Die Ära Eichwald geht zu Ende
Mit Wehmut und Eierlikör feiern die Stammgäste des Freibads Abschied.
LINDAU - Sonnenstrahlen glitzern auf dem hellblauen Wasser des Bodensees wie Millionen Diamanten. Das Gras ist weich und saftig grün, trotz des heißen Sommers. Die Fahnen am Steg flattern im Wind. Es sieht aus wie ein ganz normaler Badetag im Naturbad Eichwald. Ist es aber nicht. Denn es ist der letzte. Nicht nur weil die Saison endet – auch weil ab jetzt nichts mehr wie früher sein wird: Die Arbeiten für die Therme gehen weiter, und die Badegäste müssen vorerst ihr Paradies verlassen.
Helga Friedrich und ihr Mann Helmut gehen ins Eichwaldbad „seit wir denken können. Wir waren immer da und haben jetzt sehr gemischte Gefühle. Wehmut ist da. Aber auch Freude auf das Neue, das da kommen soll“, sagt sie. „Wir gehen gern in Thermen. Natürlich hoffen wir, dass alles schön wird und dass wir, wenn alles fertig ist, wieder so eine schöne Liegewiese am See haben. Dass nichts von dem, was wir schätzen, verloren geht und wir dennoch etwas Schönes dazugewinnen.“Ihre Kinder seien den Sommer über im Eichwaldbad aufgewachsen. Und nun auch schon ihre Enkelkinder Lisha und Linus. „Im Sommer ist das Eichwaldbad unser Wohnzimmer.“
Der Liegeplatz der Familie ist seit Jahrzehnten ganz rechts im Bad. Seit Jahrzehnten haben sie hier auch dieselben Nachbarn – ein Teil davon sind Freunde geworden, der andere Teil ist Familie: Die Blaschkes, die Hennings, die Nattenmillers, die Friedrichs, die Lengles und die Müllers – alle mit Kindern, „und wir alle hoffen, dass auch das neue Bad für Familien erschwinglich sein wird, denn der See und das Baden gehören für uns alle zum Leben dazu“, sagt Jürgen Müller. Helmut Friedrich schaut versonnen über den See: „Am liebsten hätten wir dieses Fleckchen Erde gekauft. Aber das geht nicht. Es wird uns schon fehlen. Vor allem fragen wir uns, was unser Ausweichquartier sein kann, bis das neue Bad fertig ist. Wir sind Rentner, wir haben Zeit und haben das alles hier so sehr genossen. Es gibt kein schöneres Plätzchen am See. Es war immer wie Urlaub.“Aber sie seien positiv eingestellt: „Man muss nach vorne schauen und an die nächste Generation denken, an unsere Enkel, die auch ein schönes Bad haben sollen. Man kann nicht immer am alten Zopf hängen. Die Therme wird eine Bereicherung für Lindau.“
Witze und Käsekuchen
Etwa in der Mitte des Bades, auf Höhe der Badekabinen, ist das Hoheitsgebiet der Golden Girls wie sie sich lachend selbst nennen. „Wir sind Zockerinnen“, erklären sie. Schafkopf, Rommé, oder wenn es windig ist Rummikup, Canasta… alles beherrschen sie. „Meine Ladies“, nennt Bademeister Axel Schweinberger sie liebevoll. Sie haben wahrscheinlich am meisten Grund, traurig zu sein – aber sie lassen es sich nicht anmerken. Ein Sack voll junger Mädchen hat es nicht lustiger als diese Frauen zwischen 76 und 87 Jahren, die teilweise seit ihrer eigenen Kindheit jeden Sommer praktisch im Eichwaldbad eingezogen sind. Ihrer aller Leben hat sich bis heute im Sommer im Eichwaldbad abgespielt. „Wir sind schon traurig. Wir wollen unsere Wiese behalten. Wir haben ungezählte schöne Stunden hier erlebt. Jeden Tag haben wir Party gemacht. Sekt und Eierlikör gab’s zum Frühstück“, verrät Ellen Eberle. „Vor allem fragen wir uns, was wir denn jetzt machen sollen. Uns fehlt noch die Idee, wohin wir ausweichen können“, meint Sylvia Unterkircher. Lilo di Donato erzählt von ihrem süßen Leben im Strandbad, dass mal die eine Pellkartoffeln mit Käse und Quark für alle mitgebracht hat, dann die andere Kuchen. „Strandbad-Uschi“nämlich: Uschi Blaas, die die Ladies mit ihrem legendären Käsekuchen verwöhnt und mit dem selbst gemachten Eierlikör, der den ganzen Tag über schmeckt. „Oder Edith hat Knödel für alle mitgebracht. Was soll jetzt aus uns werden?“
Wir sind nie allein gewesen
Edith Grübel ist nicht nur für ihre Knödel berühmt, sondern auch für ihre Witze, die sie am laufenden Band erzählt. „Wenn Edith Witze erzählt, hören auch Touristen zu. Kürzlich haben welche ihren Urlaub verlängert, nur, um noch länger mit uns Zeit zu verbringen“, erzählt Lilo di Donato weiter. Axel Schweinberger kommt vorbei. „Wir haben ihn in unserer Mitte aufgenommen“, sagt die Witzeerzählerin gut gelaunt. „Weil er so gut aussieht und so lieb ist.
Die 83-jährige Maja Gassner erzählt, dass sie allein in diesem Sommer 93-mal da war. Beinahe täglich ist sie wasserseits zur Kirche St. Verena geschwommen. „Ich habe mich bei meiner heutigen Schwimmrunde schon verabschiedet“, sagt sie mit einem wehmütigen Lächeln.
Die meisten von ihnen seien verwitwet, nur wenige haben einen neuen Partner. Aber allein seien sie nie gewesen. Auch nicht im Winter – das Eichwaldbad verbindet sie das ganze Jahr über. Sie treffen sich im Turnverein und in der Sauna. „Unsere Kinder sind hier groß geworden. Ich habe im Eichwaldbad gestillt und gewickelt. Fläschchen gekocht. Meine Tochter hat unter diesen Bäumen das Laufen gelernt. Wir sind morgens gekommen und abends erst wieder heimgegangen“, erinnert sich die 77-jährige Edith Grübel.
Was eindeutig ist: Das Eichwaldbad und das, was sie daraus gemacht haben, hat sie alle miteinander jung gehalten. So viel Lachen. So viel Sonne. So viel Leben. Es wird spät. Die ersten packen ihre Siebensachen zusammen. Das letzte Mal. Die allgemeine Hoffnung ist, dass sie, wenn die Therme fertig ist, ihre Wiese wiederbekommen.