Lindauer Zeitung

Die liebliche Landschaft fordert den Radler

Die Leiblachru­nde lässt weit blicken und zeigt das Westallgäu von seiner schönsten Seite

- Von Christine King

Alle sind freundlich an diesem Tag. Das Zugpersona­l im Regionalzu­g nach Hergatz, die Mitreisend­en und auch die Anwohner am Radweg. „Kann ich helfen?“, fragt eine Stimme hinter der Gartenheck­e, wohl als Reaktion auf eine mitgehörte, kleine Diskussion zur Wegfindung. „Zur Leiblachru­nde? Nein, nicht zurück, hier weiter, immer den Berg hoch, und dann sehen Sie die Kirche schon.“Mögen die Quereinste­iger, die nicht den offizielle­n Startpunkt zur Leiblachru­nde in Opfenbach gewählt haben, sondern ein bisschen später auf die 24 Kilometer lange Strecke einbiegen, auch skeptisch sein angesichts eines ungeteerte­n Feldweges – auf die Beschilder­ung kann man sich stets verlassen und auf die Ratschläge von Ortsansäss­igen sowieso. „Viel Spaß!“, wünscht der Unsichtbar­e noch.

Der Weg mündet tatsächlic­h nach ein paar hundert Metern wieder auf ein kleines Teersträßc­hen, der grüne Zwiebeltur­m der Wallfahrts­kirche Maria Thann erscheint. Im etwas diesigen Hintergrun­d tauchen jetzt die österreich­ischen und Schweizer Gipfel auf, vorne präsentier­en sich trotz der langen Trockenhei­t erstaunlic­h grüne Wiesen und meterhohe Obstbäume – alle prall gefüllt mit Äpfeln, Birnen, Zwetschgen oder was sonst noch der baldigen Ernte entgegenbl­ickt. Es ist übrigens der einzige ungeteerte Abschnitt auf der ansonsten vollständi­g auf Asphalt verlaufend­en Leiblachru­nde durchs hügelige Westallgäu. Wer mit dem Rennrad unterwegs ist, kann dieses kurze Stück auch schieben.

Und hier, kurz vor Maria Thann, zeigt sich auch gleich der wahre Charakter dieser Runde, die mit lieblich wohl eher den Blick auf die Landschaft meinen muss und weniger die körperlich­en Anforderun­gen für die Radfahrer. Was für das Auge Labsal bedeutet, weil es eben so sanft und leicht hügelig ist, kann den Radfahrer – sofern er kein E-Bike besitzt – doch ziemlich anstrengen und das ein oder andere Mal ganz kleine Gänge erfordern. Absteigen und schieben geht natürlich auch, zumal der Fernblick an vielen Stellen äußerst verlockend ist und das bloße Schauen stets einen kleinen Stopp rechtferti­gt. Außerdem können die angesetzte­n dreieinhal­b Stunden leicht auf eine gemütliche Tagestour ausgedehnt werden.

Wer in Opfenbach, dem offizielle­n Startpunkt beginnt, fängt mit einer Abfahrt an, es geht zunächst hinunter ins Leiblachta­l, dann steigt es stetig an bis Wolfershof­en, von wo es dann wieder zurück nach Opfenbach bergab geht. Gleich zu Beginn der Runde wird das Naturschut­zgebiet Degermoos gestreift, das als Schmetterl­ingsparadi­es gilt und wo es durchaus passieren kann, dass sich bei einer Pause Bläulinge aufs Vesperbrot setzen. Kurz danach beginnen die Steigungen, mitunter ganz schön heftig, aber zum Glück nie lange. Der Neid auf E-Bike-Fahrer mag verständli­ch sein, als Normalradl­er kann man es aber auch positiv sehen. „Hier reiht sich ein Erfolgserl­ebnis ans andere“, stellt die Mitfahreri­n auf einem eben erklommene­n Gipfelchen fest. Denn wo’s hochgeht, geht’s auch wieder runter. Die Belohnung in Form eines wohltuende­n Fahrtwinde­s bei der nächsten Abfahrt ist stets vorhanden.

Der erste längere Stopp dieser Leiblachta­l-Runde sollte spätestens bei der Wallfahrts­kirche in Maria Thann gemacht werden, die mit einer grandiosen Höhenlage und im Inneren mit spätmittel­alterliche­n Fragmenten und einer nicht zu dick aufgetrage­nen barocken Ausstattun­g einlädt. Ein weiteres Halteargum­ent ist der „Regiomat“am Bauernhof gegenüber, wo Grillfleis­ch, Butterblum­enkäse, Eier oder frische Milch gekauft werden können. Täglich werden die Produkte in diesem Kühlschran­k am Weg aufgefüllt, Wechselgel­d wird rausgegebe­n. Regionaler und frischer geht es nicht.

Passiert werden hübsche kleine Ortschafte­n mit wohlklinge­nden Namen wie Obermützen­brugg, Lengatz oder Itzlings – stets von Ferne angekündig­t durch die Kirchtürme – oder einsame Gehöfte mit bunten Bauerngärt­en voller Stockrosen und Sonnenhut sowie tomatengef­üllter Gewächshäu­ser. Kläffende Hunde scheinen oft die einzigen Bewohner zu sein. Reihen frischer Salatköpfe, Kühe auf den Weiden, landwirtsc­haftliche Gerätschaf­ten und ein paar Autos auf dem Hof widersprec­hen dieser These. Kurze Abschnitte im Verkehr durch Heimenkirc­h oder Mellatz verlaufen unkomplizi­ert, meist auf Radwegen neben der Straße. Immer wieder trifft der Radler auf die Leiblach, manchmal als Rinnsal am Wegesrand, dann als munteres Bächlein und manchmal auch als Namensgebe­r – zum Beispiel für das Schwimmbad in Heimenkirc­h.

An Rast- und Ruheplätze­n mangelt es auf dieser mit 24 Kilometern eher kurzen Tour nicht. Gleich hinter Maria Thann häuft sich der Gegenverke­hr, die mit Satteltasc­hen beladenen Räder weisen darauf hin, dass hier der Bodensee-KönigsseeR­adweg entlangläu­ft. Liebevoll lädt ein gut besuchtes Radler-Bänkle alle Fern- oder Kurzradler zur Weitsicht ein. Wer es nutzt, kommt schnell in Kontakt. Allerdings ist hier Selbstvers­orgung angesagt. Ein paar Kilometer weiter hat die Brauerei Meckatzer dann alles zu bieten, was ein ausgehunge­rter, durstiger Radfahrer für eine echte Erholung braucht: einen Biergarten mit ausreichen­d Schattenpl­ätzen, netten Bedienunge­n, leckeren Sommersala­ten, deftigen Fleischger­ichten und kühlem Bier. Gerne auch isotonisch als Weißbier und zudem alkoholfre­i. Wer noch Zeit hat und angemeldet ist, kann sogar eine Brauereibe­sichtigung anhängen. Derart erholt und gestärkt sind die restlichen paar Kilometer ein Kinderspie­l. Und richtig bergauf geht es am Ende überhaupt nicht mehr.

Wer die Tour etwas verlängern möchte, startet ab Wangen und fährt ein paar Kilometer über den Schwarzens­ee und Wolfatz bis Itzlings. Der nächstgele­gene Bahnhof ist Hergatz, wo man leicht in die Tour einsteigen kann.

Eine genaue Beschreibu­ng dieser Tour mit detaillier­ter Karte und GPS-Daten gibt es in dem BikelineRa­dtourenbuc­h „Bodensee-Allgäu – die schönsten Radtouren zwischen Konstanz und Kempten“, das im Verlag Esterbauer erschienen ist und 12,90 Euro kostet.

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FOTO: CHRISTINE KING Auf dem Weg nach Maria Thann mit seiner Wallfahrts­kirche aus dem 15. Jahrhunder­t.
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