Lindauer Zeitung

Fräulein Smillas Gespür für die Leine

Im August bot der Ponyfahrst­all Schmid Kutschfahr­tkurse an – 13-jährige Schülerin bestand die Prüfung auf Anhieb

- Von Luisa Gruber

WASSERBURG - Seit drei Jahren bietet Josef Schmid am Ponyfahrst­all in Wasserburg verschiede­ne Lehrgänge und Abzeichen zum Kutschenfa­hren an. Zum Abschluss der Sommerferi­enkurse fand Ende August die Prüfung zum Kutschenfü­hrerschein statt. Mit dabei war dieses Mal auch die 13-jährige Smilla Kramer. Für sie ist das Kutschenfa­hren viel mehr als nur eine Pferdespor­tart.

„Vorsicht Leine“, ruft Smilla, während sie die hellbraune Leine quer über die Rücken der beiden dunkelbrau­nen Ponys wirft. Die spitzen Ohren der Tiere drehen sich nach hinten, sie erkennen ihre Stimme. Smilla geht um die Ponys herum, bückt sich und zieht die Schlaufen des schwarzen Ledergesch­irrs ein letztes Mal fest. Dann stellt sich Smilla neben das links stehende Pferd und sortiert die hellbraune Leine auf ihrem linken Unterarm. Die Augen immer noch auf die Ponys gerichtet, steigt sie auf die Kutsche und lässt sich geräuschlo­s auf dem braunen Ledersitz nieder. Mit ihrer rechten Hand löst sie die Bremse, greift nach der langen Peitsche und nickt dem Mann neben ihr zu. Die Prüfung kann beginnen.

Zwei- bis dreimal die Woche kommt Smilla nach der Schule zum Ponyfahrst­all Schmid. Um die Tiere zu bürsten, zu reiten oder auch einfach nur, um mit ihnen zu reden. „Die Ponys verstehen einen, sie sind wie Freunde“, sagt Smilla. Nach zwei Jahren kennt sie alle Ponys am Hof inund auswendig. Smilla weiß, was ihr Lieblingsf­utter ist, wo sie am liebsten gekrault werden und wovor sie Angst haben. Ein Pony fürchtet sich vor Gullidecke­ln, eines erschrickt jedes Mal, wenn es die Bremse eines Lastwagens hört. Für das Kutschenfa­hren ist dieses Wissen extrem wichtig. Nur so versteht Smilla die Reaktionen der Tiere und weiß, wie sie reagieren soll. „Wenn die Ponys schneller werden, gebe ich ihnen Leine und rede beruhigend auf sie ein. Druck würde nur Gegendruck erzeugen“, sagt die 13-Jährige.

Ponys sind dickköpfig

Kurz vor Beginn ihrer Prüfung erzählt Smilla, dass die Ponys bei der letzten Übungskuts­chfahrt nicht mal vom Platz gehen wollten. Dann aber erscheint ein Lächeln auf ihrem Gesicht, und sie zuckt mit den Schultern: „Sie haben eben ihren eigenen Kopf.“Dieses Mal muss Smilla aber nur leicht an den braunen Zügeln ziehen, schon setzen sich die beiden Ponys in Bewegung und steuern die Straße an. Ein rotes Auto überholt die Kutsche mit der dreifachen Geschwindi­gkeit, an einer Kreuzung nimmt ein Fahrradfah­rer der Kutsche die Vorfahrt. Smilla aber hält die Zügel locker in der Hand und murmelt den Tieren immer wieder beruhigend­e Worte zu. Hin und wieder schwingt sie die Peitsche leicht gegen die Bäuche der Ponys. „Das ist keine Geißel, sondern wie ein Dirigenten­stab“, erklärt der Prüfer Alwin Kunz. Beim Reiten werde das Pferd immer leicht mit den Füßen in die Seite getreten, beim Kutschenfa­hren übernehme das die Peitsche.

Wenn Smillas Blick nicht gerade über ihre rechte Schulter wandert, um den Straßenver­kehr zu kontrollie­ren, ruht er auf den Pferden. Sobald die Kutsche langsamer wird, hebt Smilla den Arm, das Bremslicht der Pferdekuts­che. „Vorausscha­uendes Fahren ist sehr wichtig“, erklärt der Prüfer Alwin Kunz. „Man muss reagieren, bevor das Pferd überhaupt anfängt zu denken.“Schon nach zehn Minuten Fahrt gibt Kunz das Zeichen zum Wenden. „Bestanden. Ich sehe ja, Smilla hat alles im Griff.“

Tägliche Übung

Vier Wochen lang übte Smilla fast täglich für den Kutschenfü­hrerschein. In den vergangene­n Sommerferi­en lernte sie bereits alles Wichtige rund ums Pferd, und obwohl sie die Kutsche erst mit 18 Jahren allein fahren darf, wollte sie jetzt schon weitermach­en. Abends las Smilla das über hundert Seiten dicke Theoriebuc­h, untertags übte sie mit drei anderen Kindern am Fahrlehrge­rät. An dem langen, Balken mit unterschie­dlichen Seilen und Gewichten konnte Smilla die unterschie­dlichen Griffe und Abfolgen ausprobier­en, bis sie die Bewegungen irgendwann auswendig konnte. „Das nahm sehr viel Zeit in Anspruch. Aber das ist es mir wert“, sagt Smilla. Nach einigen Trockenübu­ngen durfte sie dann mit der Kutsche den ganzen Lindauer Umkreis abfahren, Schmid dabei immer an ihrer Seite.

Er selbst fuhr für seinen Kutschfahr­tlehrgang nach Norddeutsc­hland, um dort vom deutschen Meister im Viergespan­n zu lernen. Früher arbeitete Schmid als Elektromei­ster und bildete Lehrlinge aus, heute hat er sein Hobby zum Beruf gemacht. Die Kurse zehren zwar manchmal an seiner Geduld, gleichzeit­ig sind sie aber Schmids Leidenscha­ft. Deshalb sieht er auch sehr schnell, „wer ein Händchen dafür hat“. Und er ist überzeugt: „Smilla hat es.“Ob Smilla aber in den kommenden Ferien auch noch das nächsthöhe­re Abzeichen machen will, weiß sie noch nicht: „Eigentlich reite ich dann doch lieber, als auf der Kutsche zu sitzen.“

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FOTOS: LUISA GRUBER Kurz vor ihrer praktische­n Prüfung ist Smilla sehr aufgeregt.

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