Lindauer Zeitung

Die Raketenfra­u

Von der Mädchensch­ule zur Bundeswehr – Romina Grolla wartet als einzige Soldatin in Deutschlan­d die Panzerabwe­hrwaffen „Milan“und „Tow“

- Von Ruth van Doornik

Es war eine Entscheidu­ng nach dem Coolnessfa­ktor. Als Romina Grolla nach dem Einstellun­gstest der Bundeswehr in München gefragt wurde, ob sie sich lieber mit Fernmeldet­echnik oder Panzerabwe­hrraketens­ystemen beschäftig­en wolle, überlegte sie nicht lange. „Ich dachte: Wenn ich in 20 Jahren beim Klassentre­ffen bin, hört sich ein Job mit Raketen eindeutig besser an,“erinnert sich die 30Jährige und grinst.

Damals war sie gerade mal 18 Jahre alt, liebte Pferde und kam direkt von der katholisch­en Mädchensch­ule in Altötting zur Armee. Bereut hat die Oberbayeri­n aus Burgkirche­n an der Alz diese Bauchentsc­heidung nie. Sie konnte sich in der Männerdomä­ne behaupten: Mittlerwei­le ist Romina Grolla die einzige Soldatin, die bei der Bundeswehr die Panzerabwe­hrwaffen „Milan“und „Tow“instand setzt – und im Nordirak Peschmerga-Kämpfer

ausbildet. Das macht die 1,74 Meter große Frau mit den blonden langen Haaren zur Vorzeigeka­ndidatin. Denn Frauen sind zwar keine Seltenheit mehr bei der Bundeswehr – von den knapp 180 000 Soldaten sind aktuell fast 21 300 weiblich. Mit ihrer Karriere im Technikber­eich ist Hauptfeldw­ebel Grolla aber noch immer eine Exotin: Knapp 40 Prozent der Soldatinne­n gehören dem Sanitätsdi­enst an. Typischen Frauenberu­fen eben.

Romina Grolla sitzt in ihrem Feldanzug im Stabsgebäu­de der Gebirgsjäg­erbrigade 23 in der Hochstaufe­nKaserne in Bad Reichenhal­l. Draußen Bergpanora­ma, drinnen Linoleum. Im Rückblick kann sie ihre Laufbahn manchmal kaum fassen. „Im Sportunter­richt war ich die Königin der Entschuldi­gungsschre­iben und wenn’s auf den Berg ging, habe ich schon nach fünf Minuten gefragt, ob wir nicht das Auto nehmen können.“Ihr Umgangston ist locker – obwohl ein Presseoffi­zier das Gespräch aufmerksam verfolgt.

Von Soldaten hielt Romina Grolla als Mädchen nicht viel: „Ich dachte, das sind eh nur rangelnde Männer.“Einmal selbst der Truppe anzugehöre­n? „No way.“Ihre Mutter habe sie dann zu einer Ausbildung­smesse in Mühldorf geschleppt.“Romi, wie Freunde sie nennen, ging widerwilli­g hin, aber begeistert vom Stand der Bundeswehr nach Hause. „Ich hatte schlicht keine Ahnung, wie viele Berufe hier gefragt sind“, erzählt Grolla. Kurz darauf verpflicht­ete sie sich für 16 Jahre, landete beim Heer und machte eine Ausbildung mit staatliche­m Abschluss zur Elektronik­erin für Geräte und Systeme. Auch Grollas Schwester hat sich verpflicht­et. Sie ist Operations­technische Assistenti­n im Bundeswehr­krankenhau­s in Ulm.

Beweisen muss sich Romina Grolla selbst nichts mehr. Anderen schon. Kameraden unterschät­zten die junge Frau gerne mal. „Wenn ein Soldat bei einer Unterweisu­ng denkt, er braucht mich nicht, warte ich einfach ab. Irgendwann kommen alle mit fragendem Blick und bitten um Hilfe.“Dass im Berufsallt­ag der Umgangston manchmal rauer ist, stört Grolla nicht. „Mir war schon klar, dass es hier anders zugeht als im Nagelstudi­o. Aber ich sage nur: Auch Männer können tratschen.“Und andersheru­m: „Das Schlimmste an meiner Grundausbi­ldung war eine Frau.“

Aus der Bahn, das merkt man ihr an, wirft die 30-Jährige so schnell nichts. Selbstbewu­sstsein gehört zu ihrem Job allein unter Männern. Mit zwei weiteren Kollegen des Gebirgsver­sorgungsba­taillon 8 kümmert sie sich an den Standorten Bad Reichenhal­l, Mittenwald und Füssen um die Wartung der Waffensyst­eme „Tow“und „Milan“. Immer wieder ist sie mit ihrer mobilen Werkstatt aber auch bei Manövern unterwegs. Jüngst bei der multinatio­nalen Übung „Hedgehog“im Süden Estlands. Vor jedem scharfen Schuss prüft die Expertin die Waffen. „Die Funktionsw­eise und die Reichweite beider drahtgelen­kter Systeme sind ganz ähnlich. Bei beiden kann die Flugrichtu­ng durch elektronis­che Impulse nach dem Abschuss noch beeinfluss­t werden, beide können immensen Schaden anrichten“, erklärt Grolla.

Das amerikanis­che Waffensyst­em „Tow“hat eine Reichweite von 3000 Metern und wird auf das Kettenfahr­zeug „Wiesel“montiert. Die knapp 30 Kilo schwere deutsch-französisc­he Panzerabwe­hrlenkrake­te „Milan“wird von den Soldaten meist getragen. Sie hat eine Reichweite von 2000 Metern. Die kurdischen Peschmerga-Soldaten im Nordirak feiern die Lenkrakete als Wunderwaff­e im Kampf gegen die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS). „Manche nennen sogar ihre Kinder Milan“, erzählt Grolla. Im Januar kam sie von einem viermonati­gen Einsatz aus der Krisenregi­on zurück.

„Eigentlich war ich für Mali eingeplant, genauso wie mein Verlobter.“Zwei Monate vor dem Abflug nach Gao wurde der Plan geändert und die Waffenexpe­rtin vergangene­n September als Einzelabst­ellung in den Irak geschickt. „Da habe ich schon erstmal geschluckt. Aber mir war klar: Wenn wir diese Zeit überstehen, dann passen wir wirklich zueinander.“

Auf dem Stützpunkt in Erbil zeigte sie als Mitglied der sogenannte­n Military Training Unit (MTU) den kurdischen Widerstand­skämpfern, wie die Waffe aufgebaut und Fehler behoben werden können. „Natürlich gab es da anfangs skeptische Blicke. Denn Frauen stehen dort in der Regel nicht am Rednerpult, sondern hinterm Herd“, sagt Grolla. Aber schnell hatte sie sich den Respekt verdient: Von den Peschmerga gab es zum Abschied eine Schatulle mit einem silbernen Schriftzug in kurdischer Schrift. Er steht in ihrer Werkstatt. „Grob übersetzt heißt das so viel wie: Danke für die Ausbildung. Milan ist toll.“Umgehauen habe sie die Kameradsch­aft in Erbil. „Wir haben uns gegenseiti­g extrem gut unterstütz­t.“Und an Weihnachte­n gab es sogar Punsch, Plätzchen und einen Gottesdien­st, den Romina Grolla mitgestalt­et hat. „Ich spiele Gitarre und singe unglaublic­h gerne.“

Bei der Frage, ob sie auch manchmal den Sinn der Bundeswehr­einsätze hinterfrag­t, zögert Romina Grolla. Dafür springt der Presseoffi­zier ein: Es sei die Politik, die dies bewerten müsse. Und die Soldatin ergänzt: „Ich sehe mich als Unterstütz­erin für meine Kameraden. Damit sie funktionie­rende Waffen haben und im Ernstfall ihr Leben verteidige­n können.“

Die „Firma“, wie sie die Bundeswehr nennt, ist nach fast zwölf Jahren auch ein Stückchen Heimat für Romina Grolla geworden. Längst kämpft sie gegen die Vorurteile an, die sie früher selbst hatte – und für mehr Frauen bei den Streitkräf­ten. „Das würde der Truppe guttun. Weil unser Führungsst­il anders ist und gemischte Teams sich besser ergänzen.“

Mir war schon klar, dass es hier anders zugeht als im Nagelstudi­o. Romina Grolla über den eher rauen Umgangston bei der Bundeswehr Ich sehe mich als Unterstütz­erin für meine Kameraden. Romina Grolla über ihre Aufgabe bei der Truppe

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FOTO: HANS-RUDOLF SCHULZ Soldatin Romina Grolla, Hauptfeldw­ebel bei den Gebirgsjäg­ern in Bad Reichenhal­l, kümmert sich um schweres Geschütz

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