Vision wird zur Erfolgsgeschichte
Ernst Wirthensohn ist der Vater der erfolgreichen regionalen Biomarke „Von Hier“
KEMPTEN/BUCHENBERG (mun) Das war der Anfang der „Von Hier“Erfolgsstory: Vor über 20 Jahren nahm der freiberufliche Landwirtschaftsberater Ernst Wirthensohn aus dem Oberallgäuer Buchenberg einen Zirkel zur Hand und zog auf einer Landkarte einen maßstabgetreuen 100-Kilometer-Radius rund um Kempten. Warum ausgerechnet 100 Kilometer als regional gelten? Man habe auch die Obst- und Gemüsebauern im Bodenseegebiet und in Oberschwaben mit einbeziehen wollen“, erläutert Wirthensohn, der demnächst 80 Jahre alt wird.
Der Buchenberger hatte zwei grundsätzliche Überlegungen im Kopf: Die Marke „Von Hier“sollte für hochwertige Lebensmittel aus regionaler Herkunft stehen, die biologisch erzeugt werden. Wer als Landwirt für diese Bioschiene produzieren will, muss einem anerkannten biologischen Anbauverband wie Bioland, Naturland oder Demeter angehören. Der Aufbau des regionalen Bio-Programms war zunächst einmal innerhalb der Lebensmittelhändler-Familie Feneberg nicht unumstritten. Doch Hannes Feneberg, Geschäftsführer der Feneberg Lebensmittel GmbH, habe sich durchgesetzt und gemeinsam entwickelten sie die neue Marke. Heute bezeichnet Landwirtschaftsberater Wirthensohn Hannes Feneberg als einen „Visionär und klugen Strategen“.
Dabei war der Aufbau der Marke alles andere als leicht und die schrittweise Erweiterung der Produktpalette stieß immer wieder an Grenzen. Die Suche nach Fleischproduzenten erwies sich als schwierig und die Bauern mussten zunächst davon überzeugt werden, dass biologische Mutterkuhhaltung lukrativ sein kann. Heute produzieren insgesamt 600 Landwirte für „Von Hier“, in 80 Feneberg-Geschäften werden die regionalen Bio-Lebensmittel angeboten. Die Palette umfasst 400 Produkte. „Von Hier deckt heute 80 Prozent des bundesdeutschen Warenkorbs ab“, sagt Wirthensohn. Inzwischen bestreitet Feneberg zehn Prozent des Lebensmittel-Umsatzes mit Produkten dieser Marke. Jedes zweite verkaufte Ei wurde nach den strengen „Von Hier“-Richtlinien produziert, 25 Prozent des Rindfleischs. Das Wachstum geht ungebremst weiter. Längst gilt die Marke als ein Modell für den Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft in Europa. Nur wenn bäuerliche Familienbetriebe überleben, bleibe unsere Kulturlandschaft erhalten, sagt Wirthensohn.
Als Staatsdiener angefangen
Dabei hatte der berufliche Werdegang des „Von Hier“-Ideengebers ganz anders begonnen: Am Amt für Landwirtschaft in Kempten und als Lehrer in der Landwirtschaftsschule war er gewissermaßen Staatsdiener. Doch zunehmend legte er sich mit den Befürwortern der offiziellen Agrarpolitik an. Dem Prinzip „Wachsen oder Weichen“wollte er nicht folgen, sondern für den Erhalt bäuerlicher Familienbetriebe kämpfen. Noch wirtschafteten wenige BioBauern in einer Nische, doch Wirthensohn witterte deren große Chance und wurde Gründungsmitglied des Biorings Allgäu. Als führende CSU-Politiker schließlich vom Landwirtschaftsministerium forderten, Wirthensohn in einen anderen Teil Bayerns zu versetzen, zog er selbst die Konsequenzen. Er quittierte den Staatsdienst und wurde von 1984 bis 1988 Bildungsreferent beim Bund Naturschutz. „Das war die produktivste Zeit meines Lebens“, sagt er rückblickend.
Auch in der spärlichen Freizeit beschäftigte sich der Nebenerwerbslandwirt mit dem ökologischen Landbau, mit den Problemen Flächenfraß und dem überzogenen Wachstumsdenken. „Zipfelmüllers Albtraum“hieß ein Theaterstück, das die Naturschützer auf die Bühne brachten. Es ging um den geplanten Bau einer Autobahn zwischen Kempten und Lindau, der schließlich nicht zustande kam.
Wirthensohn gilt auch als geistiger Vater des Ökomodells Hindelang, das als enge Verzahnung von biologischer Landwirtschaft und Tourismus bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Und was treibt ihn heute gedanklich um? „Wenn sich die Bio-Billigschiene in den Discountern durchsetzt, dann war alles umsonst“, antwortet er. Da würden die Waren unkontrolliert global bezogen. Sein Credo: „Bio muss auch regional sein“– eben von hier.