Wut auf Abschiebepraxis
Unternehmerinitiative aus der Region wächst weiter
LEUTKIRCH (se) - Die von Unternehmen aus dem Südwesten gegründete „Initiative für Bleiberecht“wächst weiter. Bei einem Treffen in Leutkirch beschlossen die Mitglieder am Mittwoch, die Initiative ab sofort auf ganz Deutschland auszuweiten. Mittlerweile gehören ihr über 100 Unternehmen an. Sie setzen sich gegen die Abschiebung von Flüchtlingen mit festem Job ein – und dafür, dass diese auch ohne positiven Asylbescheid ein Bleiberecht in Deutschland erhalten. Bei einer Podiumsdiskussion beschrieben mehrere beteiligte Unternehmer die Schwierigkeiten, die ihnen die Abschiebung qualifizierter Mitarbeiter bereite.
Auch die Handwerkskammer (HWK) Ulm sprach sich gegen die Abschiebung von Fachkräften aus. Angesichts des Fachkräftemangels sei es „doof“, qualifizierte Menschen wegzuschicken, erklärte HWKHauptgeschäftsführer Tobias Mehlich.
LEUTKIRCH - Markus Winter klingt erst aufgebracht, dann wütend, dann stinksauer. Erst sagt er: „Helfen Sie uns dabei, die Unternehmen zu erhalten!“Er sitzt, mit einem Mikrofon in der Hand, auf der Bühne in einem Saal der Brauerei Härle in Leutkirch. Dann blickt Winter, Geschäftsführer des Industriedienstleisters Ids Holding aus Unteressendorf im Landkreis Biberach, zu den beiden Politikern, die vor ihm sitzen und ruft: „Geben Sie etwas zurück!“Und dann: „Tun Sie etwas für uns!"
Die zwei Politiker sind Axel Müller, Bundestagsabgeordneter der CDU aus dem Wahlkreis Ravensburg, und Daniel Lede-Abal, der für die Grünen im Landtag in Stuttgart sitzt. Winter will von ihnen etwas zurück, weil er sagt, als Unternehmer habe er in den vergangenen Jahren viel investiert. Er hat Dutzende Flüchtlinge in seinem Betrieb ausgebildet und angestellt, ihnen den Einstieg in die deutsche Gesellschaft ermöglicht. Und jetzt droht vielen, die es geschafft haben, die Abschiebung.
Winter spricht auf dem Schlusspodium eines Treffens der „Initiative für Bleiberecht“. Ihr Ziel: Flüchtlinge, die arbeiten und sich gut integriert haben, sollen nicht mehr abgeschoben werden. Gestartet haben die Initiative Anfang des Jahres Antje von Dewitz, Geschäftsführerin des Bergsport-Ausrüsters Vaude aus Tettnang, und Gottfried Härle, Chef der gleichnamigen Brauerei.
Sie haben damit offensichtlich einen schmerzenden Nerv getroffen: Binnen weniger Wochen haben sich Dutzende Unternehmen aus BadenWürttemberg angeschlossen. Inzwischen sind über 100 Firmen dabei, bei denen insgesamt 2000 Flüchtlinge als Angestellte oder Auszubildende arbeiten. Bei dem Treffen in Leutkirch haben die Mitglieder beschlossen, die „Initiative für Bleiberecht“auf ganz Deutschland auszuweiten und eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) aus ihr zu machen.
Der Frust über den Masterplan
Es brodelt bei vielen Betrieben in Südwesten. Gut 40 Menschen sind nach Leutkirch gekommen – und viele sind so wütend wie IDS-Geschäftsführer Markus Winter. „Welcher Wirtschaft soll das denn nutzen?“ruft ein Teilnehmer vor der Tür, als er mit seinem Nebenmann über die Asylpolitik der Bundesregierung spricht. Und als wenig später Härle das Podium eröffnet, lässt er selbst erst einmal seinen Frust heraus über den „Masterplan Migration“aus dem Bundesinnenministerium von Horst Seehofer (CSU), in dem es seitenlang um Grenzschutz geht und fast gar nicht um Integration. Härle beschäftigt vier Flüchtlinge, im August beginnt ein fünfter.
Neben Härle auf dem Podium sitzt Vaude-Geschäftsführerin von Dewitz. Sie spricht aus, was offensichtlich vielen Unternehmern gewaltig auf den Magen schlägt: dass sie einen gewaltigen Beitrag geleistet haben zur Mission „Wir schaffen das“– zur Integration Hunderttausender Flüchtlinge, zu der Bundeskanzlerin Angela Merkel im Spätsommer 2015 das Land ermutigt hat. Und dass Behörden den Unternehmen jetzt viele von denen, die es geschafft haben, wieder wegnimmt.
Vaude beschäftigt in seiner Produktion zwölf Flüchtlinge. Sieben davon drohe die Abschiebung, erzählt von Dewitz. Als Vaude begonnen hat, Flüchtlinge einzustellen, sei die Skepsis in der Belegschaft groß gewesen – bis hin zu offener Ablehnung. Die Belegschaft sei eben ein „Mikrokosmos“, der die Breite der Gesellschaft abbilde. Doch als nun, im vergangenen September Winfried Kretschmann Vaude besuchte, hätten Mitarbeiter den Ministerpräsidenten mit Fragen dazu gelöchert, was er gegen die Abschiebung der Kollegen tun könne. „Diese Menschen sind ein Plusfaktor“, sagt von Dewitz über die Flüchtlinge. „Sie haben das Klima in der Manufaktur gehoben.“Jedes Mal, wenn einem Kollegen die Abschiebung drohe, sinke die Produktivität.
Gegen einen Vorwurf wehrt sich von Dewitz vehement. Es sei ein „Vorurteil“, dass die Unternehmen die Flüchtlinge ausnutzen würden, um schlechter bezahlte Arbeitskräfte zu bekommen. Gleiches Geld für gleiche Arbeit – das gelte natürlich auch für Geflüchtete. Das Problem sei ein anderes, für Unternehmer hochdramatisches: Fachkräftemangel. In Deutschland, sagt von Dewitz, finde man eben kaum mehr Näher und Schweißer. Wenn Vaude eine Stelle in der Manufaktur ausschreibe, bekomme man höchstens zwei Bewerbungen. Auf eine Stelle in der Verwaltung seien es bis zu 70.
Karin Schmid, Geschäftsführerin Bildung und Mitgliedschaft der Handwerkskammer (HWK) Ulm, sagt auf dem Podium über die Flüchtlinge in Betrieben: „Diese Menschen nehmen keinem Deutschen einen Arbeitsplatz weg.“Von Dewitz wird drastischer: „Wenn wir Flüchtlinge zurückschicken, die in Produktionen tätig sind, dann haben wir bald kein Made in Germany mehr.“
Acht Jahre bis zum Bleiberecht
Den Firmenchefs, die mitmachen bei der „Initiative für Bleiberecht“, geht es vor allem um eines: Es müsse für Flüchtlinge mit festem Arbeitsplatz einfacher werden, dauerhaft in Deutschland zu bleiben. Bisher muss ein Zuwanderer mit festem Job und guten Sprachkenntnissen in aller Regel acht Jahre lang im Land sein, um – unabhängig vom Asyltitel – ein Bleiberecht zu erhalten. Wer minderjährige Kinder hat, muss dafür mindestens sechs Jahre im Land sein.
Das heißt: Einem Arbeiter, der fünf Jahre hier ist, droht trotz festen Jobs die Abschiebung. Winter sagt, wieder an die Politiker auf dem Podium: „Wir haben in diese Leute investiert, wir haben sie ausgebildet, dafür brauchen wir Lösungen!“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Axel Müller sagt, jetzt brauche es vor allem Rechtssicherheit: für die Flüchtlinge, für die Unternehmer, die sie beschäftigen – und für all jene Menschen im Land, die sich „erheblich verunsichert“fühlten. Müller verweist auf das Einwanderungsgesetz, über das Deutschland seit Jahrzehnten diskutiert – und auf das sich die Regierung nun geeinigt hat. Als er sagt, dass der Gesetzentwurf aus dem Innenministerium erst Ende 2018 vorliegen soll, schnauben viele im Publikum, hörbar genervt. Ein Einwanderungsgesetz reiche doch nicht aus, sagt der Rechtsanwalt Rudy Haenel aus Konstanz, der ebenfalls auf dem Podium sitzt. Schon gar nicht für diejenigen Flüchtlinge, die schon im Land sind.
Daniel Lede-Abal, der migrationspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag ist, will mehr Möglichkeiten für einen „Spurwechsel“vom Asylverfahren hin zu einer dauerhaften Aufenthaltsgenehmigung. Gut integrierte Mitarbeiter abzuschieben sei „schädlich für die Region, für die Menschen, für die Betriebe“.
Müller sagt, zum Ende der Podiumsdiskussion: „Die geltende Rechtslage reicht nicht.“Und: „Wir müssen was bieten.“
Keiner im Publikum klatscht. Aber ein paar nicken.