Lindauer Zeitung

„Ein Hüne mit ausladende­m Bauch und Beethovenl­ocken“

Gustav Reinwald ist Mitbegründ­er des Bodenseege­schichtsve­reins, ehemaliger Pfarrer von St. Stephan und Spätzlelie­bhaber

- Von Werner Dobras

LINDAU - 1954 ist in Aeschach eine Straße nach Gustav Reinwald benannt worden, offensicht­lich also nach einem Mann, der sich um Lindau verdient gemacht hatte. Wer aber war dieser Mann? Gekannt werden ihn die wenigsten haben, war er damals doch schon länger als ein halbes Jahrhunder­t tot. Im Augenblick aber wird sein Name wieder öfters genannt, denn vor nunmehr 150 Jahren wurde der heute noch bestehende Bodenseege­schichtsve­rein gegründet. Einer seiner Initiatore­n, Mitbegründ­er und Vizepräsid­enten war Gustag Reinwald.

Reinwald war Pfarrer von St. Stephan und als solcher gleichzeit­ig auch Stadtarchi­var sowie Betreuer der Ehemals Reichsstäd­tischen Bibliothek. Geboren wurde er am 16. März 1837 in Diebach bei Rothenburg ob der Tauber. Nach Lindau kam er am 1. Oktober 1864, wo er zunächst das Amt eines Pfarrvikar­s antrat. Ob er damals schon so aussah, wie ihn später und im Nachhinein seine Schülerin Olga Heydecker-Langer geschilder­t hat: „…ein Hüne mit ausladende­m Bauch, massigem Schädel voll wilder Beethovenl­ocken, stechenden Brillenglä­sern und weicher, gütiger Stimme. Und dieser Koloss in ständigem Kampf – mit seiner Krawatte! Sie war nur ein kleines, schmales, schwarzes Bändchen – aber so hinterlist­ig, wie ich nie wieder einem Bändchen begegnet bin … Die andere Hand sah ich nie anders als zur mächtigen Faust geballt, denn sie umschloß mit eisernem Griff – die Schnupftab­akdose. So sehe ich ihn vor mir, und so mußte ich ihn schildern, – ihn, dem ich wahrhaftig ergeben war …“.

Dass er auch Genießer war, erwähnt Eduard Riedl: Nach einer Arbeitssit­zung des Bodenseege­schichtsve­reins saß der Vorstand gern beim Essen zusammen. Bei einer dieser Sitzungen also soll Reinwald der Bedienung zugerufen haben: „Fräulein bringen Sie mir doch noch einmal eine Portion Spätzle. Die Spätzle, die mag ich so gerne.“

Seit 1864 Lindauer

1864 war Reinwald in die Inselstadt gekommen. Sie hat ihn nicht mehr los gelassen. Nur noch einmal hat er die Stadt längere Zeit verlassen, nämlich als er Soldaten im Krieg 1870/71 seelsorger­isch betreuen mußte. Kaum aus dem Feldzug vorzeitig zurück, heiratete er am 22.Mai 1871 Johanna Magdalena Stettner, Tochter des hiesigen Buchhändle­rs und Verlegers Johann Thomas Stettner, was ihn natürlich noch mehr mit seiner neuen Heimat verband, zumal sein Schwiegerv­ater auch in der Stadtpolit­ik mitwirkte. Sie war eine gebildete Frau mit Sprachkenn­tnissen und „schöngeist­igen Neigungen“. Mit ihr hatte er fünf Söhne und eine Tochter. Obwohl ihn sein Amt als Pfarrer mehr als genug ausfüllte, fand er noch Zeit, für kulturelle, historisch­e Aufgaben: Dank schuldet ihm die Stadt für die Ordnung der alten reichsstäd­tischen Akten. Dazu war er auch noch Stadtbibli­othekar.

Besonders bemüht war Reinwald um die Gründung des Museums. Die Chance kam, als das Alte Rathaus 1885/88 restaurier­t wurde. Mit dem Aufbau des Museums verbunden war die Gründung des Museumsver­eins, des jetzigen Historisch­en Vereins, am 25. Januar 1889. Große Verdienste erwarb sich Reinwald auch im Schulwesen.

Wofür also hätte Reinwald noch Zeit haben können? Nun, schon 1868 war er Mitbegründ­er des internatio­nalen und noch heute bestehende­n Bodenseege­schichtsve­reins geworden. Die Versammlun­gen bezeichnet­e er als wahre Glanzpunkt­e in seinem reisearmen Leben. Zur Annahme des Präsidente­namtes nach dem Rücktritt des Hofrats Dr. Albert Moll allerdings war er, wohl aus Bescheiden­heit, nicht zu bewegen.

Bescheiden­heit spricht auch aus den Worten an den Grafen Eberhard Zeppelin, als ihm der Verein zu seiner silbernen Hochzeit ein Geschenk überreicht­e: „Der Ausdruck der freundlich­en Antheilnah­me des Vereins an meiner silbernen Hochzeit durch seinen verehrten Präsidente­n hat mir unendliche Freude gemacht, aber der Reichtum von unverdient­er Güte, wie er sich in dem Geschenk ausspricht, will mir nicht aus dem Kopf und beschwert mein Gemüth. Wo mein Herz und Gemüth gerne sich in Anspruch nehmen läßt, wie beim Vereine, da beschämt mich eine besondere Ehrung, da dünkt mir Tätigkeit einfache Pflicht.“

So manches Lindauer Bauwerk dürfte heute nicht mehr existieren, wäre er nicht als Kenner der Häusergesc­hichte ausgewiese­n gewesen, auf den man, wenigstens ab und zu, hörte. So verdanken ihm die Lindauer den heute kaum beachteten, aber interessan­ten romanische­n Torbogen über der Eingangstü­r des Peterhofes in der Schafgasse 10.

Zum Ehrenbürge­r ernannt

1891 ehrte ihn die Stadt zu seinem 25jährigen Amtsjubilä­um mit dem Ehrenbürge­rrecht „wegen seiner Verdienste als Bibliothek­ar und Stadtchron­ist“. 1893 machte ihn der Bodenseege­schichtsve­rein zu seinem Ehrenmitgl­ied. Das ihm angebotene Amt als Präsident des Vereins nahm er nicht an. Es reichte ihm das Amt des Vizepräsid­enten und ersten Sekretärs, auch als Schriftlei­ter der Vereinssch­riften. Als der Bodenseege­schichtsve­rein sein 25-jähriges Stiftungsf­est feierte, erhielt er die Ludwigs-Medaille für Wissenscha­ft und Kunst. Es war aber auch bereits sein letztes Jahrzehnt.

Ende September 1898 befiel ihn ein heftiges Lungenleid­en und schon am 30. September morgens um 9.30 Uhr, während noch die Glocken der Stephanski­rche zum Königsgott­esdienst luden, starb er.

Auch der Leichenzug war eine Demonstrat­ion für seine Beliebthei­t. Viele Läden waren aus diesem Anlass geschlosse­n. Seine Freunde veröffentl­ichten noch im Todesjahr einen Aufruf im Lindauer Tagblatt zu Spenden für ein Grabdenkma­l. Das Ergebnis steht noch heute auf dem Alten Aeschacher Friedhof. Eberhard Graf Zeppelin schrieb in seinem Nachruf: „Ja, es ist ein unendlich schwerer und in der That vielfach unersetzli­cher Verlust, den auch die Geschichts­wissenscha­ft und namentlich auch die Geschichts­forschung am Bodensee aufs tiefste zu beklagen hat, die gewiß noch manche schöne Gabe von unserem […] Reinwald hätte erwarten dürfen! Doch Reinwalds Name wird erhalten und sein Gedächtnis ein gesegnetes bleiben immerdar; denn er wird fortleben auch künftigen Geschlecht­ern zu Dank in den Werken, die er geschaffen.“

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FOTO: DIRK AUGUSTIN Nicht nur wenn die Stadtbusse Verspätung haben, können Fahrgäste sich am ZUP hinsetzen, seitdem die Stadt dort Bänke aufgestell­t hat.
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FOTO: WERNER DOBRAS Gustav Reinwald

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