Experte sieht auch bei Deutschen Integrationsbedarf
Der in Kempten lebende Lajos Fischer möchte den Migranten mehr Teilhabe ermöglichen
KEMPTEN (lby) - Der Begriff Integration wird im Allgemeinen mit Flüchtlingen und Einwanderern in Verbindung gebracht. Eine Pauschalierung, die der Kemptener Lajos Fischer, der selbst vor etwa drei Jahrzehnten als Einwanderer nach Deutschland kam, für falsch hält. Integration sei kein Thema, das nur Einwanderer betreffe, sagt der Migrationsexperte.
„Es gibt auch viele Deutsche, die man in die Gesellschaft oder das Arbeitsleben integrieren sollte“, betont der Vorsitzende des Bundeszuwanderungsund Integrationsrates (BZI). Der BZI ist der Zusammenschluss der deutschen Ausländerbeiräte, die die Interessen der Migranten in den Städten vertreten. „Mit unserer Arbeit wollen wir zu einem friedlichen und vorurteilsfreien Zusammenleben in Deutschland beitragen“, erklärt der BZI sein Ziel.
Fischer unterscheidet mit seiner langjährigen Erfahrung zwischen verschiedenen Formen der Integration: Integration in die Gesellschaft oder beispielsweise Integration ins Arbeitsleben. „Viele Einheimische sind mit unserem politischen System unzufrieden oder finden ihren Platz in der deutschen Gesellschaft nicht“, sagt er. Auch zum Berufsalltag fänden einige Menschen keinen Zugang. Deshalb hält er es für falsch, Integration nur auf Einwanderer zu beschränken.
In Kempten setzt er sich als Leiter des Hauses International dafür ein, Menschen unterschiedlichster Herkunft zusammenzubringen. Bei Musikveranstaltungen, Workshops zu Themen wie Religion und Kultur oder Vortragsabenden sollen sich die Bürger begegnen und einander kennenlernen. „Wenn dann jemand hinterher zu mir kommt und sagt, Mensch da hab ich ein interessantes Gespräch geführt, dann ist das der Lohn für meine Arbeit“, erklärt Fischer.
Die meiste Zeit verbringt der 56Jährige in seinem Büro in der Allgäuer Stadt. Aber seine ehrenamtlichen Tätigkeiten führen ihn auch immer wieder quer durch die Bundesrepublik. Gerade kommt er aus Nürnberg von einer Sitzung der Arbeitsgemeinschaft der Ausländer-, Migrantenund Integrationsbeiräte Bayerns. Zwischendurch muss er nach Berlin zur BZI-Geschäftsstelle.
In seiner Funktion als Bundesvorsitzender vertritt er die Interessen der Einwanderer in ganz Deutschland. Sein großes Ziel ist dabei die Einführung eines Partizipationsgesetzes, das allen Menschen mit Migrationshintergrund eine Teilhabe an Politik und Gesellschaft ermöglichen soll. Fischer setzt sich deshalb für ein Kommunalwahlrecht für alle Ausländer ein. „Jeder sollte die Gesellschaftspolitik dort mitbestimmen können, wo er dauerhaft lebt.“
Vor knapp 30 Jahren kam Lajos Fischer selbst als Zuwanderer nach Deutschland. Aber nicht etwa als Geflüchteter oder Verfolgter – sondern der Liebe wegen. Denn schon in den 1980erJahren engagierte Fischer sich im Freundschaftskreis der Partnerstädte von Kempten, zu der auch Sopron, seine ungarische Heimatstadt, zählt.
Lajos Fischer, Vorsitzender des Bundeszuwanderungsrates
Dabei lernte er seine heutige Frau kennen, eine Allgäuerin.
Der Neustart in Kempten sei ihm damals nicht schwergefallen. „Ich hatte ja den Rückhalt meiner Frau und kannte durch die Städtepartnerschaft auch schon Leute in Kempten.“Durch sein Germanistik-Studium beherrschte er außerdem von Anfang an die Sprache. „Trotzdem habe ich gemerkt, dass ich für manche der Sonderling ,aus dem Osten’ war.“Die größte Umstellung habe es im Berufsleben gegeben. „In Ungarn hatte ich einen Krawattenjob mit viel Verantwortung“, erzählt er. In Deutschland habe er zunächst Brötchen für eine Bäckerei ausgefahren. „Das war schon eine Umstellung.“
Ein ungarischer Allgäuer
Als Deutschlehrer für Spätaussiedler konnte er schließlich Fuß fassen. Später arbeitete er zehn Jahre lang in der offenen Jugendarbeit, bevor er an einer Wirtschaftsschule einen Posten als Lehrer bekam. „Ich hatte bei vielen Menschen eindeutig einen Vertrauensbonus dadurch, dass ich nicht in Deutschland geboren bin“, erinnert er sich. Als „ungarischer Allgäuer“kennt er sich in der deutschen Kultur und Mentalität sehr gut aus. „Es ist ein großer Vorteil, dass ich beide Seiten erlebt habe, die des Einwanderers und die des Familienvaters mit deutscher Familie“, sagt Fischer
Diese Empathie für zwei Seiten ist eine wichtige Voraussetzung für die Herausforderungen in seinem Arbeitsalltag. Denn nicht immer funktioniert die Integration. „Dann muss man versuchen, die Gründe zu verstehen, auch wenn diese oft gar nicht auf den ersten Blick sichtbar sind.“Idealismus sei in der Migrationsarbeit fehl am Platz. „Manchmal lassen sich die inneren Knoten nicht lösen. Das muss man akzeptieren, sonst ist man verloren und frustriert.“
„Es gibt auch viele Deutsche, die man in die Gesellschaft integrieren sollte.“