„Jedes Buch ist ein toter Baum“
Buchkritiker Denis Scheck über seine Literaturmagazine im Fernsehen und eigene literarische Ambitionen
KÖLN - Er ist einer der meinungsfreudigsten und einflussreichsten Literaturkritiker Deutschlands und setzt sich in seinen TV-Sendungen „Druckfrisch“und „lesenswert“regelmäßig mit Neuerscheinungen und Autoren auseinander: Denis Scheck. Der 53-jährige Schwabe spart in seinen Sendungen nicht mit Lob für Bücher, die ihm gefallen. Neuerscheinungen, die Scheck nicht zusagen, tritt er jedoch gnadenlos in die Tonne. Martin Weber hat den Literaturkritiker zum Gespräch getroffen.
Herr Scheck, vor allem in Ihrem ARD-Magazin „Druckfrisch“treten Sie Bücher regelmäßig in die Tonne. Beschweren sich schon mal Autoren oder Verlage anschließend bei Ihnen?
In der Regel trösten sich Verlage und Autoren damit, dass diese Bücher auf der Bestsellerliste stehen und halten sich an den Satz des amerikanischen Schmalz-Pianisten Liberace, der angesprochen, wie er es mit den Verrissen seiner Kritiker halte, einmal so schön sagte: „I cried all the way to the bank“. Aber glauben Sie mir, angesichts der intellektuellen Zumutungen in diesen Büchern sind meine Kritiken ausgesprochen milde. Wenn ich wählen müsste, einen neuen Fitzek oder Coelho zu lesen oder lieber eine Muschelvergiftung durchzustehen, ich entschiede mich für die verdorbene Muschel.
Sie moderieren neben „Druckfrisch“auch „lesenswert“: Welche der beiden Literatursendungen ist Ihnen lieber?
Fragen Sie einen Bigamisten nie, welche Frau ihm lieber ist. Im Ernst: Beide Sendungen haben ihre Stärken. In „lesenswert“bin ich der GastW. geber und freue mich, Autoren ins wunderschöne und geschichtsträchtige Palais Biron nach Baden-Baden einzuladen, um über ihre aktuellen Bücher oder ihre lebensentscheidenden Lektüren zu sprechen. „Druckfrisch“ist internationaler angelegt, da besuche ich die Autoren sozusagen in ihrem natürlichen Habitat.
Sind Schriftsteller anders als andere Menschen?
Meiner Erfahrung nach ist der literarische Kosmos genau so bunt und variantenreich wie die nicht schreibende Welt. Schreiben sei eine Verhaltensstörung, hat mir mein Freund G. Sebald einmal gesagt. In jedem Fall ist Schreiben eine einsame und anstrengende Angelegenheit, und jeder, der sich schon einmal mit dem furchterregenden Weiß eines leeren Blatts konfrontiert sah, wird sich eines gewissen Respekts vor der schriftstellerischen Tätigkeit nicht enthalten.
Meistens kommen Sie mit Autoren sehr gut klar. Gab es auch schon Begegnungen, die suboptimal verlaufen sind?
Natürlich entscheidet bis zu einem gewissen Grad auch die Tagesform, wie profund und interessant ein Gespräch verläuft. Als ich einmal bei Ray Bradbury in Los Angeles war, musste ich erkennen, dass leider auch Schriftsteller nicht vor Demenz gefeit sind. Natürlich hat man da als Journalist auch eine Verantwortung dem Gast gegenüber.
Hatten Sie selber je den Wunsch, Schriftsteller zu werden – oder vielleicht sogar Comiczeichner?
Comiczeichner sicher nicht, da bin ich leider völlig talentfrei. In meiner Jugend habe ich es schon mit eigenem Schreiben versucht. Aber angesichts von 90 000 Neuerscheinungen jedes Jahr wachsen die Skrupel, da nun unbedingt noch einen eigenen Gedichtband oder Roman hinzuzufügen. Schließlich ist jedes Buch ein toter Baum.
Wird es trotzdem je einen Roman, Erzählungsband, Gedichtband, irgendetwas Belletristisches von Ihnen geben?
Man soll sich im Leben immer so viele Optionen wie möglich offen halten. Wer weiß, vielleicht werde ich am Ende ja doch noch Papst oder Bundestrainer.
Nach wie vielen Seiten merken Sie, ob ein Buch gelungen oder misslungen ist?
Man sollte einem Roman schon 20, 30 Seiten Zeit geben, um einen in Bann zu schlagen. Aber manchmal reichen mir auch schon ein paar Absätze, um zu merken, dass ich dieses Buch nicht lesen möchte – da verhält es sich mit der Literaturkritik nicht anders wie mit der Gastrokritik, wo ich die Suppe ja auch nicht auslöffeln muss, um mir ein Urteil über ihren Geschmack zu bilden. Allerdings muss ich, wenn ich ein Werk in der Öffentlichkeit beurteile, es auch unbedingt ganz gelesen habe.
Was unterscheidet überhaupt gute von schlechter Literatur?
Ein gutes Buch verändert meine Sicht auf die Welt. Man verlässt einen großen Text nicht als derselbe Mensch, der ihn aufgeschlagen hat. Franz Kafka, Samuel Beckett oder Arno Schmidt sind zum Beispiel Autoren, die meine Anschauung der Dinge nachhaltig verändert haben. In letzter Zeit sicher auch Martin Walser mit seinem schönen Satz: „Nichts ist ohne sein Gegenteil wahr.“
Welches sind die drei Bücher, die Ihr Leben merklich beeinflusst haben?
Zu meinen Beseeligungstexten – also Bücher, die mich verlässlich trösten, auch wenn ich mal einen Durchhänger habe – zählen das Gesamtwerk von Shakespeare, Arno Schmidts „Zettels Traum“und die Enten-Comics von Carl Barks in der deutschen Übersetzung von Dr. Erika Fuchs.