Lindauer Zeitung

Der Gipfel: 18-Jähriger bezwingt 7000er

Florian Storkenmai­er aus Oberdorf hat den Pik Lenin bestiegen

- Von Tanja Poimer

LANGENARGE­N - Er tut’s mit Vorliebe auf Eis, hängt gerne einmal kopfüber und will zwischendu­rch einfach nur hoch hinaus: Florian Storkenmai­er ist leidenscha­ftlicher Bergsteige­r. Um für eine Gipfeltour am nächsten Tag fit zu sein, lässt der 18Jährige am Abend zuvor jede Party sausen. Jetzt hat der Oberdorfer seinen ersten 7000er bestiegen: den Pik Lenin im Pamir-Gebirge.

Sein Mobile bestand nicht etwa aus Plüschster­nen oder Holzfliege­rn. Vor seinen Augen baumelten bereits in frühester Kindheit Karabinerh­aken. Der Grund: Die Liebe zur Bergwelt ist vererbt. Ob Mutter Christina, Vater Robert oder der jüngere Bruder Simon – Familie Storkenmai­er zieht’s mehr oder weniger in die Höhe. Folglich lagen und liegen Urlaubs- und Ausflugszi­ele im schweizeri­schen Engadin, im Ötztal in Österreich oder in den italienisc­hen Dolomiten.

Familienan­gelegenhei­t

Badeferien? Fehlanzeig­e! „Nach allerhöchs­tens drei Tagen wäre es mir zu langweilig, am Strand zu liegen“, ist sich der Oberdorfer sicher, der bei Eberhard Hanser in Eriskirch eine Ausbildung zum Schreiner macht. Er klettert zur Abwechslun­g lieber einmal pro Woche in der Jugendmann­schaft des Deutschen Alpenverei­ns (DAV), Sektion Wangen, und in jeder anderen freien Minute mit Verwandten, Bekannten, Freunden an gefrorenen Wasserfäll­en oder steile Felswände empor.

Familiäre Einflüsse waren auch der Auslöser für die Expedition ins Pamir-Gebirge: Martin Grossmann, der Bruder der Mutter, kam auf die Idee, den Peak Lenin in Kirgisista­n an der Grenze zu Tadschikis­tan zu besteigen. Und zwar nachdem er 2016 mit dem Fahrrad auf dem PamirHighw­ay unterwegs gewesen war, den 7134 hohen Berg tagelang vor Augen hatte und seitdem bezwingen wollte. Florian Storkenmai­er war schnell überzeugt: „Ich will immer etwas machen, das nicht Standard ist. Das fordert mich heraus“, sagt er zu seiner Motivation. Angst habe er keine, jedoch Respekt: „Du kannst das Risiko, das du als Bergsteige­r eingehst, minimieren, indem du die richtigen Entscheidu­ngen triffst.“

Die Folge: Am Samstag, 21. Juli, saßen Onkel von der Alb und Neffe vom Bodensee erst im Flugzeug nach Moskau und dann in einer Maschine nach Osch, mit etwa 255 000 Einwohnern zweitgrößt­e Stadt Kirgisista­ns. Mit dabei: alles, was des Bergsteige­rs Herz begehrt und vor allem braucht – angefangen bei Kleidung, wie Daunenjack­e oder Expedition­sschuhe, über Ausrüstung, wie Klettergur­t oder Steigeisen, bis hin zum Zelt. Nicht zu vergessen die gefrierget­rocknete Hochlagern­ahrung, die mit heißem Wasser vermischt zum Beispiel nach Nudeln mit Fleischsoß­e und dem 18-Jährigen zufolge „ganz lecker“schmeckt.

Etwas mehr und eine holprige Autofahrt später war am Sonntagabe­nd auf 3600 Metern das Basislager der Organisati­on erreicht, die sich um die Anreise gekümmert hat. Den Rest übernahmen die zwei Bergsteige­r selbst: „Wir sind komplett ohne Bergführer auf Tour gegangen und haben unsere 27 Kilo schweren Rucksäcke selbst getragen“, berichtet Florian Storkenmai­er. Und nicht nur das: Was ihre Organisati­on betrifft, waren der 18-Jährige und sein 64-jähriger Onkel, mit dem er sich „bestens versteht“, der jüngste und der älteste Gipfelstür­mer, die den Pik Lenin in dieser Saison erklommen haben. Dazukommt, dass nur 20 Prozent von denen, die es versuchen, das hohe Ziel erreichen, rechnet der Oberdorfer vor. Die schlechte Quote liege nicht zuletzt daran, dass sich an dem Berg einige Menschen versuchen, „die dort nicht hingehören“. Zu erkennen beispielsw­eise an der falschen oder fehlenden Ausstattun­g. Etwa 50 Zelte hat der 18-Jährige im Basislager gezählt, in dem unter anderem Ärzte, eine Küche und sogar ein Dampfbad bereitsteh­en. Drei weitere Organisati­onen haben ebenfalls derartige Einrichtun­gen am Fuße des Pik Lenin aufgebaut.

Die ersten Tage unternahm das Team aus Deutschlan­d Akklimatis­ationstour­en, um sich nach und nach an die Höhe zu gewöhnen. Mit Erfolg – abgesehen von großer Übelkeit, die sie beide zwar schwächte und ungewollt oft auf das Plumpsklo über der Gletschers­palte zwang, aber glückliche­rweise nur einmal überkam. Rauf und runter führte der Weg, in die Lager 1, 2 und 3. Vorsicht war dabei nicht nur beim Bergsteige­n geboten, sondern auch beim Wasserkoch­en: „Die Regel ist, nach unten zu pinkeln und von oben den Schnee zu holen“, erklärt Florian Storkenmai­er. Und die Materialwa­hl ist nicht die einzige Schwierigk­eit: Weil es in der Höhe äußerst trocken ist, ergeben 35 Liter Schnee gerade einmal sechs Liter Wasser. Ein kleiner Vorteil: „Das Wasser kocht schon bei 75 Grad.“

Nach zwölf Tagen startete die Verwandtsc­haft, zur Sicherheit per Funk mit dem Lager 1 verbunden, ihren Gipfelangr­iff – und brauchte 18 Stunden, um vom dritten Lager aus die sieben Kilometer hin, dieselbe Entfernung zurück und 1200 Höhenmeter zu überwinden. Los ging’s um 2.30 Uhr in der Früh, um 22 Uhr lagen die beiden wieder im Bett. 20 andere Bergsteige­r begegneten ihnen auf dem mühsamen Pfad, zwei waren gleichzeit­ig mit ihnen auf dem Gipfel. Der Oberdorfer: „Für das Höhengehen braucht es einen extrem starken Willen. Es ist sehr anstrengen­d, wir haben pro Atemzug einen Schritt gemacht und waren völlig platt. Mein Onkel noch mehr als ich.“Weitere Probleme: Essen und vor allem Trinken müssen sein, gehen jedoch kaum runter, und am Nachmittag zog das Wetter zu, was das Team zusätzlich unter Druck setzte.

Mount Everest muss nicht sein

Kurz vor der Mittagszei­t war bei minus 20 Grad der 7000er, dessen höchste Stelle ein Steinhaufe­n, eine Lenin-Büste, ein Pickel und Fahnen aus den Herkunftsl­ändern der Bezwinger kennzeichn­en, tatsächlic­h geschafft. Die großen Emotionen blieben trotzdem aus: „Die Höhe macht schummrig. Du bist nicht du selbst, reagierst anders. Wir haben uns aber natürlich in den Arm genommen und gelobt.“

Der endgültige Abstieg nach einem Ruhetag verlief reibungslo­s und schnell. Am 15. August war Florian Storkenmai­er wieder zurück am Bodensee. Im Gepäck: ein Zertifikat über die Besteigung des 7000ers und jede Menge neue Erfahrunge­n. Das Fazit des 18-Jährigen: „Das war ein Riesenerle­bnis, ich bin bis dahin noch nie geflogen. Klettertec­hnisch hätte die Tour für mich schwierige­r sein können. Aber ich wollte testen, wie es mir in der Höhe geht. Und es ging mir gut. Der höchste Berg, auf dem ich vorher war, ist das Nadelhorn im Wallis mit 4327 Metern.“

Welches hohe Ziel der Oberdorfer als nächstes erreichen will, ist noch nicht klar. Nur so viel: Irgendwann soll es ein 8000er sein. Ganz oben auf der Wunschlist­e steht allerdings nicht der berühmte Mount Everest – zumindest nicht über die Standardro­uten. Denn: „Ich habe keine Lust, Schlange zu stehen.“

„Für das Höhengehen braucht es einen extrem starken Willen.“Bergsteige­r Florian Storkenmai­er, 18 Jahre alt.

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Keine Angst, aber Respekt: Florian Storkenmai­er blickt von der Flamme, einer dünnen Felsnadel im Bergell in der Schweiz, herab.
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FOTOS: PR/MARTIN GROSSMANN „Ich will immer etwas machen, das nicht Standard ist“: Der Oberdorfer Florian Storkenmai­er (ganz rechts) liebt die Herausford­erung – ob beim Eiskletter­n im Gletschert­or des Steinglets­chers in der Zentralsch­weiz oder beim Höhengehen auf dem Pik Lenin im Pamir-Gebirge (von links). Mit seinem Onkel Martin Grossmann (zweites Bild von rechts, links) hat er jetzt den Gipfel seines erstens 7000ers erreicht.
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