„Um wichtige Spuren zu finden, muss man sich in den Täter hineinversetzen“
Kai Kitzinger von der Spurensicherung im Allgäu erklärt, was die Arbeit so wichtig macht und was ein NSU-Terrorist damit zu tun hat
ALLGÄU - Wer ist der Täter? Wer ist das Opfer? Wer hat geschossen? Wer hat mit dem Messer zugestochen? Noch immer sind diese Fragen nach einem Familienstreit, der vor einer Woche im Memminger Stadtteil Amendingen eskaliert war, unklar. Da die Aussagen der sechs Verdächtigen widersprüchlich sind, setzt die Polizei auf die Auswertung der Spuren wie zum Beispiel Fingerabdrücke an einer Gaspistole. Kriminalhauptkommissar Kai Kitzinger (45) von der Kripo in Memmingen war einer der Beamten, die diese Spuren gesichert haben. Er hat mit Katharina Müller gesprochen und erklärt, wie das funktioniert und wie Spurensicherer arbeiten.
Herr Kitzinger, oft ist es so, dass nach Straftaten vor allem die Spuren am Tatort entscheidend sind, um den Fall zu klären. Machen Sie also den wichtigsten Job?
Den wichtigsten Job nicht, aber wir sind ein sehr wichtiger Teil der Ermittlungen. Wir übernehmen den Part Sachbeweise und sichern Spuren, die für die Urteilsfindung beweiskräftig sind. Denn Sachbeweise wie Fingerspuren sind unveränderbar. Personenbeweise, sprich Aussagen, sind hingegen subjektiv. Da sie manchmal zurückgenommen werden oder Zeugen sich als unglaubwürdig herausstellen, ist es wichtig, Sachbeweise zu haben. Die Kombination beider Bereiche sollte zur Wahrheitsfindung führen und ist durch das Gericht zu würdigen.
Wenn Sie an einen Tatort kommen, wie gehen Sie vor?
Der Tatort wird in Bereiche eingeteilt, die verschiedene Gruppen abarbeiten. So wird vermieden, dass sich Spuren vermischen. Um wichtige Spuren zu finden, muss man sich in den Täter hineinversetzen und überlegen, wo er zum Beispiel hingefasst haben könnte. Wichtig ist, auch auf Kleinigkeiten zu achten. Bei einem Einbruch haben wir zum Beispiel eine zurückgelassene Taschenlampe gefunden. Auf dem Akku war eine Fingerspur des Täters.
In Krimis – zumindest in deutschen – wird auch immer die SpuSi gerufen. Wie finden Sie die Darstellung ihres Berufs in solchen Filmen? Schauen Sie sich so etwas an?
Eher selten, da ich vermutlich den Ablauf ständig kommentieren und verbessern würde. Die Arbeit der Spurensicherung im Bereich Daktyloskopie (Identitätsnachweis mittels Fingerabdrücken) und DNA ist in Krimis aber wahrscheinlich das, was noch am realistischsten dargestellt wird.
Worauf achten Sie besonders und wie werden die Spuren gesichert?
Ganz oben steht der Kontaminationsschutz – deshalb tragen wir zum Beispiel Ganzkörperanzüge, Mundschutz, Handschuhe und müssen auch die Einsatzmittel immer DNAfrei halten. Seit dem Fall Böhnhardt hat die Kontaminationsvermeidung einen noch höheren Stellenwert erhalten als zuvor. (Anmerkung der Redaktion: Im Mordfall Peggy hat die Polizei im Jahr 2016 an der Fundstelle der Knochen eine DNA-Spur von NSU-Terrorist Uwe Böhnhardt gefunden. Es stellte sich jedoch heraus, dass diese durch eine Verunreinigung bei der Spurensicherung dorthin gelangt war). Am Tatort liegt unser Hauptaugenmerk auf DNA und Fingerabdrücken. Um Fingerabdrücke sichtbar zu machen, verwenden wir verschiedene Pulver, sogenannte Adhäsionsmittel, mit denen wir tatrelevante Stellen einstäuben. Nachher werden die Abdrücke fotografisch gesichert und auf eine Folie abgezogen. Blutspuren oder andere Flüssigkeiten reiben wir mit einem Wattestäbchen ab. Auf rauen Oberflächen kommt eine Art Stempel zum Einsatz, an dem beispielsweise Haut- schuppen hängen bleiben. Generell sammeln wir so viele tatrelevante Spuren wie möglich, weil man vor Ort noch nicht sagen kann, was nachher wichtig ist.
Wer wertet das Material später aus?
Nicht alles wird anfangs überhaupt ausgewertet. Was sinnvoll ist, bespricht die Spurensicherung mit dem Sachbearbeiter des zuständigen Kommissariates. Auswertbare Fingerabdrücke und DNA-Spuren werden dann ans Bayerische Landeskriminalamt (BLKA) geschickt. Die Ergebnisse geben wir in eine Datenbank ein und können so in der Folge den Täter oder Fälle finden, zu denen die gleiche DNA- oder Fingerspur passt. Wir haben auch ein eigenes Labor, in dem wir Spuren an Gegenständen sichern können.
Arbeiten Sie auch an Leichen? Wie belastend sind Mordfälle und andere brutale Verbrechen für Sie und ihre Kollegen?
Wir nehmen auch an Leichen Spuren – an Kleidung, alles, was an der Oberfläche ist. Die Untersuchung von Organen und so weiter macht natürlich der Rechtsmediziner. Wenn man das zum ersten Mal macht, gibt es schon Berührungsängste und es kann einem beispielsweise bei Kindern sehr nahe gehen. Wir lassen das aber nicht so an uns heran und gehen am Tatort strukturiert vor. Unser oberstes Ziel ist es, das Verbrechen aufzuklären.