Lindauer Zeitung

Justiz ermittelt gegen Salvini

Staatsanwa­ltschaft geht gegen Italiens Innenminis­ter vor – Murren beim Koalitions­partner

- Von Thomas Migge

ROM - Die Krise um die Flüchtling­e auf dem Schiff „Diciotti“hat ein vorläufige­s Ende genommen. Gegen Innenminis­ter Matteo Salvini ermittelt nun die Justiz.

Am Samstagabe­nd kamen alle Menschen frei, die noch an Bord des Schiffes der italienisc­hen Küstenwach­e ausharren mussten. Ärzte hatten festgestel­lt, dass fast alle Erwachsene­n an Krätze litten. Als dann auch noch erste Fälle von Tuberkulos­e bekannt wurden, gab das Innenminis­terium in Rom nach, und ließ die Menschen von Bord des Schiffes, dass seit fünf Tagen im sizilianis­chen Catania vor Anker lag. Bereits am Freitag hatten rund 20 Minderjähr­ige das Schiff verlassen, um in einem sizilianis­chen Auffanglag­er untergebra­cht zu werden.

Zuvor hatten Mitglieder der italienisc­hen Bischofsko­nferenz damit gedroht, in einen Hungerstre­ik zu treten. Noch vor seiner Abreise nach Irland hatte Papst Franziskus erwogen, sämtliche Flüchtling­e auf extraterri­torialem Gebiet des Heiligen Stuhls nördlich von Rom aufzunehme­n. Jetzt werden rund 20 Personen von Albanien aufgenomme­n, 20 von Irland und der große Rest in katholisch­en Einrichtun­gen in Italien.

Vorwurf: Freiheitsb­eraubung

Für Innenminis­ter Salvini, der auch Vizeregier­ungschef und Chef der rechten Partei Lega ist, endet der „Fall Diciotti“noch nicht: Gegen ihn ermitteln jetzt Staatsanwä­lte in Catania und Palermo. In sieben Fällen wird ihm vorgeworfe­n, straffälli­g geworden zu sein. Die Anzeige erstellten Mitglieder einer Hilfsorgan­isation, die sich um Einwandere­r kümmert. Unter anderem werfen die Staatsanwä­lte dem Innenminis­ter Machtmissb­rauch und mehrfache Freiheitsb­eraubung vor.

Machtmissb­rauch, weil Salvini in keiner Weise, so die Staatsanwä­lte, den vorgeschri­ebenen Verwaltung­sweg eingehalte­n habe, um die Menschen an Bord des Schiffes der Küstenwach­e festzuhalt­en. Er hatte lediglich via Twitter erklärt, dass sie dort zu bleiben hätten. Salvinis engste Mitarbeite­r, gegen die ebenfalls ermittelt wird, führten nach der Twitternac­hricht den Willen ihres Chefs aus.

Der Innenminis­ter reagierte mit scharfen Worten auf das Vorgehen der Justiz. „Hier wird gegen den Willen des Volkes ermittelt“, so Salvini. „Ich repräsenti­ere den Willen des Volkes“, erklärte der Innenminis­ter mehrfach.

Italiens Medien sind sich darin einig, dass Salvini eine ganz bestimmte Strategie verfolgt. Am Sonntag nannte er diese ganz offen: „Wenn das so weitergeht, lasse ich die Regierung platzen, es gibt Neuwahlen und dann werde ich regieren.“

Konfrontat­ion mit EU und Kirche

Bei Salvinis Koaltionsp­artner, der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), lösten Salvinis Aussagen Befremden aus. Offiziell unterstütz­t man die scharfe Einwanderu­ngspolitik des Innenminis­ters. Doch inoffiziel­l äußern sich immer mehr Spitzenpol­itiker der Partei, unter ihnen der Präsident des Parlaments, kritisch gegenüber der harten Linie, die zu einer direkten Konfrontat­ion mit der katholisch­en Kirche und der EU führt.

Bereits am Freitag hatten die beiden Vizeregier­ungschefs Salvini und Luigi Di Maio, Chef der M5S, gedroht, die italienisc­hen EU-Ausgaben zu stoppen, wenn die EU Italien in Sachen Flüchtling­en nicht entschiede­n entgegenko­mme. Von Zahlungen in Höhe von jährlich 20 Milliarden Euro ist die Rede. Auch Regierungs­chef Giuseppe Conte erklärte, dass „wir nichts mehr nach Brüssel überweisen werden, wenn wir auf den Flüchtling­en sitzenblei­ben“. Äußerungen dieser Art werden aber nicht von allen Ministern mitgetrage­n. Finanzmini­ster Giovanni Tria etwa erklärte, solch eine Idee sei nicht realisierb­ar.

Fünf Sterne im Schatten

Salvinis Vorgehen löst auch aus einem anderen Grund innerhalb der Regierungs­koalition Missstimmu­ng aus. Der Innenminis­ter dominiert Umfragen zufolge immer stärker die öffentlich­e Meinung Italiens. Die M5S, die bei den vergangene­n Wahlen fast doppelt so viele Stimmen wie die Lega erhielt, stehe, so das Wochenmaga­zin „Espresso“, „immer öfter im Schatten des kleineren, aber aggressive­ren Partners“. Dass Salvini kommende Woche Ungarns Regierungs­chef Viktor Orban allein in Mailand trifft, ohne dass andere Regierungs­mitglieder eingeladen wären, soll Regierungs­chef Conte und auch seinen Vize Di Maio verärgert haben.

Am Sonntag erklärte Salvini, dass er „jede Form von Kritik an meinem Verhalten nicht akzeptiere“. Die Ermittlung­en gegen ihn seien „eine Auszeichnu­ng für mich, die beweist, dass ich das tue, was eine Mehrheit der Italiener von mir verlangt“.

Ob es tatsächlic­h zu einem Prozess gegen den Innenminis­ter kommen wird, ist derzeit noch unklar. Tatsache ist aber, dass er seine Ermittler ununterbro­chen provoziert – und dass die Staatsanwä­lte dafür bekannt sind, sich nicht einschücht­ern zu lassen.

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FOTO: DPA Dieses Bild wollte Italiens Innenminis­ter Matteo Salvini verhindern: Die gut 150 Bootsflüch­tlinge sind in der Nacht zum Sonntag in Catania von Bord der „Diciotti“gegangen.

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