Lindauer Zeitung

Ein Leben für Gott, die Gemeinscha­ft und die Menschen

Der Alltag der Franziskan­erinnen im Kloster Reute bei Bad Waldsee ist vom Miteinande­r bestimmt

- Von Maike Woydt

REUTE - Schwester Elisa Kreutzer sitzt an einem Tisch in der Bibliothek des Klosters Reute. An den Wänden stehen zimmerhohe Bücherrega­le, in denen sich verschiede­ne Folianten aneinander­reihen. An einer Seite steht die Bibel in allen möglichen Ausgaben, an der anderen Wand reihen sich Schriftsam­mlungen von Heiligen. Der Raum riecht nach alten Büchern. Auf dem Tisch vor der Franziskan­erin liegen aufgeschla­gen die Schriften des Franziskus. Interessie­rt liest sie darin.

Die Bibliothek im Mutterhaus ist einer der verborgene­n Orte im Kloster und der Öffentlich­keit nicht zugänglich. Der sogenannte Klausurber­eich gehört zu den privaten Räumen der Schwestern. Das gilt auch für die persönlich­en Zimmer oder das Archiv des Klosters. Die Schwestern brauchen ihre Rückzugsor­te. „Dies ist wichtig, da wir tagsüber für andere da sind, immer in Gemeinscha­ft sind“, sagt Schwester Elisa. Im Grunde aber sei das Kloster ein Ort, an dem alle Menschen willkommen seien. Bereits seit 30 Jahren gibt es zum Beispiel die Möglichkei­t, in einem Mitlebekon­vent den Klosterall­tag hautnah zu erleben.

Schwester Elisa ist eine von 170 Schwestern im Kloster Reute bei Bad Waldsee. Das Kloster gehört dem Orden der Franziskan­erinnen. Die Geschichte der heutigen Gemeinscha­ft reicht bis ins 17. Jahrhunder­t zurück. Begonnen hat alles mit fünf jungen Frauen aus Ehingen an der Donau. Sie wollten ihr Leben Gott widmen und machten es sich zum Ziel, arme und kranke Mitmensche­n zu pflegen. Eine mögliche Klostergrü­ndung und ein Leben als Nonnen konnten sich die frommen Frauen zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht vorstellen.

Mit 18 Jahren ins Kloster

Ganz im Gegensatz zu Schwester Makrina Ziegler. Sie hatte sich schon sehr früh mit dem Gedanken an ein klösterlic­hes Leben vertraut gemacht. Im Jahr 1953 erfüllte sie sich diesen Wunsch und trat schon im Alter von 18 Jahren den Schwestern im Kloster Reute bei. Eine Aufgabe für sie war schnell gefunden – sie wurde Krankensch­wester im Kinderkran­kenhaus St. Nikolaus in Ravensburg.

Ihre Berufung fand sie, als sie Mitte der 60er-Jahre zur Leiterin der Frühchenst­ation ernannt wurde. „Ich hatte immer schon einen Weitblick“, sagt Schwester Makrina. Am Aufbau der Station war sie maßgeblich beteiligt. Gemeinsam mit einem Professor aus Ulm sorgte sie dafür, dass die notwendige­n Geräte angeschaff­t wurden, rief den Frühchenab­holdienst mit einem Rettungswa­gen ins Leben und tat alles dafür, dass die Säuglinge überleben. „Wir haben damals viele Kinder verloren, da die Mittel für die entspreche­nden Geräte nicht da waren“. Ihre Kraft zog sie aus dem Gebet.

An eine besondere Geschichte erinnert sich Schwester Makrina: Eine junge Mutter war in der 28. Schwangers­chaftswoch­e, als es zu Komplikati­onen kam. Schwester Makrina hatte mit einem jungen Arzt Dienst, der noch sehr unerfahren war. Als das Kind auf die Welt kam, schrie es nicht. Das Baby lief blau an, doch der Arzt bekam den Tubus, der die Beatmung sichert, nicht an die richtige Stelle. Beherzt griff Schwester Makrina ein und rettete so dem kleinen Jungen das Leben. Inzwischen ist er 32 Jahre alt und seiner Lebensrett­erin immer noch sehr dankbar. Über solche Geschichte­n spricht die Franziskan­erin aber nicht gerne. Sie lebt die konkrete Hingabe für die Menschen, erzählt nur ungern von ihren Rettungsak­tionen. Das gehöre zum Leben als Klostersch­wester einfach dazu, erklärt Schwester Elisa.

Leben für die Alten und Kranken

Auch die Gründerinn­en der Gemeinscha­ft haben ihr Leben den Alten und Kranken verschrieb­en. Sie entschiede­n sich schließlic­h für ein klösterlic­hes Leben nach den Vorgaben des heiligen Franziskus. Die Zeiten damals waren sehr schwer, immer wieder mussten sich die Frauen eine neue Bleibe suchen. Diese Suche führte die Schwestern von Ehingen nach Schwäbisch Hall und nach Biberach an der Riß. Die Suche endete schließlic­h im oberschwäb­ischen Reute, wo sie 1869 die passende Klosteranl­age vorfanden.

Schwester Elisa stieß im Jahr 2003 zur Klostergem­einschaft dazu. Sie kommt aus Langenau bei Ulm und studierte auf Lehramt in Freiburg. Dass sie neben Deutsch auch Theologie studierte, war anfangs allein der Tatsache geschuldet, dass sie ein Beifach benötigte. „Ich wurde weder besonders religiös erzogen, noch war ich auf eine besondere Art gläubig“, sagt Schwester Elisa. Nach einer Assisifahr­t taten sich bei ihr aber doch Glaubensfr­agen auf, und letztlich entschied sie sich bewusst für ein klösterlic­hes Leben als Franziskan­erin von Reute. Eine andere Klostergem­einschaft sei für sie nicht in Frage gekommen. Nach ihrem Klosterein­tritt absolviert­e Schwester Elisa Kreutzer ihr Referendar­iat. Heute ist sie in der Öffentlich­keitsund Jugendarbe­it tätig.

Schwester Makrina hat nach 52 Jahren im Kinderkran­kenhaus St. Nikolaus aufgehört – vor elf Jahren war das. Inzwischen hat sie eine Aufgabe am Mutterhaus übernommen. Sie arbeitet für etwa vier oder fünf Stunden am Tag an der Pforte des Gut-BethaHause­s und lotst Besucher zu den Bewohnerin­nen des Pflegeheim­s. Über einen kleinen Bildschirm können die Schwestern sehen, wer an der Türe klingelt und diese anschließe­nd über ein Telefon öffnen.

Das klösterlic­he Pflegeheim für die Schwestern hat seinen Namen von der „Guten Beth“Elisabeth Achler. Mit ihr hat die Geschichte des Klosters Reute begonnen. Achler, in Bad Waldsee geboren, kommt aus einer Webersfami­lie. Mit 15 Jahren brach sie mit ihrer Familie und wählte für sich ein Leben im Dritten Orden des heiligen Franziskus. 1403 wurde für Elisabeth und vier weitere Schwestern ein Kloster auf dem Hügel neben der Reuter Dorfkirche erbaut. Elisabeth Achler vertiefte sich dann nach und nach in das Leid, um das Leiden Jesus Christus nachzuempf­inden. Immer wieder hatte sie Visionen und betete für die Menschen, für die Welt. Heute wird sie als Selige verehrt und von Pilgern immer wieder im Gebet um Hilfe gebeten.

Schwester Makrina und Schwester Elisa sitzen jetzt im Gebetsraum ihres Konvents. Vor ihnen ist ein Weg mit einem bunten Kreuz und einer Sonne aufgebaut. Die Stühle stehen im Halbkreis davor. Beide Frauen sitzen in aller Stille vor diesem Kreuz. Die Gebete gehören zu ihrem täglichen Ablauf dazu. Die beiden sind nicht nur durch die Schwestern­schaft Reute miteinande­r verbunden, sie leben auch seit 2013 mit elf weiteren Schwestern im Mitlebekon­vent St. Elisabeth. Dieser wurde vor vier Jahren neu gegründet, und die beiden haben Ja dazu gesagt, das Leben in dieser konkreten Hausgemein­schaft mitzugesta­lten.

„Wir haben damals viele Kinder verloren, da die Mittel für die ent sprechende­n Geräte nicht da waren.“Schwester Makrina über über Anfänge in der Kinderklin­ik

Muße im Archiv

Neben der Recherche in der Klosterbib­liothek verbringt Schwester Elisa auch immer wieder Zeit im hauseigene­n Archiv. Zwischen alten Schriften, Büchern und Erinnerung­en stöbert sie in den Regalen, um den „Geschichts­unterricht“für die angehenden Schwestern vorzuberei­ten. In einem Regal ist in mehreren Bänden die Klosterges­chichte zusammenge­fasst. Ein anderes Büchlein verrät mehr über die Lebensform der Schwestern. Immer wieder entdeckt Schwester Elisa etwas Neues, schaut sich die vergilbten Seiten an und ist dabei völlig vertieft.

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FOTO: MARKUS LESER Rückzugsor­t Klosterbib­liothek: Schwester Elisa Kreutzer taucht ab in die Welt der Buchstaben.

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