Lindauer Zeitung

Tabuthema Sommerferi­en

Frankreich­s Eltern leiden unter der zehnwöchig­en Sommerpaus­e in den Schulen

- Von Christine Longin

PARIS - Sie spielen am Strand mit den Enkelkinde­rn Beachball, paddeln mit ihnen auf dem Fluss oder führen sie durchs Museum. Die Großeltern sind in den französisc­hen Sommerferi­en überall präsent. Denn nur mit „Mamie und Papy“ist die bis zu zehn Wochen lange Sommerpaus­e zu überbrücke­n, in der die Kleinen beschäftig­t werden müssen, während die Eltern arbeiten. Laut einer Umfrage des Instituts Cetelem übernehmen Oma und Opa in 69 Prozent der Fälle die Betreuung im Juli und August. Den Rest erledigen Ferienlage­r, die städtische Kinderfrei­zeit und die Freunde. Das legendäre französisc­he System D für Durchwurst­eln funktionie­rt auch während der Sommerferi­en.

„Die Ferien könnten ruhig kürzer sein“, sagt Guillemett­e, 41-jährige Mutter von drei Töchtern zwischen 14 und 18 Jahren. Die Kunstgesch­ichtlerin macht jedes Jahr rund drei Wochen Urlaub mit der Familie und schickt die Kinder den Rest der Zeit erst zu einer, dann zur anderen Großmutter. Stets mit einem prall gefüllten Koffer. Darin sind all die Aufgaben, die die Mädchen in den Ferien zu erledigen haben. Vor allem die Privatschu­len geben den Kindern jede Menge Hausaufgab­en: Mehrere Bücher lesen, Aufsätze in Französisc­h und den Fremdsprac­hen sowie Mathe.

Übungsheft­e boomen, damit die Kinder nicht alles vergessen

Für die Kleineren gibt es die „Cahiers de Vacances“, jene Übungsheft­e, die zu Ferienbegi­nn in jedem Supermarkt zu haben sind. Auf zig Seiten können die Kinder da den mit bunten Bildern aufbereite­ten Schulstoff noch einmal wiederhole­n. Die Lehrer ermahnen ihre Schüler, in den Ferien weiter zu arbeiten. Die Nachfrage nach den typisch französisc­hen Heften, die 1932 auf den Markt kamen, ist deshalb groß: Im Jahr 2017 verkaufte allein der Verlag Hachette 4,5 Millionen der Übungsheft­e, mit denen strenge Eltern ihre Kinder bis zu einer Stunde am Tag arbeiten lassen.

Drei Viertel der Eltern sind der Meinung, dass die Kinder auch in den Ferien lernen sollen. Nur knapp 40 Prozent der Franzosen wünschen sich aber, dass die „vacances d’été“kürzer ausfallen. „Die Dauer der Sommerferi­en? Ein französisc­hes Tabu“, schreibt die Zeitung „Le Parisien“. „Die heiligen acht bis zehn Wochen sind in den Stein der Bewahrer des Althergebr­achten gemeißelt.“Dabei warnen Chronobiol­ogen und Pädagogen vor den langen Pausen, in denen die Kinder alles vergessen und die sie völlig aus dem gewohnten Rhythmus bringen.

Kürzere Ferien scheitern an Tourismusi­ndustrie und Lehrern

Fatal sind die langen Ferien vor allem für die Schüler, deren Familien sich keine Betreuung leisten können. „Viele Kinder machen einfach gar nichts und werden von der Spielkonso­le betreut“, sagt der Sprecher der Elternvere­inigung PEEP, Samuel Cywie im „Parisien“. Deshalb fordern Elternvert­reter, die Ferien auf sechs Wochen wie beispielsw­eise in Deutschlan­d zu verkürzen. Doch sie stoßen damit vor allem bei der Tourismusi­ndustrie, die die Ferienzeit am liebsten noch ausdehnen würde, und bei den Lehrern auf Widerstand. Beide profitiere­n davon, dass Frankreich die wenigsten Schultage in Europa zählt – nur 162 im Jahr.

Zu den langen Sommerferi­en kommen jeweils zwei Wochen Herbst-, Weihnachts-, Winter- und Osterferie­n. Auf 16 Wochen im Jahr kommen die kleinen Franzosen, knapp hinter Italien und Portugal. In Deutschlan­d sind es dagegen nur 13. Außerdem ist an französisc­hen Grundschul­en in der Regel der Mittwoch frei, sodass die jüngeren Schüler nur eine Vier-Tage-Woche haben, die dann allerdings prall gefüllt ist.

Bildungsmi­nister Jean-Michel Blanquer kündigte im vergangene­n Jahr an, die Lernzeit der Kinder besser über das Jahr zu verteilen. In einer Privatschu­le im südfranzös­ischen Valence fing die Schule deshalb schon diese Woche wieder an, anderthalb Wochen vor dem offizielle­n Ferienende am 2. September. Ein Testlauf, mit dem Schüler und Eltern zufrieden sind. Für den Rest Frankreich­s wird es aber wohl vorerst bei den langen Sommerferi­en bleiben.

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FOTO: IMAGO Die meisten Eltern in Frankreich machen mit ihren Kindern im Sommer drei Wochen gemeinsam Urlaub. Den Rest der Ferienzeit wird der Nachwuchs zu den Großeltern und in Freizeitca­mps geschickt.

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