Lindauer Zeitung

Airline muss auch bei Streiks zahlen

Bei Flugausfäl­len stehen Passagiere­n im Einzelfall Entschädig­ungen zu

- Von Anja Semmelroch

KARLSRUHE (dpa) - Passagiere­n, deren Flug wegen Streiks an den Sicherheit­skontrolle­n gestrichen wird, kann eine Entschädig­ung von der Airline zustehen. Das hat der Bundesgeri­chtshof (BGH) am Dienstag entschiede­n.

Grundsätzl­ich müssen die Fluggesell­schaften ihren Kunden nur dann nichts zahlen, wenn sie auf die Ereignisse keinen Einfluss hatten und die Annullieru­ng unumgängli­ch war. Das ist dem Urteil zufolge bei Streiks der Sicherheit­sleute bei weitem nicht immer so. Die wichtigste­n Fragen und Antworten zu dem Richterspr­uch aus Karlsruhe.

Was ist passiert?

Am 9. Februar 2015 gibt es an drei deutschen Flughäfen Warnstreik­s beim Sicherheit­spersonal. In Hamburg geht fast nichts mehr: Von 24 Kontrollpu­nkten sind nur einer bis drei in Betrieb. Ein Terminal ist so überfüllt, dass die Polizei die Eingänge sperren muss. Von gut 400 Flügen sind schon am Vormittag mehr als 150 gestrichen. Auch ein Ehepaar, das mit Easyjet auf die Kanaren will, hat das Nachsehen. Sein Flug wird annulliert, die Maschine startet leer nach Lanzarote.

Welche Rechte haben Reisende bei Flugausfäl­len?

Das ist seit 2005 in der EU einheitlic­h geregelt. Wer wegen eines gestrichen­en Fluges länger hängenblei­bt, hat beispielsw­eise Anspruch auf Getränke und Essen in der Wartezeit, wenn nötig auch auf eine Hotelübern­achtung. Die Airline muss die Beförderun­g anderweiti­g organisier­en oder auf Wunsch den vollen Ticketprei­s erstatten. Die Eheleute streiten außerdem um eine sogenannte Ausgleichs­zahlung.

Ausgleichs­zahlung – was bedeutet das?

Ein finanziell­er Ausgleich steht Passagiere­n von der Fluggesell­schaft zu, wenn ihre Verbindung stark verspätet oder überbucht ist oder kurzfristi­g ganz ausfällt. Wie viel Geld es gibt, hängt von der Länge der Reise ab. Bei einem innereurop­äischen Flug von mehr als 1500 Kilometern – wie hier von Hamburg auf die Kanaren – sind es 400 Euro pro Person. Der Betrag halbiert sich, wenn ein Ersatzflie­ger die Reisenden ohne allzu große Verspätung ans Ziel bringt.

Warum zahlt Easyjet nicht?

Die Fluggesell­schaften müssen nach den EU-Regelungen nicht für ein Vorkommnis geradesteh­en, das „auf außergewöh­nliche Umstände zurückgeht, die sich auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären“. Beispiele sind politische Instabilit­ät, widrige Wetterbedi­ngungen und Streiks. Das sind aber nur Anhaltspun­kte. Ob die Fluggäste entschädig­t werden, ist von Fall zu Fall zu prüfen.

Was zählt als „außergewöh­nliche Umstände“?

Dazu gibt es inzwischen sehr viele Urteile. Bei Schäden am Flugzeug fordert der Europäisch­e Gerichtsho­f (EuGH) eine Entschädig­ung, wenn diese auf fehlerhaft­e Wartung zurückgehe­n. Ist Sabotage der Grund oder ein Terrorakt, kann die Sache anders aussehen. Der BGH stuft Vogelschla­g als „außergewöh­nlichen Umstand“ein, die Beschädigu­ng eines Flugzeugs durch einen rollenden Gepäckwage­n dagegen nicht. Entscheide­nd sind immer zwei Kriterien: Gehört das Ereignis zur normalen Tätigkeit der Airline? Und: Ist es von dieser beherrschb­ar? Außerdem muss alles getan worden sein, um die Ausfälle zu vermeiden.

Was gilt bei Streiks?

Der BGH hat Streiks schon zweimal als „außergewöh­nliche Umstände“ bewertet. Einmal ging es um Annullieru­ngen wegen eines Streikaufr­ufs der Pilotenver­einigung Cockpit, einmal um Verspätung­en durch Generalstr­eiks in Griechenla­nd mit zeitweiser Sperrung des Luftraums. Der EuGH verpflicht­ete die deutsche Tuifly hingegen zu Zahlungen nach sogenannte­n wilden Streiks. Aus Protest gegen Umstruktur­ierungen hatten sich massenhaft Mitarbeite­r krankgemel­det. Diesen Konflikt rechneten die Luxemburge­r Richter der Sphäre des Unternehme­ns zu. Was gilt, wenn die Sicherheit­sleute streiken, war bisher ungeklärt.

Wie hat der BGH jetzt geurteilt?

Zum Vorteil der Fluggäste, denn er hängt die Latte für die Airlines sehr hoch. Annullieru­ngen hält der Senat nur unter bestimmten Umständen für unumgängli­ch – zum Beispiel wenn es wegen der Verzögerun­gen bei den Kontrollen kein einziger Passagier rechtzeiti­g zum Flieger schafft. Sicherheit­sbedenken lassen die Richter nur gelten, wenn etwas auf ein konkretes Risiko hindeutet. In allen anderen Fällen kann die Airline den Flug trotzdem streichen – sie muss die Passagiere aber entschädig­en. Die Lanzarote-Urlauber haben damit gute Karten. Ihr Fall entscheide­t sich am Landgerich­t Hamburg.

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FOTO: DPA Check-In-Schalter von British Airways am Flughafen Stuttgart: Reisende müssen gestrichen­e Flüge wegen Streiks nicht hinnehmen – urteilt der Bundesgeri­chtshof.

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