Viel mehr als ein Verdauungsspaziergang
Bei der kulinarischen Führung „Wangen isst gut“gibt es Informationen über die Stadt und ein Dreigängemenü
E s gibt keine aufrichtigere Liebe als die zum Essen ...“, soll George Bernard Shaw einmal gesagt haben. Die Stadt Wangen geht noch ein bisschen weiter: „... und wenn diese Liebe dann noch mit einem Rundgang durch unsere erlebenswerte historische Stadt verbunden wird, entsteht daraus vielleicht eine Liebe fürs Leben, nämlich zu Wangen im Allgäu.“Dieser Wunsch auf dem Flyer mag vielleicht ein wenig hoch gegriffen sein – eine schöne Abwandlung von „In Wanga bleibt man hanga“ist es allemal und die Idee, Essen und Trinken mit Informationen und historischen Daten und Ereignissen zu verknüpfen, ist so schlecht nicht. Aber auch nicht ganz neu. Für Stadtführerin Gabriele Neher ist nämlich klar: „Handel und Wirtschaft in unserer Stadt hatten seit jeher auch immer etwas mit Essen und Trinken zu tun, das ist einfach untrennbar miteinander verbunden.“
Seit einigen Jahren bietet Wangen die kulinarischen Erlebnisführungen „Wangen isst gut“an. Mit großem Erfolg, wie vom Gästeamt zu hören ist – im Sommer ganz schnell ausgebucht und als Geschenk äußerst beliebt. Während der dreieinhalb Stunden werden ein Dreigängemenü nebst passenden Getränken verzehrt sowie eine normale Stadtführung absolviert. Die einzelnen Gänge werden dabei in drei verschiedenen Wirtschaften eingenommen. Vegetarier bekommen natürlich etwas Fleischloses, Allergien und Sonderwünsche werden weitestgehend berücksichtigt. Acht verschiedene Häuser stehen dafür in Wangen zur Auswahl. „Wenn ich weiß, wo wir speisen, lege ich mit der Planung los und überlege mir die Route“, sagt Neher, „ich kann ja an so vielen Ecken etwas erzählen.“Sie versucht dabei stets, Gastlichkeit und Historie zu verbinden. „Was für eine Bedeutung eine mauergeschützte Stadt wie Wangen im Mittelalter für die Menschen hatte, sieht man schon an unseren Auslegern“, erzählt die pensionierte Gymnasiallehrerin für Deutsch und Englisch und lenkt den Blick der Teilnehmer nach oben.
Entspannung beim Essen
Die Ausleger sind prächtige, schmiedeeiserne Schilder, bis zu zwei Meter hohe Kunstwerke, die an den Häusern der Innenstadt auf Wirtschaften und Handwerksbetriebe aufmerksam gemacht haben. „Fünf Dinge konnten die Handelsreisenden im Mittelalter damals daran ablesen“, so Neher, „hier gibt’s einen trockenen Platz für die Waren, für das Vieh, eine Stube im 1. Stock, außerdem ein warmes Essen und einen Schlafplatz.“Neher ist ein Stadtführungsprofi, die wichtigen Daten kennt sie längst auswendig, fordert die Zuhörer immer wieder zu Fragen auf, erzählt viel vom Mittelalter, den damaligen Gepflogenheiten und dem Zunftwesen samt seinen Annehmlichkeiten wie Qualitätskontrolle oder Schutz für die Familien von verstorbenen Handwerkern. Dass der Ausdruck Schlitzohr von einer damals üblichen Strafmaßnahme stammt und der Eimer ein Weinmaß war, das etwa 41 Liter umfasste, ist für viele Zuhörer neu.
Keinen Eimer, dafür ein Glas in bestimmt besserer Qualität ist die Birnauer Rotweinspezialität, die den 20 Teilnehmern zur Vorspeise – einem rosa gebratenen Weideschafrücken mit Salaten – serviert wird, die in der Gaststätte Mohren-Post auf den Tisch kommt, nebst ein paar Informationen zur Hausgeschichte. Dass die ehemalige Reichsstadt um 1600 „so was von reich“und bereits 30 Jahre später „richtig elend dran“war, erzählt Neher dann wieder auf der Straße, eine halbe Stunde später. „Beim Essen bin ich still, die Leute wollen sich ja auch unterhalten“, sagt sie, „jetzt kann man das Wissen sacken lassen und ein wenig entspannen.“Genau das wollen auch die Teilnehmer. „Es ist dann nicht so viel Information auf einmal“, sagt ein Paar aus Deuchelried, „wir sind nicht mehr die Jüngsten und das Sitzen zwischendurch entspannt.“Und ist zudem gesellig.
Bevor die Gruppe zum Hauptgang – Schweinerückensteak vom Landschwein mit Spätzle und Gemüse nebst einer lokalen Bierspezialität – ins Lamm abbiegt, werden die Sehenswürdigkeiten in der Herrenstraße, wo sich früher zwei wichtige Handelsstraßen kreuzten, besichtigt. „Stellen Sie sich vor: Etwa 200 Fuhrwerke sind hier täglich hereingefahren, oft vier- oder sechsspännig, da war richtig was los.“Nebenbei rezitiert Neher Gedichte und erzählt Familiengeschichten vom Fidelisbäck, der rund 1000 Kilo Leberkäs in der Woche verkauft, vom HinderofenCafé und vom Café Walfisch. Sie führt ihre Gäste zur Martinskirche, zur Argenbrücke und zum Saubrunnen mit dem heiligen Antonius, der „aber nichts mit dem Schlamper-Done zu tun hat“, wie Gabriele Neher betont. Mit „Schlamper-Done“meint die Stadtführerin den heiligen Antonius von Padua, der auch als der Heilige bekannt ist, der Verlorenes wiederfindet.
Es ist dunkel, als es zur Nachspeise – weißes Schokoladenmus an frischen Früchten – mit Espresso ins Restaurant Am Kreuzplatz geht. Die Stadtführung endet hier. Wer Lust hat, bleibt einfach sitzen, plaudert weiter und bestellt sich noch ein Glas Wein. Und schon ist es gar nicht so weit bis zum „Hanga-Bleiben“.