Maas fordert ein Aufstehen gegen rechts
Außenminister ruft zu mehr Zivilcourage auf – Debatte um Überwachung der AfD
CHEMNITZ (dpa/epd) - Nach den Demonstrationen in Chemnitz mit rund 11 000 Teilnehmern verschiedener Lager hat Außenminister Heiko Maas (SPD) von den Deutschen mehr Einsatz gegen Rassismus gefordert. Am Samstag waren in Chemnitz nach einem Aufruf unter anderem von AfD und Pegida rund 8000 Menschen gegen die Flüchtlingspolitik auf die Straße gegangen. Ihnen standen rund 3000 Gegendemonstranten gegenüber. 1800 Polizisten hielten die Lager weitgehend auseinander. Nach Polizeiangaben gab es 18 Verletzte, darunter drei Polizisten.
Die Kundgebungen folgten auf die rechten Krawalle in Chemnitz vor rund einer Woche nach dem gewaltsamen Tod eines 35-jährigen Deutschen am Rande des Stadtfestes. Zwei Tatverdächtige, ein 22-jähriger Iraker und ein 23-jähriger Syrer, sitzen in Untersuchungshaft.
Die Vorfälle in Chemnitz und die Demonstration vom Samstag haben die Debatte über Zivilcourage und eine mögliche Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz neu entfacht. „Es hat sich in unserer Gesellschaft leider eine Bequemlichkeit breitgemacht, die wir überwinden
müssen“, sagte Außenminister Maas der „Bild am Sonntag“. „Da müssen wir dann auch mal vom Sofa hochkommen und den Mund aufmachen. “
Nachdem in Chemnitz AfD und die Pegida-Bewegung gemeinsam auftraten, hält Grünen-Chefin Annalena Baerbock eine Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz für „dringend geboten“. Volker Kauder (CDU), Chef der Unionsfraktion, sah in der „Welt am Sonntag“die AfD als Partei, „aus der heraus Beihilfe zum Rechtsradikalismus geleistet wird“. Innenminister Horst Seehofer (CSU) sagte dagegen der Funke-Mediengruppe:
„Derzeit liegen die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei als Ganzes für mich nicht vor.“
Chemnitz bleibt unterdessen Demo-Schauplatz. Auf Einladung der evangelischen Kirche demonstrierten gestern 1000 Menschen in der Innenstadt gegen Gewalt und Fremdenhass. Heute steht der Stadt die nächste Großveranstaltung ins Haus: Mehrere Bands wollen bei einem großen Gratiskonzert gegen Fremdenfeindlichkeit auftreten. Dabei sind unter anderem Die Toten Hosen und die Chemnitzer Band Kraftklub.
BERLIN (dpa) - Nach der AfD-Beteiligung an fremdenfeindlichen Demonstrationen in Chemnitz werden die Rufe nach einer stärkeren Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz lauter. Einer repräsentativen Umfrage zufolge ist eine Mehrheit der Deutschen dafür, die AfD vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Auch aus den Reihen von CDU, SPD und Grünen kamen entsprechende Forderungen. Innenminister Horst Seehofer sieht aber aktuell keine Grundlage für eine flächendeckende Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz.
„Derzeit liegen die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Partei als Ganzes für mich nicht vor“, sagte Innenminister und CSU-Chef den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Natürlich muss man immer genau hinschauen, und das tut der Verfassungsschutz, ob es sich bei Aussagen von Parteimitgliedern oder Zusammenarbeit mit bestimmten Gruppen um Einzelmeinungen oder parteipolitische Linie handelt.“
Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) verlangte eine schärfere politische Auseinandersetzung mit den Rechtspopulisten. „Rechtsradikalismus wird aus einer Bundestagspartei heraus mehr oder weniger offen unterstützt. Das ist schon eine neue besorgniserregende Qualität“, sagte er der „Welt am Sonntag“. Die Politik müsse sich deutlicher mit der AfD auseinandersetzen, „aus der heraus Beihilfe zum Rechtsradikalismus geleistet wird“.
Der CDU-Innenexperte Armin Schuster hatte die Verfassungsschutzbehörden der Länder kürzlich aufgefordert, die AfD genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie werde „immer mehr ein Fall für den Verfassungsschutz“, zumal sich Parteichef Alexander Gauland inzwischen „mindestens einmal im Monat von einer Entgleisung eines seiner Parteimitglieder distanzieren“müsse.
SPD-Innenpolitiker Burkhard Lischka plädierte dafür, Teile der AfD zu überwachen. „Wer über Jahre hinweg Teile der Linken beobachtet, darf nicht auf dem rechten Auge wegsehen“, sagte er der „Augsburger Allgemeinen“. Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner plädierte in der „Rheinischen Post“für eine teilweise Überwachung. Teile der AfD und einige ihrer Mandatsträger bekämpften offen die liberale Ordnung.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock sagte, angesichts des Verhaltens der AfD sei ihre Überprüfung durch den Verfassungsschutz „dringend geboten“. Die AfD habe offen mit zu den Ereignissen in der sächsischen Stadt aufgerufen und zur Hetze beigetragen. „Ihre Strukturen sind eng vernetzt mit denen der Rechtsextremen und Hooligans, die auf Menschen Jagd gemacht haben.“
Linke sind uneinig
Die Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Sahra Wagenknecht, lehnte eine Beobachtung dagegen ab. „Mit der AfD muss man sich politisch auseinandersetzen“, sagte sie der „Rheinischen Post“. Anders sieht das ihre Parteichefin Katja Kipping. Im Sommerinterview der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“sprach sie sich für eine Beobachtung aus.
In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Civey im Auftrag der Funke Mediengruppe sagten mehr als 57 Prozent der Befragten, die AfD solle „auf jeden Fall“(42,7 Prozent) oder „eher ja“(14,5 Prozent) vom Bundesamt für Verfassungsschutz beleuchtet werden. Knapp 36 Prozent, eine Überwachung sei „auf keinen Fall“(23,7 Prozent) oder eher nicht erforderlich.