Der Mann hinter dem Klavier
Der syrisch-palästinensische Flüchtling Aeham Ahmad erzählt von seinen Erlebnissen in Syrien und den ersten Jahren in Deutschland
WASSERBURG - Ein schlaksiger Mann mit dunkelbraunen Haaren und großen, dunkeln Augen sitzt im Frühstücksraum des Gasthauses Jennifer. Vor ihm eine Tasse Filterkaffee, sein Teller ist leer. Am Abend zuvor hat er die Konzerttriologie der Bürgerstiftung Wasserburg beendet. In dieser Woche wird er noch in Kassel, auf einem Festival in Italien und in Mainz spielen. Der normale Terminkalender eines erfolgreichen Pianisten. Nur seine Narben neben dem linken Auge und an dem Finger seiner linken Hand lassen die Geschichte von Aeham Ahmad erahnen. Er ist ein syrisch-palästinensischer Flüchtling. Mit seiner Musik hat er nicht nur etwas zu erzählen, sondern hilft auch sich selbst und anderen.
Ahmad hat eine Lebensgeschichte wie tausende syrische Flüchtlinge. Doch seine Geschichte wurde international bekannt. Als seine Heimatstadt Jarmuk im Sommer 2013 von der Außenwelt abgeriegelt war, begann er in den zertrümmerten Straßen Klavier zu spielen. Die Videos und das Bild des Fotografen Niraz Saied, auf dem Ahmad mit einem hellgrünen T-Shirt vor einem zerbombten Haus Klavier spielt, gingen um die Welt.
„Dieses Bild handelt nicht von mir. Es handelt von uns“, sagt Ahmad im Gespräch mit der LZ. Auf seinen Videos sieht man Kinder und Erwachsene um das Klavier versammelt, sie singen, hin und wieder ertönen im Hintergrund Schüsse. „Viele Menschen haben mir geholfen und wir haben uns geholfen, indem wir zusammen gesungen haben“, sagt er. Ahmad spielte für den Frieden und wollte Hoffnung schenken. Er legt beide Hände an seine Schläfen und atmet tief aus, als er von den Kindern in Jarmuk erzählt. „Die Kinder kamen und sangen mit. Am Anfang war es sehr komisch. Klaviermusik in zerbombten Straßen. Aber nach ein paar Tagen klimperten die Kinder mit den Tasten. Ich glaube, auch sie wollten Veränderungen, etwas anderes sehen und hören“, erzählt Ahmad.
In Dokumentationen und Artikeln wird Ahmad oft als Symbol bezeichnet – für den ungebrochenen Lebenswillen, für den Frieden. Am Anfang war der Pianist damit überfordert, mittlerweile hat er das Wort gründlich hinterfragt. „Ich bin kein Symbol. Das ist so etwas Großes. Jesus oder Muhammed sind ein Symbol, aber nicht ich.“Trotzdem glaubt er, dass Menschen Symbole brauchen, denen sie folgen können und die ihnen Kraft geben. „Das muss aber nicht ich sein. Jeder von uns ist ein Symbol für unser Land.“
Ahmad ist 1988 in Jarmuk geboren. Dort wurde er von seinem blinden Vater schon früh gefördert, erhielt Klavierunterricht in einem rennommierten Institut in Damaskus und studierte Aeham Ahmad später Musikpädagogik in Homs. Kurz vor seinem Abschluss kam der Krieg. Im Sommer 2015 flüchtete er nach Deutschland, wo man ihn durch das Internet schon kannte. Kurze Zeit später hatte er seinen ersten Auftritt in Deutschland, bei dem er zusammen mit Herbert Grönemeyer und Judith Holofernes auf der Bühne stand. Nervös war Ahmad vor dem Konzert kaum, denn er kannte weder die Künstler, noch wusste er, wie viele Leute kommen würden. Als er statt den erwarteten 60 Personen ungefähr 17 000 Menschen sah, wurde ihm die Dimension des Konzertes erst bewusst. Er lächelt, als er von seiner Begegnung mit den Künstlern erzählt. „Grönemeyer gab mir hinter der Bühne die Hand und ich dachte, was für ein netter Typ.“Erst nach dem Konzert suchte er den Künstler im Internet und dachte sich nur „wow“. An diesem Tag spielte er das erste Mal seit seiner Flucht wieder auf einem Klavier, denn in der Flüchtlingsunterkunft gab es keines. Das erfuhr auch Herbert Grönemeyer, der ihm nach dem Konzert selbst ein Klavier schenkte. „Unglaublich. Ich habe ein Klavier im Konzert gefunden“, erzählt Ahmad.
Mit diesem Geschenk gibt er in seiner ehemaligen Flüchtlingsunterkunft in Wiesbaden Musikunterricht. „Aktuell sind dort viele Flüchtlinge aus Afghanistan, die dort festhängen, weil sie keine Wohnung finden“, erzählt er. Auch diese Schicksale bewegen Ahmad. Umso wichtiger ist es ihm, zusammen zu singen. „Die Menschen reagieren so großartig. In diesen Momenten sind wir einfach zusammen glücklich.“Aber nicht nur die Bewohner brauchen diese Stunden, sondern auch Ahmad selbst. An den Ort zurückzukommen, an dem sein Leben in Deutschland begann, beruhigt ihn. „Ich bin immer unterwegs und spiele zum Teil auf Klavieren, die über 165 000 Euro kosten. Dann fliege ich beinahe, aber Abheben ist für jeden schlecht.“
Das Klavierspielen selbst bezeichnet Ahmad auch oft als seine „Insel“. Für ihn bedeutet das Spielen einen großen Teil seiner Identität. Ahmad greift unter den Tisch, stellt seinen schwarz-grauen Rucksack darauf und holt seinen Personalausweis heraus. Neben dem Wort Staatsangehörigkeit stehen bei ihm drei kleine „x“, seine Staatsangehörigkeit ist ungeklärt. „Das ist sehr hart für mich. Ich habe mich als Palästinenser schon oft gefragt, woher ich komme oder wer ich bin. Wieso andere das so klar und deutlich sagen können, was ich nie beantworten werde.“Wenigstens seine Jungs, hofft er, sollen eines Tages eine andere Staatsangehörigkeit bekommen.
Manchmal, erzählt Ahmad, habe er auch gar keine Lust, auf die Bühne zu gehen und zu spielen. Jedes seiner Lieder beinhaltet Erinnerungen und „es ist hart, das jeden Tag wieder zu erleben und sich immer wieder erinnern zu müssen“. Er spielt dieselben Lieder wie in Jarmuk, neue Kompositionen fallen ihm nicht ein. „Ich sitze Stunde um Stunde am Klavier, aber nur diese Lieder kommen. Irgendetwas fehlt. Ich denke, dass diese Musik kommt, weil die Situation in Jarmuk so grausam war.“Trotzdem macht er weiter, aus Verantwortung gegenüber denjenigen, die noch in Syrien sind, aber auch für diejenigen, die ihn hören wollen. Seine dunklen Augen weiten sich, mit seinen Händen unterstreicht er die Erlebnisse, die er erzählt: „Bei mir ist alles zerstört, aber trotzdem mache ich weiter. Deshalb ist es wichtig, jedem meine Geschichte zu erzählen. Ich glaube viele schauen zu mir und es macht ihnen Mut.“
Ahmad hebt seinen rechten Arm und zeigt mit der Hand auf die gegenüberliegende Seite des Frühstücksraumes. Dort hängen zahlreiche Bilderrahmen: „Die meisten Menschen haben schon Rahmen, in die sie ihre vorgefertigten Bilder setzen. Oft wird ein Syrer einem Terroristen gleichgesetzt oder wenn ein Auto gestohlen wird, denkt man sofort an einen Mann aus Polen.“Ahmad will mithelfen, die Vorurteile in den Köpfen der Menschen zu berichtigen. „Wir haben auf der ganzen Welt gute und schlechte Menschen, aber ich will zeigen, dass Bilder nur den Anfang einer Geschichte erzählen, aber niemals die Geschichte einer Person.“
Oft denkt Ahmad auch daran, dass sein Erfolg ganz plötzlich vorbei sein kann und irgendwann möchte er das auch. „Ich bin nicht der Pianist, der überall auf der Welt Konzerte spielt. Das ist einfach passiert, ich weiß nicht wie“, sagt Ahmad. Seine Frau und seine beiden Söhne sind bereits in Deutschland, in den nächsten Monaten sollen auch seine Eltern hier ankommen. Dann will er sich auch bewusst mehr Zeit für seine Familie nehmen und sein Musikpädagogikstudium beenden. „Dafür“, sagt er lachend, „muss ich aber noch besser Deutsch lernen, oder nein, eher Hessisch.“
Jeder von uns ist ein Symbol für unser Land.“ „Bei mir ist alles zerstört, aber trotzdem mache ich weiter. Deshalb ist es wichtig, jedem meine Geschichte zu erzählen. Ich glaube viele schauen zu mir und es macht ihnen Mut.“
Aeham Ahmad