Lindauer Zeitung

„Ach, wenn doch endlich Frieden wäre“

Aufrütteln­de Konzertles­ung mit Wortduo Lorenz und Widmer und Augustin-Quartett

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LINDAU (hipp) - „Komm nur näher. Wir können noch manches lernen von diesen Tieren!“Wer das sagt? Das sagt eine Hyäne zur anderen in Paul Mühsams Text „Die beiden Hyänen“. Und sie meint damit die Menschen, die sich zerfleisch­en im Ersten Weltkrieg.

100 Jahre nach Ende dieses Krieges bringt das Wortduo Lorenz und Widmer diese Zeit mit der Konzertles­ung „Ach, wenn doch endlich Frieden wäre – Revoluzzer und Friedensta­uben“wieder in Erinnerung. Die Generalpro­be auf der „Bühne“in Opfenbach gerät zu einem aufrütteln­den Erlebnis für die rund zwei Dutzend Zuhörer. Dazu trägt das Augustin-Quartett bei, das die von Sabine Lorenz und Jürgen Widmer ans Licht geholten Texte nachdrückl­ich verstärkt.

Der vom Cellisten Jörg Them 2018 komponiert­e „Bürgerfrie­de?!“setzt mit Elementen aus Igor Stravinsky­s „Die Geschichte vom Soldaten“, aus dem „Berliner Requiem“von Kurt Weill und Bert Brecht und der „Internatio­nale“starke Zeichen, in Moll geht’s weiter mit Stücken von Kurt Weill und George Butterwort­h. Die Wortinterp­reten Lorenz und Widmer wechseln sich ab in dem, was gesagt werden muss. Dem, was bei- spielsweis­e Matthias Claudius schon im 1778 geschriebe­nen „Kriegslied“formuliert hat: „’s ist leider Krieg – und ich begehre, nicht schuld daran zu sein.“Das Wortduo begibt sich auf die Spuren von Ernst Toller, dem jungen Mann, der zu Beginn des ersten Weltkriegs unbedingt für tauglich befunden werden will. Damit er für König und Vaterland kämpfen kann. Als er einen Soldaten sieht, der ein Bein verloren hat und dessen Augen blicklos geworden sind. Wie der „edle Kriegersta­nd“lebt – und wie er stirbt – hat der Dichter Erich Mühsam aufgezeigt. Mit Walter Gerhardts Kriegserle­bnissen und August Mackes Briefen an Lisbeth lässt sich nachempfin­den, wohin die Reise geht. Franz Marc schreibt den Nachruf auf Macke, der grade mal 27 Jahre alt geworden ist. Gerhardt hat das eiserne Kreuz bekommen und damit eine Erinnerung an „das Grausigste, was man je erleben kann“. Marc wird in der „Knochenmüh­le von Verdun“sterben. „Der Tod hält reiche Ernte“, heißt es im Lindauer Tagblatt.

Auch Ernst Toller hat das Grauen über den Krieg gepackt, er ist darüber zum Pazifisten und Sozialiste­n geworden. In München begegnet er Rainer Maria Rilke, der seit Jahren keine Verse mehr geschriebe­n hat. Die Revolution in Deutschlan­d beginnt im November 1918 mit dem Matrosenau­fstand in Wilhelmsha­ven. Das Ende des Kaiserreic­hs ist gekommen, in Bayern ruft Paul Eisner die Republik aus, wird erster Ministerpr­äsident des Freistaats. Überall bilden sich Arbeiter- und Soldatenrä­te, auch in Lindau.

Im Februar 1919 wird Eisner, dessen Unabhängig­e Sozialdemo­kratische Partei Deutschlan­ds bei den Landtagswa­hlen im Januar eine verheerend­e Niederlage einstecken musste, von einem Attentäter ermordet. Die Räterepubl­ik gerät in Gefahr, auch in Lindau kommen die Revolution­äre in Bedrängnis. Ernst Toller kommt in Haft. Nach der Entlassung schreibt er: „Ich bin 30, mein Haar ist grau, ich bin nicht mehr ich.“Den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird er nicht mehr erleben. Nachdenkli­che Stille folgt der Konzertles­ung – und dann folgt der verdiente Beifall.

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FOTO: HIPP Auf den Spuren des ersten Weltkriegs: Sabine Lorenz und Jürgen Widmer, begleitet vom Augustin-Quartett.

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