Fronten im Asylstreit der Union verhärtet
Weichenstellende Sitzung des CSU-Vorstands erwartet – Oettinger kritisiert Seehofer
BERLIN - Unmittelbar vor entscheidenden Gremiensitzungen in Berlin und München bleiben die Fronten im Asylstreit verhärtet. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) betonte am Wochenende erneut die Bedeutung einer EU-weiten Lösung, Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) dringt auf baldige Schritte.
„Wir stehen vor einer ernsten Situation, was den Zusammenhalt in Deutschland, in Europa und in der Union anbelangt“, mahnte CDU-Ge- neralsekretärin Annegret KrampKarrenbauer in der „Bild am Sonntag“. Seehofer hat damit gedroht, im Alleingang Flüchtlinge, die bereits in einem anderen EU-Land einen Asylantrag gestellt haben, an der Grenze zurückzuweisen. Bereits am heutigen Montag will er mit dem CSUVorstand darüber beraten und sich grünes Licht für seine Pläne geben lassen.
Die Einschätzungen, wie hart die Konfrontation zu Wochenbeginn werden würde, gingen auseinander. Laut „Welt am Sonntag“soll Seehofer am Donnerstag hinter verschlos- senen Türen über Merkel gesagt haben: „Ich kann mit der Frau nicht mehr arbeiten.“Ein Dementi folgte auf dem Fuße.
EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) kritisierte im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“Seehofer für seine Umgangsformen gegenüber der Kanzlerin. Diese seien „nicht akzeptabel“, sagte der frühere baden-württembergische Ministerpräsident. Er befürchtet eine Eskalation nach den Gremiensitzungen von CDU und CSU: „Da sind zwei Züge, die auf demselben Gleis aufeinander zufahren.“
Baden-Württembergs Innenminister und CDU-Bundesvize Thomas Strobl hat die CSU heftig kritisiert: „Die Behauptung, wir lebten in einem rechtsfreien Raum, ist wirklich eins zu eins das unsinnige Geschwätz von der AfD“, so Strobl. Trotz dieses scharfen Tons glaubt CSU-Vize Manfred Weber an ein versöhnliches Zeichen aus dem CSUVorstand. Der Vorsitzende der EVPFraktion im Europaparlament sagte der „FAZ“: „Auch wir wollen eine europäische Lösung der Migrationsherausforderung.“
UHLDINGEN-MÜHLHOFEN - EUHaushaltskommissar Günther Oettinger arbeitet derzeit an der Finanzplanung der Europäischen Union für 2021 bis 2027. Vor allem der EU-Ausstieg Großbritanniens erschwert die Budgeterstellung. In UhldingenMühlhofen trafen Hendrik Groth und Daniel Hadrys den früheren Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, der beim Bodensee-Business-Forum von Schwäbisch Media am 20. September in Friedrichshafen über die Herausforderungen und Risiken in der EU referieren wird. Im Interview während der „BodenseeKonferenz“ging es am Samstag zunächst um den Streit innerhalb der CDU/CSU über die Migration.
Herr Oettinger, sorgen Sie sich als EU-Kommissar um die Bundesregierung?
Wir haben eine Kommission, die sehr kohärent und homogen arbeitet. Und wir haben ein Parlament, das in der klaren Mehrheit pro-europäisch entscheidet. Ich mache mir schon Sorgen, dass immer mehr Regierungen und Mitgliedsstaaten nicht stabil sind. Unsere Erwartung und Hoffnung war, ist und bleibt, dass Deutschland eine stabile Regierung hat. Innere Streitpunkte würden gerade jetzt auf dem Weg zur Europawahl im Mai nächsten Jahres die Handlungsfähigkeit Europas deutlich einschränken.
Gibt es dafür einen Verantwortlichen, oder sind das CSU-Chef Horst Seehofer und die Bundeskanzlerin Angela Merkel gleichermaßen?
Ich will mich in den Streit in Berlin nicht einmischen. Horst Seehofer hat ein paar gute Argumente. Aber die Umgangsformen und die Dringlichkeit sind nicht akzeptabel. Die Kanzlerin hätte eine Chance, gemeinsam mit Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos und anderen einen großen Entwurf Ende Juni zum Thema Migration und Asyl zu verabschieden. Die sollte man ihr geben. Und nicht darauf drängen, dass jetzt in Berlin Maßnahmen ergriffen werden, die eine europäische Lösung erschweren.
Befürchten Sie einen Showdown Anfang kommender Woche in Deutschland?
Das halte ich für denkbar. Am Montag tagt der CSU-Vorstand in München und der CDU-Vorstand außerordentlich in Berlin. Da sind zwei Züge, die auf demselben Gleis aufeinander zufahren.
Sie arbeiten derzeit an den langfristigen EU-Haushaltsplanungen. Wie kann die EU-Kommission vermitteln, dass nach dem wahrscheinlichen Ausstieg Großbritanniens (Brexit) mehr Kosten auf Nettozahler wie Deutschland zukommen?
Es gibt genügend Aufgaben, die man sinnvollerweise europäisch organisiert und finanziert, beispielsweise bei der Verteidigungsforschung. Eine Drohne für die Armee erforscht man besser einmal als zehnmal parallel. Ein Außengrenzschutz in Bulga- rien, Griechenland, Malta und Zypern, Italien, Spanien oder Polen ist im Interesse aller Mitgliedsstaaten. Das gilt auch für Projekte im Bereich der Inneren Sicherheit. Daher wollen wir darum bitten, dass die Mitglieder ein bisschen mehr einzahlen, um die Brexit-Lücke zum Teil zu schließen und sinnvolle neue Aufgaben finanzieren zu können. Die einzige Ebene, die gar keine Schulden machen darf, sind wir. Wir haben Null Schulden auf europäischer Ebene. Von 100 Euro, die versteuert werden müssen, sollen künftig 1,11 Euro, statt bisher einem Euro, an die EU gehen – das würde ausreichen, um unsere Aufgaben zu finanzieren.
Wie bewertet die EU den Stand der Brexit-Verhandlungen? In London geht es hin und her. Viel Zeit bleibt nicht.
Die Frage der Grenze zwischen Irland und Nordirland ist kaum lösbar. Die steht im Vordergrund. Die britische Premierministerin Theresa May muss sich entscheiden, ob sie ihre Richtlinienkompetenz wahrnimmt und einen sinnvollen Brexit oder einen harten Brexit für Boris Johnson und Co. organisiert. Es ist ihre Führung. EU-Chefunterhändler Michel Barnier und wir sind auf einen intelligenten Brexit vorbereitet. Am besten wäre es, wenn die Briten in der Zollunion bleiben würden. Ich habe aber derzeit nicht den Eindruck, dass Theresa May stark genug ist, um diese Führung im Unterhaus und ihrer Partei gegenüber zu organisieren.
Rechnen Sie mit einem ungeordneten Brexit?
Nein. Wir rechnen mit einem geordneten Brexit. Aber dafür muss Mays Regierung schnell in die Gänge kommen und zu Kompromissen bereit sein.
Vermissen Sie mehr deutsches Entgegenkommen in Richtung Frankreich? Ist in der deutschen Politik klein/klein angesagt, während der französische Präsident Emmanuel Macron in großen Dimensionen denkt?
Macron hat alleine die Wahlen gewonnen. Macron war ein Start-Up, er hat seine Bewegung ausgerollt nach Lyon, Grenoble, Lille und Bordeaux. Er hat aus Berlin endlich Antworten verdient, aber nicht im Sinne von: „Das nicht, das vielleicht, das gar nicht.“Es geht primär nicht um Geld. Es geht um Ideen. Sie bedürfen einer deutschen positiven Antwort. Ich hoffe, dass die Kanzlerin und mit ihr Finanzminister Olaf Scholz Macron bei Vielem zustimmen, in einigen Themen übertreffen und andere Themen absagen. Wir brauchen mehr Europa auf der Ebene unserer Regierungschefs.
Kann Macron in der derzeitigen Situation überhaupt eine solche Antwort aus Berlin erwarten?
Unsere Erwartung ist, dass eine deutsche Regierung trotz des Streits zwischen CSU und CDU handlungsfähig bleibt. Wir brauchen bis zur Europäischen Wahl ein Zeitfenster, das wir nutzen. Das geht nur, wenn die Kanzlerin ein Mandat wahrnimmt und sich auch durchsetzt – und mit Macron die Europäische Union und die Kommission nach vorne bringt.