EU weist Vorwürfe aus Italien zurück
Hunderte Anwohner müssen nach dem Brückeneinsturz ihre Häuser verlassen
BRÜSSEL (AFP) - Die EU-Kommission hat die Kritik der italienischen Regierung im Zusammenhang mit dem tödlichen Brückeneinsturz von Genua zurückgewiesen. Ein Kommissionssprecher sagte am Donnerstag, Brüssel habe Italien im Frühjahr dazu ermutigt, in seine Infrastruktur zu investieren. Haushaltskommissar Günther Oettinger erklärte, Italien solle für den Zeitraum von 2014 bis 2020 etwa 2,5 Milliarden Euro für Investitionen unter anderem in das Straßenund Schienennetz erhalten.
GENUA (dpa) - Auch mehr als 50 Stunden nach dem Brückeneinsturz mit Dutzenden Toten haben Bergungskräfte am Donnerstag in Genua noch nach weiteren Opfern unter den Trümmern gesucht. „Es könnte noch zehn bis 20 vermisste Personen geben“, sagte der leitende Staatsanwalt Francesco Cozzi am Donnerstag in der italienischen Hafenstadt. Angesichts der verstrichenen Zeit sei es „wenig wahrscheinlich, Überlebende zu finden“, zitierte Ansa den Regionalpräsidenten Giovanni Toti. Während eines Unwetters war am Dienstag ein Abschnitt des viel befahrenen Polcevera-Viadukts eingestürzt und hatte viele Fahrzeuge in die Tiefe gerissen.
Die Präfektur korrigierte am Donnerstag die Zahl der offiziell bestätigten Toten auf 38. Für sie soll es am Samstag ein Begräbnis geben und dann auch eine Staatstrauer gelten. Unter den Opfern sind mindestens drei Minderjährige im Alter von acht, zwölf und 13 Jahren. 15 Menschen sind der Präfektur zufolge verletzt, neun von ihnen befinden sich noch immer in kritischem Zustand.
Unterdessen verschärfte die Regierung ihre Vorwürfe gegen den Autobahnbetreiber Autostrade per l'Italia. Sie sieht die Verantwortung für die Katastrophe bei dem Unternehmen und will ihm die Lizenz für die Straße entziehen.
Die EU-Kommission stellte am Donnerstag klar, dass das auch als Morandi-Brücke bekannte Bauwerk Teil eines europäischen Fernstraßennetzes war und deshalb besonderen Prüf- und Sicherheitsauflagen der EU unterlag. Verantwortlich für die Umsetzung seien die italienischen Behörden. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bot Italien den Einsatz eines Expertenteams unter Leitung des Brückenexperten des Ministeriums, Gero Marzahn, an. Abermals wies die EUKommission Aussagen des italienischen Innenministers Matteo Salvini zurück, wonach Brüsseler Sparvorgaben für die marode Infrastruktur des Landes mitverantwortlich sein könnten. EU-Staaten könnten politische Prioritäten im Rahmen der geltenden Haushaltsregeln selbst festlegen, wiederholte der Sprecher.
Obdachlos nach der Tragödie
Der Autobahnbetreiber teilte am Donnerstag mit, er habe zwischen 2012 und 2017 mehr als eine Milliarde Euro jährlich in die Sicherheit und Instandhaltung investiert. Die Staatsanwaltschaft geht allerdings davon aus, dass die Katastrophe kein zufälliges Unglück war.
Der mehr als 40 Meter hohe Polcevera-Viadukt, der auch MorandiBrücke genannt wird, spannt sich unter anderem über Wohnhäuser, Gleisanlagen und Fabriken und ist seit Langem umstritten. Die Brücke ist Teil der Autobahn 10 und verbindet den Osten mit dem Westen der Stadt.
Die Tragödie hat Hunderte Menschen obdachlos gemacht: Sie mussten ihre Häuser nahe der Brücke aus Sicherheitsgründen verlassen. Regionalpräsident Toti erklärte laut Ansa am Donnerstag, dass die Häuser nicht wieder bewohnt werden können. In den nächsten Tagen sollen Häuser für die Betroffenen zur Verfügung gestellt werden.
Französische Justiz ermittelt
Inzwischen ermittelt auch die französische Justiz. Die Staatsanwaltschaft in Paris leitete eine Untersuchung wegen des Verdachts auf fahrlässige Körperverletzung und fahrlässige Tötung ein, wie die Behörde am Donnerstag auf Anfrage bestätigte. Grund ist, dass vier Franzosen unter den Opfern sind – in solchen Fällen im Ausland ist es üblich, dass sich französische Ermittler einschalten.
Bei dem Unglück sei auch ein Kolumbianer zu Tode gekommen, teilte das Außenministerium in Bogotá am Mittwoch mit. Medienberichten zufolge handelt es sich bei dem Todesopfer um einen 30-Jährigen, der als Vorstandsmitglied einer Jugendmannschaft von Inter Mailand tätig war.