Die Meisterin der Kränze
Rosemarie Schöll aus Oberstdorf ist eine der bekanntesten Kranzbinderinnen im Oberallgäu
OBERSTDORF - Die Kranzrinder gehören wohl zu den Höhepunkten eines jeden Allgäuer Viehscheids. Am prächtigen und meist farbenfrohen Kopfschmuck können die Zuschauer erkennen, ob eine Alpe den Sommer ohne tierische oder gar menschliche Verluste überstanden hat. Doch nur wenige beherrschen noch die aufwendige Kunst des Kranzbindens. Eine von ihnen ist Rosemarie Schöll aus Oberstdorf. 54 Jahre lang fertigte die 79-Jährige ihre Kunstwerke für zahlreiche Alpen im Oberallgäu und Kleinwalsertal an. „Das konnten schon mal 25 pro Jahr sein“, erinnert sich Schöll. Sie selbst bindet seit einigen Jahren keine Kränze mehr. Sie steht ihren jungen Nachfolgerinnen aber nach wie vor mit Rat und Tat gerne zur Seite.
Das Kränzebinden hat Schöll von ihrer Mutter gelernt, die den Sommer noch auf der familieneigenen Alpe verbrachte. „Ich musste ihr schon als Kind zur Hand gehen und Sträußchen binden.“In einem Jahr brach sich die Mutter dann kurz vor dem Almabtrieb den Arm: „Da wurde ich ins kalte Wasser geschmissen und habe das erste Mal alleine Kränze gebunden.“Für ein Gesteck braucht Schöll bis zu drei Stunden. „Oft saß ich die ganze Nacht daran.“
Bei ihrer Kunst legt die 79-Jährige viel Wert auf Tradition: „Wichtig ist der vorne eingearbeitete Spiegel, der böse Geister vertreiben soll.“Daneben komme es auf den harmonischen Gesamteindruck an: „Die Blumen müssen farblich schön verteilt sein.“Die Alpmeister, die das Gesteck für die Hirten bestellen, können zwar Wünsche äußern, die Größe des Kopfschmucks bleibe aber immer gleich.
Trotz einiger KranzbindeGrundregeln hat sich die Tradition mit der Zeit gewandelt: „Das ist wie mit der Mode – heute so, morgen so“, sagt Schöll und lacht. In manchen Ortschaften seien früher vor allem Naturkränze gefragt gewesen. „Man verwendete auch riesige Krepp-Blumen, die in Wachs getaucht wurden.“Das sei am billigsten gewesen.
Die Oberstdorferin fertigte ihre Gestecke hauptsächlich aus Silberdisteln, Bergkräutern, getrockneten Gräsern, Moos – und bunten Stoffblumen an. Schöll erklärt, warum es ihr so wichtig war, mit Kunstblumen zu arbeiten: „Viele Bauern hängen sich die Kränze in die Stube, weil sie stolz auf ihr Kranzrind sind.“Wegen der Stoffblumen halten die teuren Gestecke Jahrzehnte – außerdem können die Kunstwerke schon mal bis zu 200 Euro kosten.
Ein weiterer Grund für die Stoffblumen: „Wir durften früher keine Alpenblumen pflücken, das war streng verboten.“Sie habe aber immer Wert darauf gelegt, dass die künstlichen Pflanzen so echt wie möglich aussehen und authentisch sind, sagt Schöll. „Heutzutage verwenden die Kranzbinder wieder frische Alpenblumen.“Die Gestecke seien aber nicht mehr ganz so üppig wie früher. „Naturkränze mit Latschen, Alpenrosen und Wacholder sind aktuell wieder mehr gefragt.“
In 54 Jahren Kranzbinden hat Rosemarie Schöll auch ein paar skurrile Aufträge bekommen: „Einmal kam ein großer Schokoladenhersteller zu mir und wollte einen lilafarbenen Kranz für eine Reklame.“Ein andermal wollte ein örtlicher Geschäftsmann mehrere Kränze bestellen, um sie in seinem Geschäft an Touristen zu verkaufen. „Das kam für mich überhaupt nicht in Frage.“
Rosemarie Schöll hat vor einigen Jahren damit begonnen, ihr Handwerk an junge Älplerinnen weiterzugeben. So soll die Allgäuer Tradition bewahrt werden. „Viele der Mädchen leben mittlerweile selber mit ihren Männern auf einer Alpe.“Schölls Vermächtnis kann man aber nach wie vor in so mancher Bauernhof-Stube im Oberallgäu bewundern.