Kleine Welt an Bord, große Kunst an Land
Während der Flussschiffsreise nach Holland und Belgien macht sich ein starkes Gefühl von Geborgenheit breit
Eine Kreuzfahrt, das Meer, die Weite – ich liebe es. Aber jetzt bin ich an Bord eines Flussschiffes, schippere also immer am Ufer lang. Die 135 Meter lange „A-Rosa Silva“tuckert mit 175 Passagieren gemächlich von Köln über den Rhein, das Ijsselmeer und durch das Rhein-Maas-Schelde-Delta nach Holland und Belgien. Ob so etwas Madame gefällt?
Tag 1: Das Einschiffen geht flott. Mit dem Koffer über die Gangway gleich aufs Deck mit dem wetterfesten Rasenteppich, wo am Planschpool ein Begrüßungsfoto gemacht wird. Ich möchte keine Bowle und trinke erst mal einen Filterkaffee im Restaurant. An Deck ist Cruise-Manager Atze aus Potsdam zum Frohsinn entschlossen, und DJ Kay, „stets gut gelaunt“, legt kölsche Stimmungslieder auf. Wir zuckeln los, vorbei am Kölner Dom, es gibt Freibier. Ich gehe in meine Kabine. Rheinwiesen im Abendlicht. Eine Reiterin am Deich. Vögel auf der Sandbank. Keine Internetverbindung. Ich schiebe das Fenster auf. Das Wasser gluckert, die Schiffsmaschine brummt. Frieden.
Alles kann, nichts muss
Tag 2: Gut geschlafen habe ich mit dem Gefühl, in einer sanft schaukelnden Wasserwiege zu liegen. Es regnet. Das Markermeer, der südliche Teil des Ijsselmeers, dehnt sich grau bis an den vernebelten Horizont aus. Fühlt sich an wie das richtige Meer, obwohl es ein See ist. Das Schiff tuckert langsam dahin wie die Zeit, die man gewinnt, so ohne Mission und ohne die üblichen Möglichkeiten, den Tag mit Bedeutung zu erfüllen. Die Welt an Bord ist klein. Ich könnte mich ein wenig auf dem Laufband abstrampeln. Aber dann sitze ich lieber in der Lounge und trinke Cappuccino. „Alles kann, nichts muss“, ist die Parole. Als wir mittags in dem nordholländischen Städtchen Hoorn anlegen, verlässt jeder nach Lust und Laune das Schiff, um einen Spaziergang zu machen. Ohne die Gemächlichkeit der Flusskreuzfahrt hätte ich mein Leben lang keine „superlekkere Aardbeeren“auf dem Markt von Hoorn genascht. Alles nicht so aufregend, aber auch nicht so aufgeregt. Und das tut mal richtig gut.
Tag 3: Heute liegen wir von früh bis spät am Hauptbahnhof von Amsterdam. Es regnet, ich ziehe trotzdem los. Vor dem Central Coffeeshop sitzen morgens schon die Kiffer und grinsen in den grauen Sonntag. Überall wabern süßliche Düfte. Ich brauche andere Anregungen, um glücklich zu werden, und laufe zügig über den rummeligen Damrak und die lauschigen Grachten bis zum Rijksmuseum, wo ich mich für Rembrandts „Nachtwache“und Vermeers „Milchmädchen“gerne in die Kassenschlange stelle. Nachher entdecke ich ein kreatives Restaurant (RED) an der Keizersgracht, wo sie zum Lunch Lobster Roll servieren – ein knackiges Brötchen mit frischem Hummer und einer Tüte Pommes. So unkompliziert ist das junge Holland! Ganz besonders in Amsterdam.
Tag 4: Wir liegen vor Rotterdam, der kühlen Metropole der modernen Architektur, die sich nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs ganz neu erfunden hat. Im hohen Bogen der 2014 eröffneten Markthalle (Architekt: Winy Maas) verbergen sich stylische Wohnungen. Die schräg gekippten Kubushäuser gleich davor sind ein Kultprojekt der frühen 1980er-Jahre. Piet Blom entwarf sie als Bauskulptur. Wie man im beispielhaften Museum House mit seinen spitzen Ecken, kippenden Wänden und steilen Treppen sehen kann, ging’s hier weniger ums menschliche Behagen. Das hole ich mir nachmittags an Bord beim Marmorkuchen. Und wir fließen mit dem Wasser durch einige Schleusen weiter Richtung Belgien.
Tag 5: Heute summt den ganzen Tag dieses alte Chanson von Jacques Brel in meinem Kopf: „Ay, Marieke, Marieke“, die der Barde liebte „entre les tours de Bruges et Gand“. Zwischen den Türmen von Brügge und Gent hat sich viel geändert. Das einst so reiche und bedeutende Gent zeigt bröckelige Fassaden. Und doch gefällt mir der leicht morbide Charme dieser ostflämischen Metropole viel besser als das allzu schnuckelige Brügge, das seine Geschäfte mit dem Massentourismus macht, mit Kitsch handelt und mir an jeder Ecke „best Belgian chocolat“, Waffeln und Bier aufdrängen will. Müde kehre ich in den Schoß des Schiffes zurück. Heute Abend gibt’s „Cucina Italiana“und eine kleine Zaubershow. Manche sollen nachts noch auf dem windigen Sonnendeck getanzt haben. Wenn man Glück hat, heißt es, greift Kapitän Albert Jan van Elburg selbst zur E-Gitarre und rockt das Boot.
Tag 6: Ein ganzer Tag im blühenden Antwerpen: Da freut sich der Flaneur. Statt einen Ausflug zu buchen, laufe ich allein zum palastartigen Haus von Barockmeister Rubens, folge dann dem Jazz von ein paar Straßenmusikern und laufe in die falsche Richtung. Aber ein Irrweg kann auch zu Entdeckungen führen. Ich stärke mich an einer Bude mit Lizzy‘s köstlichen Fritten und finde zufällig das kuriose Museum der Familie Mayer van den Bergh, das Anfang des 20. Jahrhunderts eingerichtet wurde wie ein Renaissancehaus – mit Rokoko-Salon. Auf dem Weg zurück zum Schiff genieße ich noch den Blick aus der zehnten Etage des mit Wellenglas verkleideten Museums aan de Stroom, kurz MAS. Spektakulär!
Rheingold auf den Wellen
Tag 7: Nach einem kleinen Spaziergang durchs verregnete Nijmegen legen wir schon mittags wieder ab – zur letzten Etappe. Vater Rhein hat uns wieder. Noch einmal spürt man die Geborgenheit eines Schiffes. Unter der Brücke von Emmerich kommt tatsächlich die Sonne zum Vorschein und zaubert Rheingold auf die Wellen. Die Liegestühle werden augenblicklich benutzt, es gibt ja Decken. Morgen früh wird uns das Schiff in Köln wieder ausspucken, CruiseManager Atze wird uns ein letztes Mal seinen Gruß „Bis denne, ciao, ciao!“zurufen. Ich gönne mir im Mini-Spa eine balinesische Gesichtsmassage mit dem Titel „Meereswoge“und tröste mich am Dinnerbüffet mit Tiramisu und Marillenknödeln, die Chefkoch Klaus Hartwig zum Abschied reichlich serviert. In der Lounge spielt DJ Kay was von Andrea Berg, die bunten Lichter zucken in der Tanzecke. Madame ist zufrieden, und alles bleibt im Fluss.