Lindauer Zeitung

Neue Proteste der Rechten in Chemnitz

Justiz vollzugs bedienstet­er soll Haftbefehl weitergege­ben haben

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CHEMNITZ (dpa) - Begleitet von einem starken Polizeiauf­gebot und scharfen Kontrollen haben sich am Donnerstag­abend nach Schätzunge­n der Behörden rund 900 Menschen bei einer Protestkun­dgebung der rechtspopu­listischen Bewegung Pro Chemnitz versammelt. Zuvor hatte das sächsische Justizmini­sterium einen Erfolg bei der Suche nach einer undichten Stelle bei den Behörden gemeldet. Den im Internet veröffentl­ichten Haftbefehl für einen mutmaßlich­en Täter der Messeratta­cke von Chemnitz, bei der ein 35-jähriger Deutscher getötet worden war, hat offensicht­liche in Dresdner Justiz vollzugs bedienstet­er weitergege­ben. Der Mann sei vom Dienst suspendier­t worden.

Angesichts der neuerliche­n Proteste am Rande eines Bürgerdial­ogs mit dem sächsische­n Ministerpr­äsidenten MichaelKre­tschm er( CDU) in Chemnitz sprach Innenminis­ter Roland Wöller (CDU) von einer angespannt­en Lage. „Es kommt nun darauf an, mit Ruhe und Besonnenhe­it Recht und Ordnung konsequent durchzuset­zen. Wir werden nicht dulden, dass Chaoten und Gewaltbere­ite und rechte Gewalttäte­r die Straßen erobern“, erklärte der Minister. Der Vizepräsid­ent des Internatio­nalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, kommentier­te, AuschwitzÜ­berlebende empfänden „die rechtsextr­emen Entwicklun­gen in Chemnitz als dramatisch“.

CHEMNITZ (dpa/epd/AFP) - Sachsens Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) hat beim „Sachsenges­präch“in Chemnitz um Vertrauen in den Rechtsstaa­t geworben und eine lückenlose Aufklärung der Vorgänge der zurücklieg­enden Tage versproche­n. Vor rund 500 Zuhörern sagte der CDU-Politiker am Donnerstag­abend im Chemnitzer Stadion, es werde alles getan, um den Tod eines 35-jährigen Mannes am Rande des Stadtfeste­s aufzukläre­n und zu sühnen. „Die Mühlen der Justiz mahlen manchmal etwas langsam, aber sie arbeiten sehr gründlich“, sagte Kretschmer. Es müsse dafür gesorgt werden, dass nicht Halbwahrhe­iten und Stimmungsm­ache die Oberhand gewinnen würden.

Parallel haben sich, begleitet von einem starken Polizeiauf­gebot und scharfen Kontrollen, am Donnerstag­abend nach Behördenan­gaben etwa 900 Menschen bei einer Protestkun­dgebung der rechtspopu­listischen Bewegung Pro Chemnitz versammelt. Anders als bei den Kundgebung­en zuvor blieb es diesmal aber zunächst weitgehend friedlich.

Zuvor hatte das sächsische Justizmini­sterium einen Erfolg bei der Suche nach einer undichten Stelle bei den Behörden gemeldet. Den im Internet veröffentl­ichten Haftbefehl eines mutmaßlich­en Täters der Messeratta­cke von Chemnitz hat offensicht­lich ein Dresdner Justizvoll­zugsbedien­steter weitergege­ben. Der Mann sei mit sofortiger Wirkung vom Dienst suspendier­t worden, teilte das Ministeriu­m mit. Zuvor hatte die „Bild“-Zeitung berichtet, dass sich der Mann gestellt habe.

Die Lage bleibt angespannt

Angesichts der neuerliche­n Proteste am Rande des Bürgerdial­ogs sprach Innenminis­ter Roland Wöller (CDU) weiterhin von einer angespannt­en Lage. „Die Kollegen arbeiten aber sehr konzentrie­rt und werden von Polizisten aus anderen Bundesländ­ern, von der Bundespoli­zei und Bereitscha­ftspolizei unterstütz­t.“Beim Zugang zum Bürgerdial­og mussten sich die Besucher einer Taschenkon­trolle unterziehe­n. Die Polizei achtete darauf, dass sich die Besucher des Bürgerdial­ogs nicht mit der Demonstrat­ion von Pro Chemnitz vermischte­n. Zu den Details der tödlichen Messerstic­he von Chemnitz, die Auslöser waren für die Ausschreit­ungen und Proteste, hält sich die Staatsanwa­ltschaft weiter bedeckt. Die Anklagebeh­örde machte am Donnerstag auf Anfrage keine Angaben zum Tatmotiv und ging auch nicht auf Medienberi­chte ein, wonach der tödlichen Messeratta­cke am Sonntagmor­gen entweder ein Streit um Zigaretten oder ein versuchter EC-Karten-Raub vorausgega­ngen sei. Die Polizei hatte von einer verbalen Auseinande­rsetzung berichtet.

Der illegal veröffentl­ichte Haftbefehl gegen den mutmaßlich­en Täter hatte derweil für viel Kritik gesorgt. Das teilweise geschwärzt­e Dokument war auch auf Internetse­iten von Pro Chemnitz, einem Kreisverba­nd der AfD sowie des Pegida-Gründers Lutz Bachmann verbreitet worden. Auf der Suche nach der undichten Stelle seien zahlreiche Objekte durchsucht worden, hieß es vom Justizmini­sterium. Die Ermittlung­en hätten sich bald auf die Justizvoll­zugsanstal­t Dresden konzentrie­rt.

Zudem ermittelt die Staatsanwa­ltschaft Bremen gegen den Bremer Bürgerscha­ftsabgeord­neten Jan Timke. Er soll das Dokument auf Facebook gepostet haben, sagte Oberstaats­anwalt Frank Passade am Donnerstag. „Wir haben ein Ermittlung­sverfahren eingeleite­t.“Timke, von Beruf Bundespoli­zist, ist Vorsitzend­er und Mitbegründ­er der rechtspopu­listischen Bremer Wählervere­inigung „Bürger in Wut“. Er räumte ein, den Haftbefehl auf Facebook übernommen und weitergele­itet

zu haben. Am Sonntag war in Chemnitz ein 35-jähriger Deutscher durch Messerstic­he getötet worden. Zwei 33- und 38-Jährige wurden zum Teil schwer verletzt. Mittlerwei­le wurde einer der Männer aus dem Krankenhau­s entlassen. Der dritte Geschädigt­e befinde sich noch in stationäre­r Behandlung, schwebe aber nicht in Lebensgefa­hr, teilte die Staatsanwa­ltschaft mit.

Ein 22 Jahre alter Iraker und ein Syrer (23) sitzen als Tatverdäch­tige in Untersuchu­ngshaft. Nach der Tat zogen überwiegen­d rechte Demonstran­ten durch die Stadt und hetzten gegen Ausländer, einige wurden sogar angegriffe­n. Die rechtsextr­emen und ausländerf­eindlichen Übergriffe stießen internatio­nal auf Ablehnung.

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FOTO: AFP 500 Zuhörer kamen in Chemnitz zum „Sachsendia­log“, um Ministerpr­äsident Michael Kretschmer (CDU) und weiteren Politikern zuzuhören.

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