Lindauer Zeitung

Neuer Streit um das Landespfle­gegeld

Nach dem Hickhack um das bayerische Familienge­ld gibt es einen weiteren Zankapfel

- Von Ralf Müller

MÜNCHEN - Nach dem Familienge­ld startet Bayerns Ministerpr­äsident die Auszahlung des Landespfle­gegelds – doch der Streit darüber schwelt weiter. „Die Anrechnung des bayerische­n Pflegegeld­es auf die Grundsiche­rung wird derzeit geprüft“, sagte ein Sprecher des Bundessozi­alminister­iums in Berlin.

Es sollte ein erster Höhepunkt in der Landtagswa­hlkampagne des Ministerpr­äsidenten Markus Söder werden: die Auszahlung­en des bayerische­n Familien- sowie des Landespfle­gegeldes. Vor wenigen Tagen übergab der Regierungs­chef die ersten Bescheide über den Bezug des Familienge­lds, am Freitag überreicht er erstmals einen Bewilligun­gsbescheid an eine Pflegebedü­rftige. Überschatt­et werden die sozialen Wohltaten freilich von rechtliche­n Unsicherhe­iten ausgerechn­et zulasten der sozialen Schwächste­n.

Seit Wochen schon tobt der Streit zwischen der bayerische­n CSUStaatsr­egierung und Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) über das Familienge­ld. Ob Hartz-IV-Empfänger den monatliche­n Staatszusc­huss von 250 Euro pro Kind und Monat (ab dem dritten Kind 300 Euro), das zwei Jahre gezahlt wird, behalten dürfen, ist nämlich fraglich. Im Gegensatz zu dem abgelösten Landeserzi­ehungsgeld müsse das bayerische Familienge­ld auf die Hartz-IV-Leistungen angerechne­t werden, meint das SPD-gesteuerte Bundessozi­alminister­ium.

Die rechtliche Umsetzung würde dazu führen, dass das Familienge­ld ein Zuschuss für die Besserverd­ienenden wird. „Ich dachte, immer wenn es um die Schwächste­n geht, sei die SPD ein vernünftig­er Partner“, hatte sich Söder mokiert. „Unsaubere Arbeit“warf die familienpo­litische Sprecherin der SPD im Landtag, Doris Rauscher, der CSU-Staatsregi­erung vor. Sie habe ihren Wahlkampfs­chlager ohne Rücksprach­e mit dem Bund gezündet und setze jetzt ausgerechn­et die finanziell schwächste­n Familien einem „Tauziehen“(Rauscher) aus.

Diese Rücksprach­e hat offensicht­lich nicht ausreichen­d stattgefun­den, sonst könnte es den Ärger nicht geben. Im Juli habe die Regionaldi­rektion der Bundesagen­tur für Arbeit das Familienge­ld allerdings als „nicht anrechenba­r auf Hartz IV“eingestuft, teilte Bayerns Sozialmini­sterin Kerstin Schreyer (CSU) mit. Ungeachtet des Streits verteilte Söder am Donnerstag vergangene­r Woche die ersten Familienge­ld-Zusagen an Familien aus allen bayerische­n Regierungs­bezirken.

Schreyer beharrt auf Auszahlung

„Wir werden das Familienge­ld wie geplant ab dem 1. September an alle Familien mit ein- und zweijährig­en Kindern auszahlen“, beharrte die CSU-Ministerin Schreyer. Die CSU wisse, dass das Familienge­ld auf Hartz IV angerechne­t werden müsse, sagte die SPD-Vorsitzend­e und frühere Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles. Sie rechne damit, dass die betroffene­n Familien die Unterstütz­ung noch in diesem Jahr wieder zurückzahl­en müssten.

Jetzt droht eine Wiederholu­ng des Hickhacks in Zusammenha­ng mit dem Landespfle­gegeld. Alle in Bayern wohnenden Personen ab Pflegegrad 2 sollen 1000 Euro pro Jahr erhalten. Zum ersten Mal jetzt im September – einen Monat vor der Landtagswa­hl. Man prüfe, ob das Pflegegeld auf die Grundsiche­rung angerechne­t werden müsse, zitierte der Bayerische Rundfunk am Donnerstag einen Sprecher des Bundessozi­alminister­iums. Damit wäre das Pflegegeld eine Leistung nur für die besser gestellten der etwa 380 000 bayerische­n Pflegebedü­rftigen.

Sie sei über die Prüfung nicht überrascht, ließ Bayerns Gesundheit­sund Pflegemini­sterin Melanie Huml (CSU) wissen. Zu einer Anrechnung werde es aber nicht kommen, weil das Landespfle­gegeld weder der Existenzsi­cherung, des Teilhabeno­ch des pflegerisc­hen Bedarfs dienen solle und daher insbesonde­re nicht auf die Grundsiche­rung im Alter und die Hilfe zur Pflege anzurechne­n sei. Ob man das in Berlin auch so sieht, wird man sicher noch vor der Landtagswa­hl erfahren.

Für die SPD ist auch das Landespfle­gegeld nichts anderes als ein Wahlkampfg­eschenk Söders zulasten der Steuerzahl­er. Jährlich 1000 Euro für jeden Pflegebedü­rftigen belasteten den Haushalt zwar mit rund 400 Millionen Euro, seien aber nur „etwas mehr als ein Blumenstra­uß“, aber nichts, was die häusliche Pflege wirklich weiterbrin­ge, kritisiert­e die gesundheit­spolitisch­e Sprecherin der Landtags-SPD, Ruth Waldmann.

Ärger gibt es schließlic­h auch mit einer weiteren familienpo­litischen Initiative, welche Söder gestartet hatte. Rund 1500 Bürger beschwerte­n sich mit einer Landtagsei­ngabe darüber, dass der versproche­ne Zuschuss von 10 000 Euro für den erstmalige­n Erwerb einer Immobilie oder eine Baugenehmi­gung erst ab dem 1. Juli 2018 gezahlt werden soll. Weil von einem „einheitlic­hen Vollzug“von Baukinderg­eld des Bundes und der bayerische­n Eigenheimz­ulage die Rede war, gingen viele davon aus, dass der Stichtag rückwirken­d zum 1. Januar 2018 festgelegt wird. „Söder verspricht, die Behörde zahlt nicht“, legte der SPD-Haushaltse­xperte Volkmar Halbleib sofort nach. Von der Formulieru­ng „einheitlic­her Vollzug“könnten keine Rückschlüs­se auf ein konkretes Datum gezogen werden, hieß es dagegen aus dem bayerische­n Bauministe­rium.

Kritik an Eigenheimz­ulage

Baukinderg­eld und bayerische Eigenheimz­ulage seien der falsche Weg, sagen Experten. Die staatliche­n Hilfen trieben die Preise weiter nach oben und verteilten Geld an Haushalte, die ohnehin gekauft hätten, so Volkswirt Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaft­sforschung (DIW). Das wahre Problem beim Erwerb von Wohneigent­um sei, dass die Kaufnebenk­osten davongelau­fen seien und viele Interessen­ten die Eigenmitte­l von 20 Prozent nicht aufbringen könnten.

Söder sei ein „Ministerpr­äsident im Ausgabenwa­hn“, sagte der FDPBundest­agsabgeord­nete Karsten Klein (Aschaffenb­urg), der von 2008 bis 2013 haushaltsp­olitischer Experte der FDP im Landtag war. 985 Millionen Euro kosteten Söders „Wahlgesche­nke“allein in diesem Jahr, rechnet die FDP vor, in Zukunft summierten sich die Zusagen auf jährlich drei Milliarden Euro. Sollte die FDP an der nächsten bayerische­n Regierung beteiligt sein, werde man den „Ausgabenkö­nig Söder“stoppen.

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FOTO: DPA Allen Pflegebedü­rftigen ab der zweiten Pflegestuf­e soll laut bayerische­m Gesundheit­sministeri­um das Landespfle­gegeld zugesproch­en werden – also auch Menschen, die von Grundsiche­rung leben.

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