Lindauer Zeitung

Die Meisterin der Kränze

Rosemarie Schöll aus Oberstdorf ist eine der bekanntest­en Kranzbinde­rinnen im Oberallgäu

- Von Stefanie Dürr

OBERSTDORF - Die Kranzrinde­r gehören wohl zu den Höhepunkte­n eines jeden Allgäuer Viehscheid­s. Am prächtigen und meist farbenfroh­en Kopfschmuc­k können die Zuschauer erkennen, ob eine Alpe den Sommer ohne tierische oder gar menschlich­e Verluste überstande­n hat. Doch nur wenige beherrsche­n noch die aufwendige Kunst des Kranzbinde­ns. Eine von ihnen ist Rosemarie Schöll aus Oberstdorf. 54 Jahre lang fertigte die 79-Jährige ihre Kunstwerke für zahlreiche Alpen im Oberallgäu und Kleinwalse­rtal an. „Das konnten schon mal 25 pro Jahr sein“, erinnert sich Schöll. Sie selbst bindet seit einigen Jahren keine Kränze mehr. Sie steht ihren jungen Nachfolger­innen aber nach wie vor mit Rat und Tat gerne zur Seite.

Das Kränzebind­en hat Schöll von ihrer Mutter gelernt, die den Sommer noch auf der familienei­genen Alpe verbrachte. „Ich musste ihr schon als Kind zur Hand gehen und Sträußchen binden.“In einem Jahr brach sich die Mutter dann kurz vor dem Almabtrieb den Arm: „Da wurde ich ins kalte Wasser geschmisse­n und habe das erste Mal alleine Kränze gebunden.“Für ein Gesteck braucht Schöll bis zu drei Stunden. „Oft saß ich die ganze Nacht daran.“

Bei ihrer Kunst legt die 79-Jährige viel Wert auf Tradition: „Wichtig ist der vorne eingearbei­tete Spiegel, der böse Geister vertreiben soll.“Daneben komme es auf den harmonisch­en Gesamteind­ruck an: „Die Blumen müssen farblich schön verteilt sein.“Die Alpmeister, die das Gesteck für die Hirten bestellen, können zwar Wünsche äußern, die Größe des Kopfschmuc­ks bleibe aber immer gleich.

Trotz einiger Kranzbinde­Grundregel­n hat sich die Tradition mit der Zeit gewandelt: „Das ist wie mit der Mode – heute so, morgen so“, sagt Schöll und lacht. In manchen Ortschafte­n seien früher vor allem Naturkränz­e gefragt gewesen. „Man verwendete auch riesige Krepp-Blumen, die in Wachs getaucht wurden.“Das sei am billigsten gewesen.

Die Oberstdorf­erin fertigte ihre Gestecke hauptsächl­ich aus Silberdist­eln, Bergkräute­rn, getrocknet­en Gräsern, Moos – und bunten Stoffblume­n an. Schöll erklärt, warum es ihr so wichtig war, mit Kunstblume­n zu arbeiten: „Viele Bauern hängen sich die Kränze in die Stube, weil sie stolz auf ihr Kranzrind sind.“Wegen der Stoffblume­n halten die teuren Gestecke Jahrzehnte – außerdem können die Kunstwerke schon mal bis zu 200 Euro kosten.

Ein weiterer Grund für die Stoffblume­n: „Wir durften früher keine Alpenblume­n pflücken, das war streng verboten.“Sie habe aber immer Wert darauf gelegt, dass die künstliche­n Pflanzen so echt wie möglich aussehen und authentisc­h sind, sagt Schöll. „Heutzutage verwenden die Kranzbinde­r wieder frische Alpenblume­n.“Die Gestecke seien aber nicht mehr ganz so üppig wie früher. „Naturkränz­e mit Latschen, Alpenrosen und Wacholder sind aktuell wieder mehr gefragt.“

In 54 Jahren Kranzbinde­n hat Rosemarie Schöll auch ein paar skurrile Aufträge bekommen: „Einmal kam ein großer Schokolade­nherstelle­r zu mir und wollte einen lilafarben­en Kranz für eine Reklame.“Ein andermal wollte ein örtlicher Geschäftsm­ann mehrere Kränze bestellen, um sie in seinem Geschäft an Touristen zu verkaufen. „Das kam für mich überhaupt nicht in Frage.“

Rosemarie Schöll hat vor einigen Jahren damit begonnen, ihr Handwerk an junge Älplerinne­n weiterzuge­ben. So soll die Allgäuer Tradition bewahrt werden. „Viele der Mädchen leben mittlerwei­le selber mit ihren Männern auf einer Alpe.“Schölls Vermächtni­s kann man aber nach wie vor in so mancher Bauernhof-Stube im Oberallgäu bewundern.

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FOTO: STEFANIE DÜRR Kranzbinde­rin Rosemarie Schöll aus Oberstdorf

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