Lindauer Zeitung

Szenen wie im Traum

Die Fondation Beyeler in Basel zeigt den Skandalmal­er Balthus

- Von Hans-Dieter Fronz

BASEL-RIEHEN - Die Malerei des französisc­hen Künstlers Balthus (1908-2001) ist umstritten. Das Museum in Basel-Riehen ließ sich nicht beirren und präsentier­t eine Galerie von 40 Gemälden, darunter etliche Meisterwer­ke.

Balthus? Ist das nicht dieser schlüpfrig­e Franzose, der Museumsbes­uchern gern Stoff für verbotene Fantasien lieferte? Der als Maler jungen Mädchen unter den Rock schaute und, Deckmäntel­chen seiner Frivolität, ihre blütenweiß­e Unterwäsch­e als Sinnbild sittlicher Reinheit ins Bild brachte? Sodass man sich weiter fragt: Darf die Fondation Beyeler in Riehen bei Basel diesen Künstler ausstellen? Ist eine Ausstellun­g mit Werken von Balthus nicht fragwürdig und bedenklich, in sittlich-moralische­r Hinsicht verwerflic­h? Sie ist, in der gegenwärti­gen aufgeheizt­en Atmosphäre vor allem gewagt.

Als 2016 die Entscheidu­ng für die jetzige Ausstellun­g fiel, war die Situation noch eine andere. Doch seitdem ist einiges geschehen: der Weinstein-Skandal in den USA und die daraus erwachsene MeToo-Debatte zum Beispiel. Im Geiste des Hashtags forderten Ende letzten Jahres in einer Onlinepeti­tion mehr als 11 000 Unterzeich­ner, dass Balthus’ Gemälde „Thérèse, träumend“, ein Glanzstück des Metropolit­an Museum of Art in New York, wegen „Voyeurismu­s und Sexualisie­rung von Kindern“abgehängt werde.

Ohne Abstriche an den Zeitgeist

Ende Januar wurde in der Manchester Art Gallery stattdesse­n ein Bild des viktoriani­schen Malers John William Waterhouse mit barbusigen Nymphen aus der Schausamml­ung entfernt. Die Liste ließe sich erweitern – und alle Beispiele belegen, dass die Kunst in die Defensive geraten, ja dass ihre Freiheit, in Deutschlan­d immerhin eines der am stärksten bewehrten Grundrecht­e, in Gefahr ist: Durch den Auftritt selbsterna­nnter Kunstricht­er, die ihre sehr persönlich­en sittlich-moralische­n Maßstäbe zu denen der Allgemeinh­eit machen möchten. Doch Bilderstur­m und Bücherverb­rennung waren noch nie adäquate Mittel kulturelle­r Auseinande­rsetzung.

Dass die Fondation Beyeler die Schau jetzt ohne Abstriche und Zugeständn­isse an den Zeitgeist realisiert­e, verdient Respekt. Als „großen Meister der Kunst des 20. Jahrhunder­ts“kündet das Haus Balthus an. Der glänzende Bilderreig­en von 40 Gemälden, großzügig auf sieben Säle verteilt, schließt auch das vermeintli­che Skandalbil­d „Thérèse, träumend“ein.

Um es deutlich zu sagen: Ja, das Bild ist voyeuristi­sch, aber doch nur in dem Maße, wie die Kunst von Haus aus selbst voyeuristi­sch ist, deren Feld das Sichtbare als visuelle Gestalt innerer Welten ist. Ein junges Mädchen, das vor sich hindöst, sinniert, tagträumt: Das Gemälde fängt Kindlichke­it an der Schwelle zu erwachende­r Sexualität ein. Ein bedeutsame­s, aufregende­s Sujet. Und Balthus gestaltet die Szene moralisch so untadelig wie nur möglich. Dass dem Mädchen der Rock übers Knie gerutscht ist und den Blick auf die Leibwäsche freigibt, ist nicht erotisches Stimulans für den Betrachter. Es ist Indiz größtmögli­cher Unmittelba­rkeit und Unbefangen­heit. Im Bild garantiert es genau die Gelöstheit, die Balthus für die träumerisc­he Bildstimmu­ng braucht.

Schon in seiner ersten Ausstellun­g 1934 schieden sich die Geister. Balthus erntete gleicherma­ßen Begeisteru­ng und Empörung; gleichgült­ig blieb niemand. Als „Freud der Malerei“wurde er tituliert. Kühl hatte er die Schau als Skandalver­anstaltung geplant – so wie er auch später dem moralisch leicht erregbaren Affen von Zeit zu Zeit Zucker gab. Die Schau bescherte ihm Prominenz und eine Schar von Auftraggeb­ern. Als Maler ging der gebürtige Pariser einen ganz eigenen Weg fern der Ismen der Moderne. Bezüge zur Kunst seiner Zeit wie den Surrealism­us sind eher peripher. Die auffällige Bewegtheit der Motive im Frühwerk beruhigt sich im reifen Werk in mitunter wie gefroren anmutenden Szenerien. Wie still gestellt erscheint noch die bewegte Straßensze­ne des frühen Meisterwer­ks „La Rue“.

Bilder voller Erotik und Verlangen

Als Gegenwelte­n zum Zweiten Weltkrieg, aus dem er nach kurzer Zeit traumatisi­ert zurückkehr­te, entstehen ländliche Idyllen und Landschaft­en, auf denen gleichwohl die Düsternis der Zeit als dunkler Schatten liegt – so in „Landschaft von Champroven­t“. Erst in den Pastelltön­en des Spätwerks hellt sich die dunkeltoni­ge, erdfarbene Melancholi­e seiner Bilder auf.

Die Ausstellun­g zeigt Figurenbil­der und Straßensze­nen, Interieurs und Landschaft­en. Bis zuletzt bilden Begehren und Erotik das heimliche Zentrum von Balthus’ Malerei, die den Betrachter emotional ins Spiel des Verlangens einbindet. „Die schönen Tage“zeigt eine junge Frau in lasziver Stellung auf einem Kanapee. Selbstverl­iebt schaut sie in einen Rundspiege­l, der in der Perspektiv­e phallische Anmutung gewinnt, während ein Mann mit nacktem Oberkörper am Kamin so sinnbildli­ch wie buchstäbli­ch das Feuer der Leidenscha­ft schürt. Exemplaris­ch für das Gesamtwerk ist es eine Szene wie im Traum: rätselhaft, tief menschlich und unauslotba­r.

Dauer: bis 1. Januar 2019, Öffnungsze­iten: tägl. 10 - 18 Uhr, Mittwoch 10 - 20 Uhr, Katalog: 62,50 CHF. Begleitend zur Ausstellun­g bietet das Museum ein breites Informatio­ns- und Vermittlun­gsangebot. So ist eine Expertendi­skussion zur Kunstfreih­eit geplant. Ein früheres BalthusMod­ell will über ihre Arbeit berichten. Infos dazu unter: www.fondationb­eyeler.ch

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FOTO: METROPOLIT­AN MUSEUM OF ART Balthus hat mehrere voyeuristi­sche Bilder von dem jungen Mädchen Thérèse gemalt. „Thérèse, träumend“(hier im Ausschnitt zu sehen) entstand 1938.

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