fühlten sich die alten adeligen Gewalten Deutschlands wieder fester im Sattel und der revolutionäre Demokratieprozess kam immer deutlicher ins Stocken. Um die politischen Erfolge vom März 1848 zu sichern, wurden von den bürgerlichen Mittelschichten deshalb „Märzvereine“gegründet. Lindaus Märzverein wurde am 10. April 1849 im Gasthaus „Lamm“ins Leben gerufen und dabei das damalige Gasthaus „Storchen“, die spätere Stadtbücherei, zum regelmäßigen Versammlungslokal bestimmt. Dort hatten bisher schon etliche Bürgerversammlungen stattgefunden. Ziel der 170 Gründungsmitglieder von Lindaus Märzverein war laut dessen Statuten, „mit allen gesetzlichen Mitteln dahin zu wirken, dass dem Volke die im März vorigen Jahres vonseiten der Regierung gegebenen Verheißungen unverkürzt und ungeschmälert erfüllt werden…“. Bayerns neuer König Max II. hatte dem erst gewählten „linken“Landtag weitere Sitzungen verboten.
Unter Vorsitz von beispielsweise Zimmermeister Johann Jacob Götzger und Bäckermeister Kaspar Bürklin aus Lindau sowie Weinhändler Conrad Forster aus Nonnenhorn wurde nun auf den 6. Mai 1849 zu einer großen regionalen Kundgebung auf dem Lindauer Stiftsplatz geladen. Rund 6000 Menschen von Bludenz bis Tettnang bekräftigten mit ihrer Kundgebungsteilnahme die Forderung nach sofortiger Einführung einer wenigstens halbwegs demokratischen Verfassung für ganz Deutschland. Redner waren allerdings nur Männer, darunter Johann Jacob Götzger aus Lindau, Landtagsabgeordneter Fidel Schlund aus Immenstadt und aus Ravensburg Kaplan Lutz.
Die bayerische Regierung reagierte schnell. Bereits zwei Wochen später ließ sie einen zusätzlichen Trupp berittener Soldaten nach Lindau verlegen und dem örtlichen Bürgermilitär seine im März 1848 erbeuteten Kanonen und die Munition abnehmen. Die Situation spitzte sich nun deutlich zu.
Von Fluchten und demokratischen Widerspenstigkeiten
Lindaus Märzverein hatte beschlossen, seine demokratischen Forderungen weiterhin ohne Gewaltanwendung zu vertreten. Doch das auf Weisung des neuen Bayernkönigs Max II. sowie des von ihm eingesetzten Ministerpräsidenten von der Pfordten am 26. Juni 1849 von Donauwörth aus in Marsch gesetzte konterrevolutionäre Armeekorps unter General von Flotow verschwendete daran keinen Gedanken, wie Schlossermeister Michael Koch für Lindau berichtete: „Als man aus dem Morgengottesdienst kam, da kam eine Schwadron Chevaulegers, den Säbel im Mund und den Karabiner scharf geladen in der Hand. Sie kamen in keiner guten Absicht. Es war ein rohes, grobes Volk. Sie schikanierten den Bürger wo sie konnten. Man glaubte, man hätte den Feind in der Stadt. Alles was sie auf den Straßen trafen, musste vor ihnen fliehen. Sie zogen ihre Faschinenmesser blank und verwundeten drei Bürger und eine Frau.“
Der militärische Terror zeigte Wirkung. Im Wahlkampf zu den auf den 20. Juli 1849 erneut angesetzten Landtagswahlen musste der demokratische Kandidat Fidel Schlundt aus Immenstadt vor Soldaten aus einer Lindauer Gastwirtschaft fliehen, als diese in den Saal kamen und riefen: „Haut ihn gleich in Stücke, macht nicht viel Umstände und stecht ihn nieder!“.
Der in Dresden kurz zuvor am erfolglosen Aufstand beteiligte Komponist Richard Wagner floh in jenen Tagen über Lindau in die rettende Schweiz: „Von fieberhafter Unruhe beherrscht, versuchte ich die ganze Nacht über mich im schwäbischen Dialekt zu üben, was aber zu meiner größten Erheiterung wiederum nicht gelingen wollte. Auf dem Dampfschiff angelangt, erkannte ich mit wahrhaftem Behagen, dass ich mit seiner Besteigung mich bereits auf schweizerischem Boden befinde.“
Zimmermeister Johann Jacob Götzger erhielt als ehemaliger Lindauer Märzvereinsvorsitzender heimlich Post aus St. Gallen. Darin wurde er um Hilfe für die in die Schweiz geflüchteten Demokraten gebeten, darunter auch der Lindauer Spenglergeselle Alois Galler und der Schlossergeselle Rudolf Schobloch. Götzger verhielt sich solidarisch und organisierte unter den verbliebenen Vereinsmitgliedern eine erfolgreiche Sammlung von Geld- und Sachspenden. Zu den Spendern gehörten auch die Sangesbrüder des Liederkranzes Lindau.
Noch im April 1850 berichtete der örtliche Polizeikommissar erzürnt an die Regierung in Augsburg über anhaltende Widersetzlichkeiten: „In dieser Nacht nämlich fanden sich vier ledige Burschen vor der Kaserne ein (der „Max-Kaserne“, K.S.), und ließen Hecker hochleben. Ein Feldwebel trat aus der Kaserne, um die Schreier zu arretieren. Allein nur eines derselben wurde man habhaft.“
Im gleichen Monat wurde die vor wenigen Tagen erstmals gegründete Lindauer Turngesellschaft polizeilich als politischer Verein eingestuft und wieder verboten. Doch turnten danach etliche ihrer Mitglieder innerhalb der freiwilligen Feuerwehr heimlich weiter. Der im Februar 1851 gegründete erste Lindauer Arbeiterverein konnte sich immerhin 12 Monate lang halten und tätig bleiben, bevor er ebenfalls polizeilich verboten wurde, einem Großteil seiner Mitglieder aber die Flucht aus der Inselstadt gelang.
Das neue Buch „Es lebe die Freiheit - Revolution im Allgäu 1848/ 49“mit einem umfangreichen Kapitel zu Lindau, wird am Samstag, 17. März, ab 19 Uhr, von der Herausgeberin Barbara Lochbihler und einigen Autoren im Gewölbesaal des Lindauer Hospitals öffentlich vorgestellt.