„Ich bin Optimist“
Alligatoah setzt auf eine spezielle Mischung – Auch in seinem neuen Album „Schlaftabletten, Rotwein V“kombiniert er Hip-Hop mit Ironie
Fans von Hip-Hop mit einem Augenzwinkern kommen bei Alligatoah auf ihre Kosten. Am Freitag, 14. September, erscheint sein Mixtape „Schlaftabletten, Rotwein V“. Darija Schamonowa hat mit dem Musiker über Musik als Lösung zu gesellschaftlichen Problemen, Erwartungen anderer und englische Textzeilen gesprochen.
Mit den Alben „Triebwerke“und „Musik ist keine Lösung“bist du bekannt geworden und viele Fans warten ungeduldig auf deine neue Musik. Hat dich das bei deiner Arbeit an dem neuen Album unter Druck gesetzt?
Die Erwartungen, die von den Leuten kommen, haben mich nicht so stark unter Druck gesetzt wie die Erwartungen, die ich an mich selbst habe. Ich selbst mache mir am meisten Druck und dadurch bringe ich mich in die Bredouille. Ich schreibe oft tagelang an Texten, weil ich meine eigene Messlatte erreichen möchte.
Du nennst „Schlaftabletten, Rotwein V“ein Mixtape. Was macht es für dich zu einem Mixtape und nicht zu einem Album?
Als ich diese Schlaftabletten-Rotwein-Reihe ins Leben gerufen habe, war ich 16 Jahre alt und wusste selbst nicht so genau, was ein Mixtape ist. Später hat mir jemand gesagt, dass es eigentlich ein Album ist. Aber weil es hier eine Mischung aus allen möglichen Themen gibt, finde ich, dass die Bezeichnung Mixtape schon passt. Meine anderen Alben sind eher Konzept-Alben, bei denen es um ein übergeordnetes Thema geht.
Deine Musik hat sich stark geändert: Früher konnte man sagen, dass in deiner Musik Pop-Elemente zu finden sind, aber das neue Album klingt ganz oft nach Rock. Wie kam es dazu?
Ich bin mit Rockmusik aufgewachsen. Meine größten Einflüsse, wie System of a Down oder Slipknot, haben mich sehr geprägt: Sie klangen so brutal, so brachial und so anders als alles, was so weichgespült im Radio lief. Das war auch genau der Grund, weshalb ich mich später für Rap interessiert habe: Er hat auch etwas Brutales und Hartes. Und jetzt habe ich mir zum ersten Mal wirklich zugetraut, diese Einflüsse in meine Musik einfließen zu lassen.
In dem Lied „Alli-Alligatoah“sagst du, „StRw ist kein trashiges Tape, das ist retro in spe“. Ist das ein Statement? Wie lange wird es wohl dauern bis „Schlaftabletten Rotwein V“retro ist?
(lacht) Das ist kein Statement, das ist eher eine Absicherung für diejenigen, denen es nicht gefällt. Ich habe mir auch selbst den Druck damit genommen: Das Album muss nicht unbedingt jetzt erfolgreich sein, es könnte auch in 20 Jahren nachträglich erfolgreich werden, weil es retro ist. Das weiß man ja nie. Oft kommen die grässlichsten Dinge irgendwann wieder in Mode – vielleicht auch mein Album.
Früher hast du gesagt, dass du nicht politisch oder gesellschaftskritisch bist, aber in dem neuen Album besprichst Du Themen wie Flüchtlinge, Terrorangst oder wie unmöglich es ist, sich für eine politische Seite zu entscheiden. Bist du also inzwischen gesellschaftskritisch?
Ich glaube, ich bin genauso politisch und gesellschaftskritisch, wie ich oft auf den älteren Alben schon war. Ich wollte das nicht gesellschaftskritisch
nennen, weil ich keiner von diesen Musikern sein wollte, die mit dem Zeigefinger zeigen und ihre vorgefertigte politische Meinung präsentieren. Ich bin eher ein Beobachter vom ganzen Spektakel und habe genauso wenige Antworten auf das Ganze wie viele andere.
Kann Musik also doch eine Lösung für politische und gesellschaftliche Probleme sein?
Ich bin Optimist, also glaube ich, dass Musik sowohl im Gesellschaftlichen als auch im Zwischenmenschlichen helfen kann. Ich glaube, dass Musik Dinge erklären, Halt geben und für Frieden sorgen kann. Aber ich habe diesen Titel „Musik ist keine Lösung“damals gewählt, weil eine Lösung etwas Endgültiges und Abgeschlossenes ist. Lösung ist ein sehr mathematisches Wort. Sie ist das Ende von etwas. Aber Musik geht immer weiter, ist immer im Fluss und das ist das, was eigentlich in diesem Titel steckt.
In dem Lied „I Need A Face“beschreibst du, dass du für jede Situation im Leben ein spezielles Gesicht
hast. Aber wenn man nur eines wählen könnte, welches Gesicht passt am besten zum neuen Album?
Wahrscheinlich wäre es so ein Gesicht, das man aus mehreren Gesichtern einer Zeitung zusammensetzt: Ein Auge von einem wütenden Gesicht und ein Auge von einem fröhlichen Gesicht, die Nase von einem kranken Gesicht und den Mund von einem albernen Gesicht. Das Album ist genau diese Mischung aus vielen Emotionen und vielen Figuren, die alle ein eigenes Gesicht haben. Ich glaube, man kann das Album nicht mit einem einzigen Gesichtsausdruck erfassen, sondern lediglich mit einer Mischung aus allen.
In „I Need A Face“ist der Refrain auf Englisch. Planst du ein Album auf Englisch zu veröffentlichen und ein internationales Publikum zu gewinnen?
Nein, das habe ich nicht vor. Ich wollte tatsächlich auch dieses Lied nicht auf Englisch schreiben, leider kam mir die Idee zu dieser Zeile auf Englisch. Es ist mir nicht gelungen, diese Worte auf Deutsch zu übersetzen, dass sie für mich dasselbe ausgesagt
haben. Deswegen ist es beim Englischen geblieben.
Im Januar 2019 hast du eine neue Tour geplant. Wird es so reich an Kostümen und Dekorationen wie „Livemusik ist keine Lösung“oder müssen wir uns auf etwas anders vorbereiten?
Das Kostümieren ist für mich ein sehr wichtiger Bestandteil meiner Musik, also wird die Show wieder sehr bunt, grandios und gigantisch. Ich habe ein großes Bühnenbild entworfen, das derzeit zusammengezimmert wird.
Alligatoah ist eine Hip-Hop-Band, die aus dem Rapper Kaliba 69 und dem Beatproduzenten DJ Deagle besteht, steht zumindest online zu lesen. Doch hinter allen Figuren steckt derselbe Mann: Lukas Strobel. Am 12.September wird das neue Album „Schlaftabletten, Rotwein V“veröffentlicht, das eine Fortsetzung der Reihe ist, die Strobel bereits 2006 startete.
Live ist er am 19. Januar im Zenith in München zu sehen.