Ein Finale, zwei Geschichten
Bei den US Open trifft Publikumsliebling Serena Williams auf Publikumsliebling Naomi Osaka
NEW YORK (SID/dpa) - Als kleines Mädchen hatte Naomi Osaka einen Traum. Wieder und wieder stellte sie sich dieses eine Match vor: Sie auf der einen, ihr großes Idol Serena Williams auf der anderen Seite. In ihrer Fantasie war es ein Grand-Slam-Finale, und immer endete es mit demselben Resultat. „Ich träume ja nicht von Niederlagen“, sagte Naomi Osaka, als ihr Wunsch Wirklichkeit geworden war.
Am Samstag, dem 8. September 2018 (22 Uhr MESZ/Eurosport), spielt die 20 Jahre junge Japanerin tatsächlich gegen Serena Williams um einen der größten Titel der Tenniswelt. Im Finale der US Open in New York fordert sie ihr Vorbild heraus. „Das fühlt sich ein bisschen surreal an“, sagte Naomi Osaka nach dem 6:2, 6:4 im Halbfinale gegen Williams’ Landsfrau Madison Keys. Surreal, aber auch traumhaft schön.
Mit einer seltenen Mischung aus Naivität, Humor und unerbittlichem Angriffstennis hat sich Osaka nicht nur als erste Japanerin in ein GrandSlam-Finale gespielt, sondern auch in die Herzen der Fans in Flushing Meadows. Die müssen sich am Samstag entscheiden, welche Erzählung ihnen besser gefällt: die der Herausforderin mit Wurzeln in Japan, Haiti und Long Island – oder die der Altmeisterin.
Selbstverständlich ist Serena Williams bislang der Publikumsliebling bei ihrem Heim-Grand-Slam. Die Amerikaner lieben ihre Geschichte. Es ist beeindruckend, wie schnell Williams nach der Geburt ihrer Tochter Olympia zurück in die Weltspitze gefunden und sich nach dem Wimbledonfinale gegen Angelique Kerber die nächste Chance auf den historischen 24. Grand-Slam-Titel erspielt hat (allein die Australierin Margaret Court hat bisher so viele).
Dabei sei sie noch gar nicht wieder sie selbst, sagt Serena Williams. Sie sei erst bei „50, 60 Prozent“und noch immer auf dem langen Weg, „die Serena zu werden, die ich war“, erklärte die 36-Jährige nach ihrem Halbfinale, in dem sie mal wieder eine Rivalin deklassiert hatte. Angesichts ihres Durchmarschs und des 6:3, 6:0 gegen die Lettin Anastasija Sevastova wirkte das ein wenig aufgesetzt. Vor allem im Vergleich zu Naomi Osaka.
„Sie hat nichts Falsches an sich. Bei ihr gibt es keine gespielten Emotionen oder dergleichen“, sagt deren Trainer Sascha Bajin. Der Münchner arbeitete einst jahrelang als Hitting Partner im Team von Serena Williams, er ist in New York der Kronzeuge, wenn es darum geht, Parallelen zwischen den beiden Finalistinnen zu ziehen. „Die einzige Gemeinsamkeit zwischen ihnen ist die wilde Mähne“, Halbfinalverliererin Madison Keys über ihre Bezwingerin Naomi Osaka und deren Aussichten im Endspiel gegen Serena Williams
sagt er. Auf dem Platz ähnelt seine Spielerin der seit Jahrzehnten alles überragenden Williams im Kerngeschäft. Beide schlagen hart und präzise auf und kräftig von der Grundlinie. Osakas Vater Leonard François, ein Haitianer, hatte sich das Training für seine Töchter Naomi und Mari von Richard Williams abgeschaut, der seine Kinder Serena und Venus von klein auf zu Tennisstars geformt hatte. Osaka hat wie ihr Idol keine Angst auf der großen Bühne: Gegen Madison Keys wehrte sie alle 13 Breakbälle ab. „Ich habe nur daran gedacht, dass ich gegen Serena spielen möchte.“Warum? „Weil sie Serena ist.“Eine Botschaft für Serena? „Ich liebe Dich. Ich liebe Euch alle.“
Wie weit Naomi Osaka für ihr Alter bereits ist, musste Serena Williams im März in Miami erfahren, als sie das bislang einzige Duell klar mit 3:6, 2:6 verlor. „Damals habe ich noch gestillt“, sagte Serena Williams in New York, „das war eine ganz andere Situation.“Naomi Osaka erwiderte darauf: „Ich will mir gar nicht den Kopf darüber zerbrechen, dass sie jetzt viel besser ist als in Miami. Ich gehe einfach raus und spiele.“
In ihrer Fantasie kennt sie das Ergebnis bereits. Es wäre wahrlich kein Wunder, wenn ihr am Samstag gegen Williams – wie im Traum – der letzte Punkt gelänge.
„Sie kann auf jeden Fall dafür sorgen, dass Serena für ihr Geld rennen muss.“