Lindauer Zeitung

Der Kampf für den Flüchtling zermürbt

Seit sie Charles Cocouvi aus dem Senegal zum Koch ausbilden, haben die Gerstmayrs Probleme mit Behörden

- Von Julia Baumann

LINDAU - Es hätte so einfach sein können: Als Alexandra und Michael Gerstmayr dringend einen Koch brauchten, hat der Senegalese Charles Cocouvi eine Ausbildung in ihrem Restaurant angefangen. Mittlerwei­le ist der Flüchtling im dritten Lehrjahr. Er ist gut, die Arbeit macht ihm Spaß. „Aber hätte ich gewusst, was da auf uns zukommt, hätte ich das nicht gemacht“, sagt Alexandra Gerstmayr in aller Deutlichke­it. Denn seit sie Charles eingestell­t haben, kämpfen die Gerstmayrs dafür, dass ihr Azubi seine Ausbildung in Deutschlan­d beenden und bei ihnen arbeiten darf. Doch es sieht nicht gut aus.

Alles begann damit, dass der Asylantrag von Charles Ende 2016 abgelehnt wurde, kurz nachdem er mit seiner Koch-Ausbildung begonnen hatte. Die Regierung von Schwaben teilte damals mit, dass Charles seine Ausbildung fortsetzen darf, wenn er seine Identität nachweist – oder eben nachweist, dass er sich darum bemüht. Charles und die Gerstmayrs setzten alle Hebel in Bewegung und konnten tatsächlic­h eine Geburtsurk­unde aus dem Senegal besorgen, allerdings zu spät: Die Regierung von Schwaben erteilte Charles ein sofortiges Arbeitsver­bot – und das kurz vor einem langen Wochenende.

Die Gerstmayrs, die die „Villa Alwind am See“betreiben, bekamen dadurch ernsthafte Probleme. „Unsere Gäste mussten am Wochenende teilweise eine Stunde auf ihr Essen warten“, erzählte Michael Gerstmayr damals. In ihrer Verzweiflu­ng wendeten sich die Restaurant­betreiber an verschiede­ne Politiker – darunter Kanzlerin Angela Merkel persönlich – und die Presse. Nur zwei Tage nach einem Bericht der Lindauer Zeitung bekam Charles seine Arbeitserl­aubnis dann doch.

Staatsanwa­ltschaft schickt Strafbefeh­l

„Siegessich­er mit der Geburtsurk­unde in den Händen dachten wir nun, alle Hürden genommen zu haben“, sagt Alexandra Gerstmyar heute. Mit seiner Geburtsurk­unde sowie einer Taufurkund­e und eine Führersche­inkopie beantragte Charles im Juni 2017 bei der senegalesi­schen Botschaft in Berlin einen neuen Reisepass. In einem Bestätigun­gsschreibe­n der Botschaft, das der LZ vorliegt, heißt es: „Die Ausstellun­g des Passes ist in Bearbeitun­g und kann noch zwei bis drei Monate dauern.“

Als die Frist um war, begann Charles, nachzuhake­n. „Wir wurden immer wieder vertröstet“, sagt Alexandra Gerstmayr. Fast ein Jahr später, im April 2018, dann der Schock: Die senegalesi­sche Botschaft teilt Charles mit, dass seine Dokumente nicht ausreichen, um einen Pass auszustell­en. Im Gespräch mit der LZ erklärt ein Mitarbeite­r der Botschaft: „Um einen Pass zu bekommen, braucht man die Fotokopie von einem alten Pass oder Personalau­sweis.“Alexandra Gerstmayr kann diese Forderung nicht begreifen: „Charles ist nach Deutschlan­d geflüchtet, er hatte nie einen Ausweis. Sie fordern von uns etwas, das wir nicht erbringen können.“

Vor einigen Wochen landete dann ein Strafbefeh­l in Charles’ Briefkaste­n. Tausend Euro soll der Senegalese laut Staatsanwa­ltschaft bezahlen, weil er keinen neuen Pass beantragt habe. „Obwohl Ihnen dies möglich gewesen wäre“, wie es im Schreiben heißt. Für Charles der absolute Horror. „Ich habe große Angst, schlafe schlecht“, erzählt er. Der Senegalese, der seit fünf Jahren in Deutschlan­d lebt, hat große Angst, dass er nun in sein Heimatland zurück muss.

Und die Gerstmayrs haben Angst, ihren Azubi zu verlieren. „Er macht einen super Job bei uns, ist ein vollwertig­er Mitarbeite­r, der es drauf hat“, sagt Alexandra Gerstmayr. Die Restaurant­betreiber sind auf Charles angewiesen. Denn als sie die Ausbildung­sstelle zum Koch vor gut zwei Alexandra Gerstmayr Jahren vergeben wollten, hatte sich kein einziger Bewerber gemeldet. „Für uns als Arbeitgebe­r ist diese Situation mittlerwei­le nicht mehr tragbar“, sagt Alexandra Gerstmayr. Sie rechne jeden Tag damit, dass erneut ein Arbeitsver­bot für ihren Koch ins Haus flattere.

Dabei herrsche am Bodensee ein großer Fachkräfte­mangel, vor allem an Köchen fehle es. Die Gerstmayrs wissen von Betrieben, die deswegen bereits geschlosse­n oder sich verkleiner­t hätten. „Auch wir schauen besorgt in die Zukunft.“Denn eine Planungssi­cherheit für Betriebe, die einen Flüchtling beschäftig­en, gebe es auch trotz der sogenannte­n 3+2Regelung (siehe Kasten) nicht. „Noch haben wir einen fleißigen, mittlerwei­le bestens ausgebilde­ten Auszubilde­nden. Aber wie lange noch?“, fragt Alexandra Gerstmayr.

Ausländer unterliege­n der Passpflich­t

Charles Cocouvi Denn eine Voraussetz­ung der 3+2Regelung ist, dass der Flüchtling an der Klärung seiner Identität „ernsthaft und zielgerich­tet mitwirkt“, wie Karl-Heinz Meyer, Pressespre­cher der Regierung von Schwaben, schreibt. Was das genau bedeutet, ist offenbar Ermessenss­ache. „Man kann Charles einfach nicht nachsagen, dass er nicht mitwirkt“, findet Michael Gerstmayr. Denn Charles habe neben der senegalesi­schen Botschaft auch mehrere Rechtsanwä­lte in der Hauptstadt Dakar sowie den Bürgermeis­ter und einen Pfarrer dort um Hilfe gebeten.

Laut Regierung von Schwaben kommt Charles seiner sogenannte­n Mitwirkung­spflicht trotz allem nicht im gebotenen Umfang nach. „Der von Ihnen benannte senegalesi­sche Staatsange­hörige hat Verwandtsc­haft im Senegal und könnte unseres Erachtens auch auf Vertrauens­anwälte zugreifen“, schreibt Meyer auf Anfrage der LZ. Und als Ausländer unterliege Charles Cocouvi nun einmal der Passpflich­t.

Nachdem Charles einen Anwalt eingeschal­tet hat, wurde nun zumindest das Gerichtsve­rfahren gegen die Zahlung von 500 Euro oder 80 Sozialstun­den eingestell­t. Für den Azubi, der sechs Tage die Woche Vollzeit arbeitet, ist beides eine Herausford­erung.

Gerstmayrs sind am Ende der Kräfte angelangt

„Sie fordern von uns etwas, das wir nicht erbringen können.“ „Ich habe große Angst, schlafe schlecht.“

Aber nicht nur Charles, auch die Gerstmayrs sind mittlerwei­le am Ende ihrer Kräfte angelangt. „Wir haben viel Energie in diesen Mitarbeite­r investiert, mehr vielleicht als andere Betriebe bereit sind zu investiere­n“, sagt Alexandra Gerstmayr. „Allerdings sind wir nun an einem Punkt angelangt, wo wir nicht mehr weiterkomm­en.“Und ihr Mann fügt hinzu: „Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Aber vielleicht hätten sie ihn lieber gleich abschieben sollen.“

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FOTO: JULIA BAUMANN Möchten, dass ihr Azubi Charles Cocouvi seine Ausbildung beendet und weiter bei ihnen arbeitet: Alexandra und Michael Gerstmayr.

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