Die Mühen des Alters
Der letzte Roman von Peter Härtling
Er war ein Genussmensch, einer, der die Freuden des Lebens liebte – vielleicht deswegen, weil er sie sich so hart erkämpfen mußte. Als Peter Härtling im Juli vorigen Jahres in seinem 84. Lebensjahr nach längerer Krankheit starb, war die Arbeit an seinem letzten Roman „Der Gedankenspieler“nahezu abgeschlossen. Und dass dieser in Traurigkeit lebensfroh gewordene Geschichtenerzähler bis heute im deutschsprachigen Raum nicht seinesgleichen hat, wird in diesem nachgelassenen Romanwerk erneut aufs Schönste bezeugt.
Auch hier bleibt sein Erzählton in der Schwebe zwischen elegisch und Moll, jene Härtling eigene Mischung aus Lebensfreude und Melancholie, die seinen erzählerischen Texten eine unverwechselbare Kontur gab. „Der Gedankenspieler“– das ist die Geschichte eines 80-jährigen Architekten – Johannes Wenger –, der durch einen unglücklichen Sturz zum Pflegefall wird und im Rollstuhl landet. Wenger erscheint zunächst als grantelnder Zeitgenosse, der niemals zugeben würde, dass ihm die Einsamkeit, das Angewiesensein auf Pflege und Hilfe aller Art zu schaffen macht. Der einst erfolgreiche Architekt hat weder Kind noch Kegel, und der einzige Mensch, der sich um ihn kümmert, ist sein Hausarzt und langjähriger Freund Dr. Mailänder.
Hannes Wenger hat sich an ihn in all den Jahren gewöhnt und wird eines Tages von der Nachricht überrascht, dass dieser Lebensfreund eine junge hübsche Ärztin ehelichen will, die ihrerseits aus erster Ehe eine Tochter mit in die neue Verbindung bringt. Wenger wird als Trauzeuge benötigt – und das Kind adoptiert ihn als „Opa Hannes“. Es dauert, bis sich der alte Herr auf die neue Situation einstellt. Aber letztlich erliegt er dem Charme der kleinen Katharina. Zu viert fahren sie nach Travemünde in Urlaub. Wenger versucht, das Leben neu zu lernen und erkennt, dass ihm durch das Zusammensein mit dem Kind gefühlsmäßig ein neuer Horizont eröffnet wird. Das geht eine Weile auch ganz gut, obschon sich Wenger in seinen Gedankenspielen immer wieder mit den berühmten Köpfen seiner Zunft beschäftigt.
Mit leicht ironischem Tonfall
Wenger pendelt zwischen Alterseinsamkeit und Ohnmachtsempfindungen gegenüber pflegerischen Notwendigkeiten, die er allzu oft als Zumutung erlebt, was er den einen oder anderen auch spüren lässt. Natürlich weiß er meistens, dass sein Kampf gegen die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes trotz aller Pflege vergeblich ist.
Härtling beschreibt in leicht ironischem Tonfall die Mühen des Alters, ohne die Glücksmomente in dieser letzten Lebensphase auszusparen. Nie hätte es sich dieser „Gedankenspieler“vorstellen können, in dieser von Beschwerden aller Art belasteten Zeitspanne auch noch so etwas wie Glücksgefühle empfinden zu können. Der Protagonist erfährt Freundschaft, auch Zuneigung und Toleranz gegenüber seinen Marotten und Abwehrversuchen. Härtlings letzter Roman ist ein Abschiedswerk, das die große Menschenfreundlichkeit erkennen lässt, die wir an diesem Autor immer geschätzt haben. Peter Härtling: Der Gedankenspieler, Roman, Kiepenheuer & Witsch, 224 Seiten, 20 Euro.