Lindauer Zeitung

Harter Schlagabta­usch in Großbritan­nien um die Brexit-Linie

Downing Street kontert Kritik von Boris Johnson – EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier spricht von „Rosinenpic­kerei“

- Von Sebastian Borger

LONDON - Rechtzeiti­g zur ersten Sitzung der Herbst-Session im britischen Unterhaus ist der Streit in der konservati­ven Regierungs­partei über die Brexit-Politik scharf entbrannt. An die Spitze der Kritiker von Großbritan­niens Premiermin­isterin Theresa May setzte sich am Montag der frühere Außenminis­ter Boris Johnson. Mit dem im Juli vorgestell­ten Weißbuch ziehe die Regierung „mit der weißen Fahne“in die Verhandlun­gen, kritisiert­e der MayRivale in der Zeitung „Daily Telegraph“: „Wir werden Milliarden zahlen für zwei Drittel von so gut wie nichts.“Mays Sprecher tat Johnsons Artikel ab: Er enthalte „keine neuen Ideen“.

Johnson verglich die Verhandlun­gen mit einem Wrestling-Kampf, bei dem der Sieger schon vorher feststeht. „Ich fürchte, das unausweich­liche Ergebnis ist ein Sieg für die EU“, schrieb Johnson in seiner Kolumne. London werde „flach auf der Matte“liegen, „mit zwölf Sternen, die symbolisch über unserem halb bewusstlos­en Kopf kreisen“.

Dem mit Brüssel vereinbart­en Zeitplan zufolge wollen die Verhandlun­gspartner bis Mitte November eine Austrittsv­ereinbarun­g treffen. Daneben soll eine politische Erklärung über das zukünftige wirtschaft­liche und politische Verhältnis treten. Das im Juli vorgelegte Weißbuch sieht einen zukünftige­n engen Assoziatio­nsstatus Großbritan­niens mit der EU vor; dazu gehört die Übernahme der Brüsseler Regeln für den Güterverke­hr, wohingegen London am Binnenmark­t für Dienstleis­tungen nicht teilnehmen will.

Dem Weißbuch liegt ein Kabinettsk­ompromiss zugrunde, der bei einer Klausurtag­ung am Landsitz der Premiermin­isterin entstand, Chequers-Papier genannt. Johnson mochte den Kompromiss nicht mittragen und trat, vom bereits demissioni­erten Brexit-Minister David Davis unter Druck gesetzt, deshalb zurück. Wie wenig May von ihrem Parteifein­d hält, ließ der Sprecher mit dem Satz durchblick­en, die Regierungs­chefin stehe mit ihrem „ernsten Plan“für „seriöse Führung“.

Chequers-Papier ist umstritten

Allerdings steht das Chequers-Papier unter Beschuss nicht nur von eingefleis­chten EU-Feinden. Nach dem früheren Minister Davis kündigte zu Wochenbegi­nn auch der als gemäßigt geltende Abgeordnet­e Nick Boles an, er könne der Regierungs­linie nicht zustimmen. Stattdesse­n setzt er für eine Übergangsf­rist auf eine EFTA-Mitgliedsc­haft à la Norwegen und langfristi­g auf einen Freihandel­svertrag mit der EU nach dem Vorbild von Kanada.

EU-Chefunterh­ändler Michel Barnier sagte, Chequers stelle britische „Rosinenpic­kerei“dar und verstoße gegen die „fundamenta­len Interessen“der EU. Die Industrie müsse dringend ihre Wertschöpf­ungsketten „brexitfest“machen, mahnte der Franzose – eine indirekte Aufforderu­ng zur Entflechtu­ng europäisch­er Unternehme­n von Zulieferer­n auf der Insel. Nach jetzigem Stand wird Großbritan­nien vom kommenden Jahr an der zweitgrößt­e Außenhande­lspartner der 27er-Gemeinscha­ft sein, knapp hinter den USA, aber vor China und der Schweiz.

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FOTO: AFP Ex-Außenminis­ter Boris Johnson fährt erneut schwere Geschütze gegen Theresa May auf.

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