Lindauer protestieren lautstark gegen aktuelle Asylpolitik
Pfeifkonzert begleitet Ministerpräsident Söder auf seinem Weg in die Inselhalle
- Es ist ein buntes Spektrum, das sich am Mittwochnachmittag vor und oberhalb der Inselhalle zusammenfindet: junge Leute, Geschäftsinhaber, Hausfrauen, ehemalige Lehrkräfte, grün/bunte Kommunalpolitiker, Flüchtlingshelfer und Senioren, deren Familien vor über 70 Jahren selbst flüchten mussten. Dass Bayerns Ministerpräsident Markus Söder zur offiziellen Eröffnung der Inselhalle kommt, nutzen rund 250 Lindauer zu einer Demonstration – gegen Söders Politik in Bayern und vor allem gegen die aktuelle Asylpolitik.
Uli Epple zeichnet verantwortlich für diese Demonstration, die offiziell Auf der Mauer und dem Gehwegbereich entlang der Zwanzigerstraße stattfinden darf. Bedingt durch die Ferienzeit, rechnet er anfangs mit höchstens hundert Teilnehmern. Dass bei Söders Ankunft eine Stunde später rund 250 Lindauer demonstrieren, begeistert Epple.
Zu den ersten, die Auf die Mauer kommen, gehören die Geschwister Azizi: Ihr Bruder Farid ist im Juli mit 68 anderen Flüchtlingen nach Kabul abgeschoben worden. Zusammen mit ihrer Mutter wollen Fariha und ihr Bruder Fareidon auf das Schicksal Farids aufmerksam machen. Nicht nur Martina Achberger vom Kreisjugendring begleitet die Familie. Deutschlehrer Wolfgang Sutter hat Plakate vorbereitet. Da heißt es auch „Farid ist Lindauer“.
Neben jenen Demonstranten, die grundsätzlich gegen Rassismus und die Politik der CSU sind, finden sich vor allem viele Lindauer ein, die aktiv Flüchtlinge betreuen. Die Sprecherin des Lindauer Helferkreises Offene Türen ist genauso empört über die Asylpolitik wie Carsten Ruchholtz und seine Frau Marlies: Für die 76Jährige ist es die erste Demonstration ihres Lebens. Doch das Schicksal vieler Flüchtlinge und die aktuelle Abschiebepolitik wühlt die beiden Senioren auf. Sie haben bisher einen 22-jährigen Afghanen betreut, „der sehr lernwillig ist“, wie Ruchholtz sagt. Doch seit einer Woche haben sie nichts mehr von ihm gehört, wissen nicht, ob er abgeschoben wurde oder untergetaucht ist. Ruchholtz weiß, wie es sich anfühlt, ein Flüchtling zu sein: Seine Mutter sei am Ende des Zweiten Weltkriegs mit drei kleinen Kindern aus Stettin geflohen. In Dänemark sei die Familie in ein Flüchtlingslager gekommen, „heute sagt man wohl Ankerzentrum“.
Ihre Mitstreiterin Dorothea Cavadias ist genauso sauer über die aktuelle Flüchtlingspolitik: „Wir integrieren nicht – wir erzeugen depressive und später auch aggressive Menschen.“Der von ihr betreute Afghane arbeite seit einiger Zeit in einem Lindauer Industrieunternehmen. „Er hat doch glaubwürdig vor Gericht bewiesen, dass ihn die Taliban verfolgt haben.“Doch sowohl sein Asylantrag als auch sein Widerspruch wurden abgelehnt, schüttelt Cavadias den Kopf.
„3+2-Regelung stillschweigend aufgehoben“
Zunächst zur Demo kommt auch der Lindauer Stadtrat und Kreishandwerksmeister Uli Kaiser. Zu den Auszubildenden seines Malerbetriebs gehören auch ein junger Afghane und ein Palästinenser. „Die hängen angesichts der Asylpolitik hier total frustriert in den Seilen“, schildert Kaiser, „das ist einfach unmenschlich“. Wütend ist der Kreishandwerksmeister, dass die ursprüngliche 3+2-Regelung – dass Flüchtlinge nach drei Jahren Ausbildung noch zwei Jahre in diesem Beruf in Deutschland arbeiten dürfen – „stillschweigend aufgehoben wurde“. Kaiser weiß von Betrieben, die schon Ausbildungsverträge mit Flüchtlingen geschlossen hatten – und dann wurden die jungen Leute abgeschoben. „Diese ganze Abschieberei ist Schwachsinn!“, schimpft er, „wir brauchen diese Leute hier in unseren Firmen“.
Unter die Demonstranten gemischt hat sich auch der Deutsch-Syrer Adnan Wahhoud: Er hat mit Unterstützung vieler Lindauer in seinem Geburtsland medizinische Ambulanzen aufgebaut für jene Flüchtlinge, die ihr Land nicht verlassen wollen oder können, engagiert sich hier aber auch für geflüchtete Syrer. „Leute, die in Not sind, dürfen wir nicht einfach vor die Tür stellen“, so sein Protest gegen Abschiebungen.
Dass mit der Ankunft von Ministerpräsident Söder nicht nur ein gellendes Pfeifkonzert startet, sondern zahlreiche Demo-Teilnehmer doch über die Straße vor die Halle ziehen, lässt die Lindauer Polizei geschehen. Bereitschaftspolizisten aus Königsbrunn sorgen mit einer lockeren Kette dafür, dass die Demonstranten dem Inselhalleneingang nicht zu nahe kommen. „Wir haben ein Versammlungsrecht, und es ist das gute Recht der Menschen zu protestieren“, sagt der stellvertretende Dienststellenleiter Thomas Steur. Mit dem insgesamt ruhigen Verlauf der Demo ist er später zufrieden. Und Uli Epple letztlich sehr, sehr glücklich: „Ich hätte nicht gedacht, dass so viele kommen, um hier gegen Rassismus und Asylpolitik zu protestieren.“
„Diese ganze Abschieberei ist Schwachsinn!“Kreishandwerksmeister Uli Kaiser