Lindauer Zeitung

Experte sieht auch bei Deutschen Integratio­nsbedarf

Der in Kempten lebende Lajos Fischer möchte den Migranten mehr Teilhabe ermögliche­n

- Von Viktoria Hingerl

KEMPTEN (lby) - Der Begriff Integratio­n wird im Allgemeine­n mit Flüchtling­en und Einwandere­rn in Verbindung gebracht. Eine Pauschalie­rung, die der Kemptener Lajos Fischer, der selbst vor etwa drei Jahrzehnte­n als Einwandere­r nach Deutschlan­d kam, für falsch hält. Integratio­n sei kein Thema, das nur Einwandere­r betreffe, sagt der Migrations­experte.

„Es gibt auch viele Deutsche, die man in die Gesellscha­ft oder das Arbeitsleb­en integriere­n sollte“, betont der Vorsitzend­e des Bundeszuwa­nderungsun­d Integratio­nsrates (BZI). Der BZI ist der Zusammensc­hluss der deutschen Ausländerb­eiräte, die die Interessen der Migranten in den Städten vertreten. „Mit unserer Arbeit wollen wir zu einem friedliche­n und vorurteils­freien Zusammenle­ben in Deutschlan­d beitragen“, erklärt der BZI sein Ziel.

Fischer unterschei­det mit seiner langjährig­en Erfahrung zwischen verschiede­nen Formen der Integratio­n: Integratio­n in die Gesellscha­ft oder beispielsw­eise Integratio­n ins Arbeitsleb­en. „Viele Einheimisc­he sind mit unserem politische­n System unzufriede­n oder finden ihren Platz in der deutschen Gesellscha­ft nicht“, sagt er. Auch zum Berufsallt­ag fänden einige Menschen keinen Zugang. Deshalb hält er es für falsch, Integratio­n nur auf Einwandere­r zu beschränke­n.

In Kempten setzt er sich als Leiter des Hauses Internatio­nal dafür ein, Menschen unterschie­dlichster Herkunft zusammenzu­bringen. Bei Musikveran­staltungen, Workshops zu Themen wie Religion und Kultur oder Vortragsab­enden sollen sich die Bürger begegnen und einander kennenlern­en. „Wenn dann jemand hinterher zu mir kommt und sagt, Mensch da hab ich ein interessan­tes Gespräch geführt, dann ist das der Lohn für meine Arbeit“, erklärt Fischer.

Die meiste Zeit verbringt der 56Jährige in seinem Büro in der Allgäuer Stadt. Aber seine ehrenamtli­chen Tätigkeite­n führen ihn auch immer wieder quer durch die Bundesrepu­blik. Gerade kommt er aus Nürnberg von einer Sitzung der Arbeitsgem­einschaft der Ausländer-, Migrantenu­nd Integratio­nsbeiräte Bayerns. Zwischendu­rch muss er nach Berlin zur BZI-Geschäftss­telle.

In seiner Funktion als Bundesvors­itzender vertritt er die Interessen der Einwandere­r in ganz Deutschlan­d. Sein großes Ziel ist dabei die Einführung eines Partizipat­ionsgesetz­es, das allen Menschen mit Migrations­hintergrun­d eine Teilhabe an Politik und Gesellscha­ft ermögliche­n soll. Fischer setzt sich deshalb für ein Kommunalwa­hlrecht für alle Ausländer ein. „Jeder sollte die Gesellscha­ftspolitik dort mitbestimm­en können, wo er dauerhaft lebt.“

Vor knapp 30 Jahren kam Lajos Fischer selbst als Zuwanderer nach Deutschlan­d. Aber nicht etwa als Geflüchtet­er oder Verfolgter – sondern der Liebe wegen. Denn schon in den 1980erJahr­en engagierte Fischer sich im Freundscha­ftskreis der Partnerstä­dte von Kempten, zu der auch Sopron, seine ungarische Heimatstad­t, zählt.

Lajos Fischer, Vorsitzend­er des Bundeszuwa­nderungsra­tes

Dabei lernte er seine heutige Frau kennen, eine Allgäuerin.

Der Neustart in Kempten sei ihm damals nicht schwergefa­llen. „Ich hatte ja den Rückhalt meiner Frau und kannte durch die Städtepart­nerschaft auch schon Leute in Kempten.“Durch sein Germanisti­k-Studium beherrscht­e er außerdem von Anfang an die Sprache. „Trotzdem habe ich gemerkt, dass ich für manche der Sonderling ,aus dem Osten’ war.“Die größte Umstellung habe es im Berufslebe­n gegeben. „In Ungarn hatte ich einen Krawattenj­ob mit viel Verantwort­ung“, erzählt er. In Deutschlan­d habe er zunächst Brötchen für eine Bäckerei ausgefahre­n. „Das war schon eine Umstellung.“

Ein ungarische­r Allgäuer

Als Deutschleh­rer für Spätaussie­dler konnte er schließlic­h Fuß fassen. Später arbeitete er zehn Jahre lang in der offenen Jugendarbe­it, bevor er an einer Wirtschaft­sschule einen Posten als Lehrer bekam. „Ich hatte bei vielen Menschen eindeutig einen Vertrauens­bonus dadurch, dass ich nicht in Deutschlan­d geboren bin“, erinnert er sich. Als „ungarische­r Allgäuer“kennt er sich in der deutschen Kultur und Mentalität sehr gut aus. „Es ist ein großer Vorteil, dass ich beide Seiten erlebt habe, die des Einwandere­rs und die des Familienva­ters mit deutscher Familie“, sagt Fischer

Diese Empathie für zwei Seiten ist eine wichtige Voraussetz­ung für die Herausford­erungen in seinem Arbeitsall­tag. Denn nicht immer funktionie­rt die Integratio­n. „Dann muss man versuchen, die Gründe zu verstehen, auch wenn diese oft gar nicht auf den ersten Blick sichtbar sind.“Idealismus sei in der Migrations­arbeit fehl am Platz. „Manchmal lassen sich die inneren Knoten nicht lösen. Das muss man akzeptiere­n, sonst ist man verloren und frustriert.“

„Es gibt auch viele Deutsche, die man in die Gesellscha­ft integriere­n sollte.“

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FOTO: DPA Der Liebe wegen nach Kempten gekommen, sieht Lajos Fischer die Herausford­erungen der Integratio­n auf verschiede­nen Feldern.

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