Wer den Ball hat gewinnt
Spanien demütigt Vizeweltmeister Kroatien 6:0 (3:0) – mit einem Fußball, der schon als passé galt
MADRID (dpa/fil) – Wie schnelllebig der Fußball sein kann, musste Zlatko Dalic schmerzhaft erfahren. „Das war die schlimmste Nacht meiner Karriere“, sagte der sichtlich deprimierte Trainer von Vize-Weltmeister Kroatien nach dem ersten Auftritt seiner Mannschaft nach der WM. „Das ist inakzeptabel, dass wir uns so verkaufen“, sagte Kapitän Luka Modric, soeben zu Europas Fußballer des Jahres gewählt. Und weiter: „Aber wir sollten positiv bleiben und unsere Lehren daraus ziehen. Ich glaube, dass das nie wieder passieren wird.“
Besser wäre es: Das 0:6 (0:3) in der Nations League in Spanien bedeutete die höchste Niederlage in der Geschichte des kroatischen Fußballverbandes. Die Vizeweltmeister um Modric waren in Elche regelrecht demontiert worden. Und das von einer Mannschaft, die in Russland zunächst einen chaotischen Trainerwechsel erlebt und sich anschließend schon im Achtelfinale gegen den Gastgeber sang- und klanglos verabschiedet hatte.
Auch wegen des frühen Ausscheidens der Spanier (und des Desasters der DFB-Elf) und des Triumphzuges der Kroaten war daraufhin von vielen – und beileibe nicht nur selbsternannten – Experten das Ende des Ballbesitzfußballs proklamiert worden. Schließlich ist Kroatien der Inbegriff der kompromisslos jagenden Kontermannschaft. Und jetzt das: 71 Prozent Ballbesitz hatte Spanien am Dienstag, 832 Pässe spielten die Iberer, wovon 94 Prozent auch den Mitspieler erreichten (Kroatien: 347 Pässe und 87 Prozent Passquote), 16 Torschüsse gaben die Spanier ab, dazu kamen acht Ecken (Kroatien null) und eben sechs Tore.
Sechs Spieler von Real Madrid in der Startelf
So tot ist also der Ballbesitzfußball! Und so kurzlebig der Fußball. „Heute war ein spektakulärer Tag, den wir so nie erwartet hätten“, sagte Spaniens neuer Nationaltrainer Luis Enrique. Die Fans bejubelten den Trainer, der aus der Ballbesitzschule des FC Barcelona stammt, bei dessen erstem Auftritt vor heimischem Publikum.
Dabei war die Verpflichtung Enriques als Nationalcoach von einigen voller Argwohn beobachtet worden. Es wurde vor allem in Madrid befürchtet, dass der Ex-Barcelona-Trainer den Katalanen den Vorzug geben würde. Doch Enrique überraschte alle: Mit Dani Carvajal, Nacho, Isco, Sergio Ramos, Dani Ceballos und Marco Asensio lief die Selección erstmals seit 2002 wieder mit sechs Profis von Real Madrid auf. „Wenn Spanien so spielt, ist es kaum zu stoppen“, warnte Enrique die Konkurrenz.
Saúl Ñíguez (24.), Marco Asensio (33.), Lovre Kalinic per Eigentor (35.), Rodrigo (50.), Sergio Ramos (57.) und Isco (70.) machten die Tore für die wie entfesselt aufspielenden Spanier.
„Der kolossale Auftritt des Teams von Luis Enrique öffnet wieder die WM-Wunde“, schrieb Kolumnist Elías Israel in „AS“. Es werde allen klar, was für eine Chance man mit „all diesen Superkickern verpasst“habe. Auch „El Mundo“haderte mit dem Schicksal: „Wenn die WM nur jetzt wäre“, lautete am Mittwoch die Schlagzeile des Blattes.
In Kroatien machte sich dagegen Ernüchterung breit. „Guten Morgen Kroatien! Ein schmerzhaftes Erwachen nach dem größten Scheitern der Geschichte“, kommentierte die Zeitung „Jutarnji List,. „vor zwei Monaten haben wir ein Märchen erlebt, aber diese Niederlage war eine Bruchlandung.“Das Boulevardblatt „24Sata“urteilte, das Debakel werde möglicherweise „helfen, auf den Boden zurückzukehren“. Die Zeitung „Vecernji List“titelte „Schock in Elche“und sah „eine spanische Lektion für den Vize-Weltmeister“.
„Wir haben gar nichts gezeigt und waren nicht einmal ein Schatten des Teams, das wir noch vor Kurzem waren“, sagte Dalic, der sechs Spieler aus dem gegen Frankreich verlorenen WM-Finale (2:4) in der Startformation aufgeboten hatte.„So ist das Leben, das müssen wir akzeptieren. Nach großer Euphorie kommt manchmal eine Tragöde. Aber wir dürfen hier nicht herumsitzen und weinen, sondern müssen uns auf das vorbereiten, was als nächstes kommt.“