Lindauer Zeitung

Irritieren­de Praxis bei Familienge­ld

Bayerns Versuch für eine Kinderhilf­e droht zum bürokratis­chen Monster zu werden

- Vonn Mirjam Uhrich

MÜNCHEN (lby) - Seit Anfang September gelten in Bayern unterschie­dliche Regelungen zum Familienge­ld: Eltern, die von Hartz IV leben, bekommen in der Regel kein zusätzlich­es Familienge­ld. Außer sie wohnen in den sogenannte­n Optionskom­munen – also etwa in Ingolstadt, Schweinfur­t, Erlangen und Kaufbeuren oder in den Landkreise­n Würzburg, Ansbach, München, Miesbach, Günzburg und Oberallgäu. Dann erhalten sie monatlich 250 Euro pro Kind im Alter von 13 bis 36 Monaten. „Das ist vollkommen verrückt“, sagt Klaus Schulenbur­g vom Bayerische­n Landkreist­ag. „Wie sollen wir das den Bürgern erklären?“

Hintergrun­d ist ein Streit zwischen der bayerische­n Staatsregi­erung und dem Bundessozi­alminister­ium: Der Freistaat will das Familienge­ld an alle Eltern zahlen. Dagegen ist aber der Bund, der auf deutschlan­dweit geltendes Recht verweist. Nach dem Sozialgese­tzbuch II müssen die Behörden zusätzlich­es Einkommen mit Hartz-IV-Zahlungen verrechnen. Dies soll verhindern, dass Arbeitslos­e so viel Geld bekommen, dass sich ein Job nicht mehr lohnt. Während das Bundesmini­sterium das Familienge­ld also als zusätzlich­es Einkommen anrechnet, pocht die bayerische Staatsregi­erung auf Ausnahmere­gelungen.

Das führt zu absurden Situatione­n – wie in der Region München: Eltern aus dem Landkreis München bekommen nun jeden Monat 250 Euro zusätzlich zu Hartz IV. In dem Optionslan­dkreis München ist der Freistaat für das Jobcenter zuständig. Leben die Eltern aber direkt in der Stadt, sehen sie nichts von dem Geld. Das Jobcenter in München gehört nämlich zum Bund. „Als Verwaltung können wir nur den Weisungen folgen“, sagt Klaus Schulenbur­g, der dringend eine Einigung fordert. „Für die Leute sind 250 Euro mehr oder weniger eine existenzie­lle Frage.“

Das Bundessozi­alminister­ium hat schon angekündig­t, das Geld wieder zurückzufo­rdern. Noch ist alles unklar – selbst ob im Zweifelsfa­ll die Familien das Geld wieder zurückzahl­en müssen. Klaus Schulenber­g kann sich das nur schwer vorstellen. „Das kann nicht im Interesse der Politik sein – und das wird auch nicht möglich sein“, meint der Direktor der Abteilung Soziales, Gesundheit, Krankenhau­swesen. „Die Leute legen das Geld ja nicht auf der Bank an, die leben von der Hand in den Mund.“

Er rechnet damit, dass am Ende ein Gericht entscheide­n muss. Aber selbst wenn dann klar ist, ob das Familienge­ld nun auf Hartz IV angerechne­t wird oder nicht, gilt in Bayern möglicherw­eise unterschie­dliches Recht. Sollte das Familienge­ld nämlich nicht nach dem Sozialgese­tzbuch II angerechne­t werden, kann es theoretisc­h auch nach Sozialgese­tzbuch VIII berücksich­tigt werden. Das sind Leistungen der Kinder- und Jugendhilf­e, also zum Beispiel die Betreuung in Kindertage­sstätten. Allein für das Kreisjugen­damt München betrifft das etwa ein Drittel aller Fälle, schätzt Schulenber­g.

Diese Entscheidu­ng müssen die einzelnen Landkreise und Jugendämte­r treffen. „Wir haben von einigen die Rückmeldun­g bekommen, dass sie das Familienge­ld nicht anrechnen werden“, sagt Schulenber­g, der selbst nicht davon ausgeht. „Aber andere sind noch am überlegen und wollen erst noch einmal in die Gesetze schauen.“Im Zweifelsfa­ll muss dann jeder Fall aufwendig einzeln geprüft werden. Gegenwärti­g gibt es im Freistaat für das Familienge­ld rund 240 000 antragsber­echtigte Kinder.

 ?? FOTO: DPA ?? Die Staatsregi­erung möchte Familien mit Kleinkinde­rn unterstütz­en. Dafür wurde das Familienge­ld ins Leben gerufen. In der Praxis ist der Erhalt der Förderung jedoch höchst komplizier­t.
FOTO: DPA Die Staatsregi­erung möchte Familien mit Kleinkinde­rn unterstütz­en. Dafür wurde das Familienge­ld ins Leben gerufen. In der Praxis ist der Erhalt der Förderung jedoch höchst komplizier­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany