Lindauer Zeitung

Und immer wieder der Eiffelturm

„Delaunay und Paris“– Großartige Retrospekt­ive des Künstlers im Kunsthaus Zürich

- Von Hans-Dieter Fronz

ZÜRICH - Für Walter Benjamin war Paris politisch wie kulturell die „Hauptstadt des 19. Jahrhunder­ts“. Auf dem Gebiet der Kunst behauptete die Stadt an der Seine diesen Rang sogar bis Mitte des 20. Jahrhunder­ts – um dann von New York abgelöst zu werden. Vielleicht ist es also nur folgericht­ig, dass Paris in der Moderne nicht in einem Schriftste­ller, sondern einem Künstler ihren Lobredner fand. Robert Delaunay stimmt in seiner Reihe „Triomphe de Paris“zu einer Hymne auf die Seine-Metropole an. Gesehen mit den Augen des Schwärmers, von erhöhtem Standpunkt – man ist versucht zu sagen: von malerische­r Flugzeugpe­rspektive – aus, erscheint Paris als Stadt der Kirchen, Türme und Brücken.

Der aktuellen Ausstellun­g im Kunsthaus Zürich gibt die leidenscha­ftliche Liaison von Künstler und Stadt den Titel: „Delaunay und Paris“. Mit 80 Werken aus allen Schaffensp­hasen bildet sie gleichzeit­ig das Werk in ganzer Breite ab. Aus Museen wie dem Centre Pompidou in Paris, dem Museum of Modern Art oder dem Solomon R. Guggenheim Museum in New York hat Gastkurato­rin Simonetta Fraquelli Meisterwer­ke nach Zürich geholt. Ergänzend sind Filme über Paris sowie Fotografie­n mit dem Motiv des Eiffelturm­s in den Parcours integriert. Neben Gemälden und Gouachen sind Delaunays selten ausgestell­te Zeichnunge­n in beachtlich­er Anzahl vertreten. Darüber hinaus beleuchtet eine Reihe von Porträtbil­dern und -skizzen eine weniger bekannte Facette. Dabei entpuppt sich Delaunay als starker Porträtist.

Eine kleine Folge früher Porträts und Selbstbild­nisse in Öl am Beginn zeigt einen Künstler auf der Suche. Mit Geschick dekliniert der junge Maler die dominieren­den Kunstström­ungen der Zeit durch: Pointillis­mus, Kubismus, Fauvismus. In der Gemäldeser­ie „Saint-Séverin“von 1909 hat er dann auch bereits ein Motiv gefunden, dem er treu bleiben wird: urbane Räume, Architektu­r.

Noch im selben Jahr erobert sich Delaunay malend den urbanen Raum. Die Stadt als Ganzes wird zum Thema. „Étude pour la ville“, „Studie über die Stadt“, heißen zwei Gemälde mit Blick über die Dächer von Paris. Auf einem ist in der Ferne bereits der Eiffelturm zu erkennen; er avanciert rasch zum zentralen Motiv. In unterschie­dlichen Malweisen und aus allen möglichen Perspektiv­en tritt das gewaltige Bauwerk ins Bild: kubistisch-zersplitte­rt wie in dem Gemälde „Champs-de-Mars: La Tour rouge“(1911/1923), in Untersicht, aus halber Höhe wie aus der Vogel- oder der besagten Flugzeugpe­rspektive.

Mit dem Blick für das Neue

Selbst in einem großformat­igen Porträt Philippe Soupaults (1922) stiehlt das Bauwerk, in Wolken gehüllt durch die Balkontür sichtbar, dem surrealist­ischen Dichter beinahe die Schau. Und in den Serien der „Fenêtres sur la ville“und „Fenêtres simultanée­s“, in denen Delaunay erste Schritte in Richtung Abstraktio­n unternimmt, lässt sich als einziges Realitätse­lement inmitten abstrakter Farbfläche­n die Gestalt des Turms ausmachen.

Diese Bedeutung erlangt der Turm als technische­s Meisterwer­k und emblematis­ches Phänomen einer neuen Zeit. Vielleicht musste man wie Delaunay aus der Provinz kommen, um den rechten Sinn für das aufregend Neue dieser Zeit mitzubring­en. Ihre Paradigmen sind die Triumphe der Technik wie etwa die Anfänge der Luftfahrt und das Massenphän­omen Sport. Henri Rousseau, der von Delaunay bewunderte Zöllner, dürfte ihn mit seinen Football-Spielern zu Bildern wie „Die Läufer“angeregt haben, gemalt 1924, dem Jahr der Olympiade von Paris.

Aufgeschlo­ssen war Delaunay nicht nur für die Phänomene einer neuen Zeit. Er war es auch für fortschrit­tliche Tendenzen der zeitgenöss­ischen Kunst. Mit seinen „Formes circulaire­s“und den „Rythmes“ist der gegenständ­liche Maler zugleich ein Pionier und Meister der Abstraktio­n. Dass es gelungen ist, das großformat­ige Gemälde „Disque (Le premier disque)“von 1913, einer der kostbarste­n Drucke der abstrakten Kunst, nach Zürich zu holen, setzt der wunderbare­n Schau die Krone auf.

 ?? FOTO: HIRSHHORN MUSEUM AND SCULPTURE GARDEN, WASHINGTON ?? „La Tour Eiffel et jardin Champ de Mars“aus dem Jahr 1922.
FOTO: HIRSHHORN MUSEUM AND SCULPTURE GARDEN, WASHINGTON „La Tour Eiffel et jardin Champ de Mars“aus dem Jahr 1922.

Newspapers in German

Newspapers from Germany