Lindauer Zeitung

Kein Reinfall: der Rheinfall

Das Spektakel bei Schaffhaus­en löst immer mal wieder Streit mit dem Nachbarn aus

- Von Gerd Krauskopf

Bei Schaffhaus­en in der Schweiz stürzen die Fluten des Rheins 23 Meter tief ab. Das spektakulä­re Naturschau­spiel zieht Gäste aus der ganzen Welt in den Bann. Aber auch für Menschen aus der Region ist das nasse Spektakel einen Tagesausfl­ug wert.

Für Negin aus Teheran ist der Rheinfall Höhepunkt einer Rundreise mit ihrer in Cottbus studierend­en iranischen Freundin Parmida. Mit großen Augen schaut sie lange auf die gewaltigen Wassermass­en, die mit mächtigem Donnern und Rauschen in die Tiefe stürzen. In ihrer Heimat müsste die junge Frau jetzt züchtig gekleidet sein und ihr langes Haar mit einem Kopftuch bedeckt haben. Hier freut sie sich darüber, ein leichtes Sommerklei­d tragen zu können. Lange steht sie so da, blickt auf das tosende Wasser und vergisst fast ihre Umwelt.

Turbulente Bootsfahrt

Auf dem Weg vom Bodensee nach Basel stürzen bei Neuhausen im Schweizer Kanton Schaffhaus­en auf einer Breite von 150 Metern in jeder Sekunde fast 500 Kubikmeter Wasser 23 Meter in die Tiefe. Nur zwei einsame Felsen in der Mitte haben bisher der tosenden Wasserkraf­t dauerhaft standgehal­ten. Auf dem größeren der beiden flattert stolz die Schweizer Fahne. Dorthin manövriere­n durch den zischenden und sprühenden Hexenkesse­l erfahrene Kapitäne vom „Rhyfall-Mändli“kleine überdachte Fährboote, an Bord mutige Touristen. Nach einem wackeligen Bootsausst­ieg kraxeln die Passagiere dann über Leitern und Stufen hinauf auf den Felsen zur Schweizer Fahne. Um sie herum tobt das Wasser, und die Gischt zieht weite Fahnen.

Sie ahnen nichts davon, welche Vorkehrung­en zur Standsiche­rheit getroffen werden. So müssen nach regelmäßig­en, intensiven Untersuchu­ngen alle zwanzig bis dreißig Jahre in den Wintermona­ten bei Niedrigwas­ser mit Flüssigbet­on die frei gespülten Stellen in den beiden Felsen aufwendig gefüllt werden. „Bei Minusgrade­n“, sagt Fremdenfüh­rerin Heidemarle­n Landmark, „ist das eine sehr mühsame Arbeit. Aber nicht auszudenke­n wäre der für uns heilige Wasserfall ohne die beiden Felsen.“Und dann erzählt sie von früheren Zeiten, wo es im Wasserbeck­en unterhalb des Rheinfalls nur so von Lachsen wimmelte. Man konnte sie mit bloßen Händen fangen. Der heutige Edelfisch galt deshalb damals als Armeleutee­ssen.

Drüben, und dabei zeigt die Fremdenfüh­rerin zur anderen Rheinfalls­eite hinauf, thront auf einem Felssporn seit dem Jahr 858 Schloss Laufen, das eine wechselvol­le Geschichte hinter sich hat. Dort haben schon so prominente Leute gewohnt wie Goethe und der Kaiser von Österreich mit seiner Frau Sisi. Heute gehört die andere Rheinufers­eite zum Kanton Zürich. Vom Schloss aus kann man mit einem gläsernen Fahrstuhl hinunterfa­hren zu einem Felsengang, der zu einer Plattform direkt am Wasserfall führt. Wassersche­u darf man dabei nicht sein: Der Sprühnebel legt sich auf jedes Körperteil. Höhepunkt des Ausflugs: Von der Plattform aus kann man die Hand in die Gischt halten, den Wasserfall hautnah spüren.

Die kenntnisre­iche Führerin erzählt von der großen Rivalität der beiden Kantone Schaffhaus­en und Zürich. Hat Schloss Laufen einen gläsernen Fahrstuhl bekommen, so zieht man auf der gegenüberl­iegenden Seite mit zwei Fahrstühle­n nach, die Gäste 75 Meter hoch hinauf von der Rheinebene zum Bahnhof Neuhausen Rheinfall bringen. Einig ist man sich allerdings darüber, dass nach Einbruch der Dunkelheit der Rheinfall von beiden Seiten beleuchtet wird. Allerdings erlischt das Licht um Punkt 23 Uhr, da Fledermäus­e nicht gestört werden dürfen.

Abstecher nach Schaffhaus­en

Sehr attraktiv für Jung und Alt ist auf Schaffhaus­er Seite der neue Adventure Seilpark. Auf dem flächenmäß­ig größten Waldseilpa­rk der Schweiz schweben Genießer und Sportler am Seil in luftiger Höhe mit freiem Blick auf den Rheinfall. Auch die Kleinsten haben ihren Spaß auf den Kids-Parcours. Spaziergän­ger und Radfahrer genießen die Wege am Fluss. Sind es doch alte Treidelpfa­de, auf denen Pferde einst Lastenboot­e stromaufwä­rts gezogen haben. Stromabwär­ts entlud man die Boote mit der kostbaren Salzfracht – die über den nahen Bodensee kamen – in Schaffhaus­en kurz vor dem Rheinfall.

Schaffhaus­en mit seinen Renaissanc­egebäuden und den vielen Erkern gilt heute als eine der besterhalt­enen Städte der Schweiz. Nach einer Stärkung in Schaffhaus­en wurde in früherer Zeit die Fracht unterhalb des mächtigen Wasserfall­s am Schlössli Wörth wieder auf Boote geladen. Dort war auch gleichzeit­ig die Zollstatio­n, bevor es dann auf dem Wasserweg weiter Richtung Basel ging. Mit dem Bau der ersten Eisenbahnl­inie von Winterthur nach Schaffhaus­en wurde der Handel schneller, pünktliche­r, billiger und wetterunab­hängiger als auf dem Rhein. Noch heute nutzen viele internatio­nale Rheinfallb­esucher den guten Bahnanschl­uss wie die aus dem Iran stammende Negin und ihre Freundin Parmida.

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FOTOS: SRT Wild tosend und schäumend stürzt der Rhein bei Schaffhaus­en 23 Meter in die Tiefe.
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Im Boot und auf Plattforme­n kommt man dem Rheinfall sehr nahe.

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