Die liebliche Landschaft fordert den Radler
Die Leiblachrunde lässt weit blicken und zeigt das Westallgäu von seiner schönsten Seite
Alle sind freundlich an diesem Tag. Das Zugpersonal im Regionalzug nach Hergatz, die Mitreisenden und auch die Anwohner am Radweg. „Kann ich helfen?“, fragt eine Stimme hinter der Gartenhecke, wohl als Reaktion auf eine mitgehörte, kleine Diskussion zur Wegfindung. „Zur Leiblachrunde? Nein, nicht zurück, hier weiter, immer den Berg hoch, und dann sehen Sie die Kirche schon.“Mögen die Quereinsteiger, die nicht den offiziellen Startpunkt zur Leiblachrunde in Opfenbach gewählt haben, sondern ein bisschen später auf die 24 Kilometer lange Strecke einbiegen, auch skeptisch sein angesichts eines ungeteerten Feldweges – auf die Beschilderung kann man sich stets verlassen und auf die Ratschläge von Ortsansässigen sowieso. „Viel Spaß!“, wünscht der Unsichtbare noch.
Der Weg mündet tatsächlich nach ein paar hundert Metern wieder auf ein kleines Teersträßchen, der grüne Zwiebelturm der Wallfahrtskirche Maria Thann erscheint. Im etwas diesigen Hintergrund tauchen jetzt die österreichischen und Schweizer Gipfel auf, vorne präsentieren sich trotz der langen Trockenheit erstaunlich grüne Wiesen und meterhohe Obstbäume – alle prall gefüllt mit Äpfeln, Birnen, Zwetschgen oder was sonst noch der baldigen Ernte entgegenblickt. Es ist übrigens der einzige ungeteerte Abschnitt auf der ansonsten vollständig auf Asphalt verlaufenden Leiblachrunde durchs hügelige Westallgäu. Wer mit dem Rennrad unterwegs ist, kann dieses kurze Stück auch schieben.
Und hier, kurz vor Maria Thann, zeigt sich auch gleich der wahre Charakter dieser Runde, die mit lieblich wohl eher den Blick auf die Landschaft meinen muss und weniger die körperlichen Anforderungen für die Radfahrer. Was für das Auge Labsal bedeutet, weil es eben so sanft und leicht hügelig ist, kann den Radfahrer – sofern er kein E-Bike besitzt – doch ziemlich anstrengen und das ein oder andere Mal ganz kleine Gänge erfordern. Absteigen und schieben geht natürlich auch, zumal der Fernblick an vielen Stellen äußerst verlockend ist und das bloße Schauen stets einen kleinen Stopp rechtfertigt. Außerdem können die angesetzten dreieinhalb Stunden leicht auf eine gemütliche Tagestour ausgedehnt werden.
Wer in Opfenbach, dem offiziellen Startpunkt beginnt, fängt mit einer Abfahrt an, es geht zunächst hinunter ins Leiblachtal, dann steigt es stetig an bis Wolfershofen, von wo es dann wieder zurück nach Opfenbach bergab geht. Gleich zu Beginn der Runde wird das Naturschutzgebiet Degermoos gestreift, das als Schmetterlingsparadies gilt und wo es durchaus passieren kann, dass sich bei einer Pause Bläulinge aufs Vesperbrot setzen. Kurz danach beginnen die Steigungen, mitunter ganz schön heftig, aber zum Glück nie lange. Der Neid auf E-Bike-Fahrer mag verständlich sein, als Normalradler kann man es aber auch positiv sehen. „Hier reiht sich ein Erfolgserlebnis ans andere“, stellt die Mitfahrerin auf einem eben erklommenen Gipfelchen fest. Denn wo’s hochgeht, geht’s auch wieder runter. Die Belohnung in Form eines wohltuenden Fahrtwindes bei der nächsten Abfahrt ist stets vorhanden.
Der erste längere Stopp dieser Leiblachtal-Runde sollte spätestens bei der Wallfahrtskirche in Maria Thann gemacht werden, die mit einer grandiosen Höhenlage und im Inneren mit spätmittelalterlichen Fragmenten und einer nicht zu dick aufgetragenen barocken Ausstattung einlädt. Ein weiteres Halteargument ist der „Regiomat“am Bauernhof gegenüber, wo Grillfleisch, Butterblumenkäse, Eier oder frische Milch gekauft werden können. Täglich werden die Produkte in diesem Kühlschrank am Weg aufgefüllt, Wechselgeld wird rausgegeben. Regionaler und frischer geht es nicht.
Passiert werden hübsche kleine Ortschaften mit wohlklingenden Namen wie Obermützenbrugg, Lengatz oder Itzlings – stets von Ferne angekündigt durch die Kirchtürme – oder einsame Gehöfte mit bunten Bauerngärten voller Stockrosen und Sonnenhut sowie tomatengefüllter Gewächshäuser. Kläffende Hunde scheinen oft die einzigen Bewohner zu sein. Reihen frischer Salatköpfe, Kühe auf den Weiden, landwirtschaftliche Gerätschaften und ein paar Autos auf dem Hof widersprechen dieser These. Kurze Abschnitte im Verkehr durch Heimenkirch oder Mellatz verlaufen unkompliziert, meist auf Radwegen neben der Straße. Immer wieder trifft der Radler auf die Leiblach, manchmal als Rinnsal am Wegesrand, dann als munteres Bächlein und manchmal auch als Namensgeber – zum Beispiel für das Schwimmbad in Heimenkirch.
An Rast- und Ruheplätzen mangelt es auf dieser mit 24 Kilometern eher kurzen Tour nicht. Gleich hinter Maria Thann häuft sich der Gegenverkehr, die mit Satteltaschen beladenen Räder weisen darauf hin, dass hier der Bodensee-KönigsseeRadweg entlangläuft. Liebevoll lädt ein gut besuchtes Radler-Bänkle alle Fern- oder Kurzradler zur Weitsicht ein. Wer es nutzt, kommt schnell in Kontakt. Allerdings ist hier Selbstversorgung angesagt. Ein paar Kilometer weiter hat die Brauerei Meckatzer dann alles zu bieten, was ein ausgehungerter, durstiger Radfahrer für eine echte Erholung braucht: einen Biergarten mit ausreichend Schattenplätzen, netten Bedienungen, leckeren Sommersalaten, deftigen Fleischgerichten und kühlem Bier. Gerne auch isotonisch als Weißbier und zudem alkoholfrei. Wer noch Zeit hat und angemeldet ist, kann sogar eine Brauereibesichtigung anhängen. Derart erholt und gestärkt sind die restlichen paar Kilometer ein Kinderspiel. Und richtig bergauf geht es am Ende überhaupt nicht mehr.
Wer die Tour etwas verlängern möchte, startet ab Wangen und fährt ein paar Kilometer über den Schwarzensee und Wolfatz bis Itzlings. Der nächstgelegene Bahnhof ist Hergatz, wo man leicht in die Tour einsteigen kann.
Eine genaue Beschreibung dieser Tour mit detaillierter Karte und GPS-Daten gibt es in dem BikelineRadtourenbuch „Bodensee-Allgäu – die schönsten Radtouren zwischen Konstanz und Kempten“, das im Verlag Esterbauer erschienen ist und 12,90 Euro kostet.