Im Bett mit dem Blutsauger
Die gemeine Bettwanze wird zum Problem in Berghütten – Doch es gibt Lösungen
RAVENSBURG - Cimex lectularius ist ein gefräßiger kleiner Vampir. Geduldig sitzt das büroklammergroße Tierchen zwischen Matratzenfalten und wartet darauf, seinen Stechrüssel in die Haut müder Wanderer zu bohren. Ist das blutige Mahl vollendet, verkriecht sich die Bettwanze wieder, nur um dem nächsten Opfer aufzulauern. Zurück bleiben Kratzspuren und juckende Quaddeln. Jahrzehntelang galten die Parasiten als fast verschwunden, doch auf den Berghütten Süddeutschlands und Österreichs sind sie längst wieder ungebetene Gäste.
Immer wieder hat Anita Kraisser versucht, die kleinen Biester aus dem Anton-Karg-Haus, einer fast 120 Jahre alten Hütte im Kaisergebirge bei Kufstein, zu vertreiben. „Aber ständig mit der Chemiekeule zu kommen, wenn nachts Kinder in den Betten schlafen, das geht doch nicht“, sagt die Hüttenwirtin. Vor sechs Jahren schon habe sie die Rückkehr der Bettwanzen bemerkt, seither steht sie mit den Tierchen auf Kriegsfuß. „Ich habe alles über sie auswendig gelernt“, sagt sie. „Die sind hartnäckig. Sie überleben alles von plus 48 Grad bis minus 21 Grad.“
Tatsächlich sind Bettwanzen Überlebenskünstler. Männchen können bis zu zehn Monate lang ohne Nahrungsaufnahme überleben, die Tiere sind robust gebaut und extrem anpassungsfähig. Dass der Mensch auf ihrer Speisekarte ganz oben steht, ist einer Ernährungsumstellung zu verdanken. Noch vor 50 000 Jahren lebten die Wanzen vom Körpersaft anderer Blutsauger: dem der Fledermäuse in dunklen Höhlen. Aber dieses eigentlich faire Gleichgewicht geriet aus den Fugen. Ein anderer prähistorischer Höhlenbewohner, der Mensch, wurde zum bevorzugten Opfer. Als dieser schließlich die Höhlen verließ, um fortan unter anderem in Berghütten sein Dasein zu fristen, folgte ihm die Bettwanze.
Heute wird ihre Verbreitung vor allem durch Reisende gefördert. In Rucksäcken und Koffern ziehen die Wanzen von Haus zu Hotel, von Zugabteil zu Flugzeugsitz, vom Wanderschuh ins Hüttenbett. Anita Kraisser vom Anton-Karg-Haus glaubt, die Lösung gefunden zu haben: den Bug Bag. Eine speziell beschichtete Tasche, in der die Übernachtungsgäste ihr Gepäck einpacken. So sollen keine Wanzen vom Rucksack ins Zimmer oder umgekehrt gelangen können. „Seit Juni haben wir den Bug Bag im Einsatz. Und es funktioniert: Wir sind wanzenfrei.“Die ersten Prototypen hat Kraisser noch selbst genäht, heute lässt sie die Taschen von einer Spezialfirma anfertigen.
Keine Frage der Hygiene
Bettwanzen sind ein Thema, über das die wenigsten Hüttenwirte gerne reden. Entsprechend spärlich sind die Berichte über das Problem gestreut. Dass es Schwierigkeiten gibt, ist allerdings nicht zu verbergen. Im Winter 2016/2017 musste beispielsweise das August-Schuster-Haus in den Ammergauer Alpen den Winter über schließen. Der Deutsche Alpenverein (DAV) informierte darüber auf seiner Homepage. „Der Grund ist ein massiver Befall einiger Schlafräume mit Bettwanzen.“Dem sei nur mit einer mehrmonatigen Schließung der Hütte und einigen zusätzlichen Maßnahmen beizukommen, heißt es dort.
Im April 2018 tagten der Deutsche und der Österreichische Alpenverein in Kufstein gemeinsam zum Thema. Referentin Arlette Vander Pan, Biologin vom Umweltbundesamt, räumte dort mit einem Vorurteil auf: „Bettwanzenbefall hängt mit vielen Faktoren zusammen. Aber nicht mit fehlender Hygiene.“Wichtig sei es, die Gäste aufzuklären, die durch Trekking von Hütte zu Hütte zur Verbreitung beitrügen. „Wir wollen das Thema Bettwanzen von seinem Negativ-Image befreien. Schließlich haben Viersternehotels ebenso mit den Wanzen zu kämpfen wie einfache Schutzhütten“, sagt Robert Kolbitsch vom DAV. Neben der offenen Kommunikation wurden auf der Tagung auch andere Lösungsansätze vorgestellt. Der Bug Bag etwa oder Bettwanzenspürhunde, die die kleinen Blutsauger in den Ritzen und Spalten der Hüttenzimmer aufstöbern.
Hoffen in der Region
In den Hütten, die von der Ravensburger Sektion des Alpenvereins betreut werden, ist das Thema zwar bekannt, aber noch nicht akut. „Wir hatten zum Glück noch kein Problem mit Bettwanzen“, sagt Sabine Brandl. von der Geschäftsstelle. „Hoffentlich bleibt es so.“Gleiches gilt für die Isnyer Hütte. Wirtin Hellen Maus ist dankbar, dass sie bisher verschont geblieben ist. „Bei uns bringen die Gäste ihre eigene Bettwäsche mit. Vielleicht hilft das.“Außerdem kämen die Besucher nicht von langen Wanderungen mit dem Rucksack auf ihre Hütte, sondern mit dem Auto.