So schaffen Motorradfahrer den Wiedereinstieg
Beschleunigung und technische Details moderner Motorräder übersteigen die Erfahrung bei Weitem
BERLIN (dpa) - Kinder, andere Hobbys oder Zeitmangel – Gründe für Motorradfahrer, den Helm abzusetzen und lange zu pausieren, gibt es viele. Doch was, wenn sie danach wieder aufsteigen wollen? Die Situation bei einem Wiedereinsteiger nach vielleicht mehr als 20Jahren Abstinenz sei kaum verschieden von der bei einem kompletten Neueinsteiger, meint Thilo Kozik. Beschleunigung sowie technische Details moderner Motorräder überstiegen die weit zurückliegende Erfahrung bei Weitem, so der Motorradjournalist und Autor des Magazins „Tourenfahrer“.
„Motoren, aber auch Bremsen sind heute viel potenter“, sagt Kozik, der jedem Wiedereinsteiger deshalb ein Fahrertraining ans Herz legt. Solche Trainings, speziell auch für Wiedereinsteiger, bietet zum Beispiel der ADAC an. Das Institut für Zweiradsicherheit (ifz) könne als Informationsquelle für weitere derartige Angebote dienen. Auch Ralf Schefzig vom Auto Club Europa (ACE) empfiehlt, „auf freiwilliger Basis zwei, drei Stunden zu buchen, vielleicht in einer Fahrschule, um nach einer langen Pause wieder ein Gefühl für das Motorradfahren zu entwickeln“. Dabei könne man sich an neue Techniken gewöhnen, so der Motorradtrainer, etwa ans Bremsen mit ABS.
Im Schonraum ausprobieren
„Wer 20, vielleicht 30 Jahre nicht gefahren ist, sollte vielleicht sogar erst einmal im Bekanntenkreis schauen, ob dort jemand eine Maschine besitzt“, sagt Ralf Birnbaum. Damit lässt sich im Schonraum, etwa auf einem Parkplatz, mal eine Runde fahren, so der Referent Motorrad beim Fahrlehrerverband Nordrhein.
Wer dann eine neue Maschine braucht, sollte sie mit Augenmaß aussuchen. So sei das seit Jahrzehnten in Deutschland beliebteste Motorrad, die Reise-Enduro BMW R 1200 GS, kein geeignetes Modell für Wiedereinsteiger, sagt Kozik. „Viel zu groß und viel zu schwer“, so sein Urteil. Für Schefzig ist „Grundvoraussetzung, dass man mit beiden Füßen einen sicheren Stand hat“. Eine Enduro mit einer Sitzhöhe von um die 900 Millimeter beispielsweise sei daher für einen Fahrer von 1,75 Metern Körpergröße sicher nicht das Richtige.
Und auch von einem Supersportler, einer Art Rennmaschine für die Straße, rät der Motorradexperte ab. Das sieht auch Birnbaum so. „Eine Suzuki GSX-R 1000 zum Beispiel ist bezüglich ihrer Leistungsentfaltung mit der von ähnlich hubraumstarken Motorrädern etwa aus den 1980erJahren überhaupt nicht mehr zu vergleichen“, warnt er. Grundsätzlich raten alle drei Experten vielmehr zu einem Motorrad, das eine aufrechte Sitzposition erlaubt. „Man sieht mehr und kann vorausschauender fahren“, sagt Kozik.
Das Trio hält Modelle aus dem Segment der Allrounder für besonders geeignet für Wiedereinsteiger. Diese verbinden die Eigenschaften eines Touren- mit denen eines Sportmotorrades und meistern den Alltag, ohne dass der Fahrspaß dabei zu kurz kommen würde. Eine Honda NC 750 S oder eine Yamaha MT-07 könne man hier ebenso nennen wie „eine Kawasaki Z 650, deren Vorgängerin, die Kawasaki ER-6, ein sehr beliebtes Fahrschulmotorrad ist“, so Kozik.
Alle gängigen Marken haben solche Modelle im Portfolio, die bisweilen optisch auch dem aktuellen Retro-Trend folgen. „Das bietet den Vorteil, dass sich der Wiedereinsteiger umgehend heimisch fühlt, weil er diese Art von Motorrad noch gut kennt“, sagt Schefzig. Dennoch müsse er nicht auf die neueste Technik wie zum Beispiel ABS verzichten. Das kann für Bikes wie Moto Guzzi V7 oder Ducati Scrambler sprechen.
Nicht in Jeans aufs Bike
Wichtig: „Zuverlässige Schutzkleidung von Beginn an ist das A und O“, mahnt Schefzig. Er warnt eindringlich davor, ausgerechnet an dieser Stelle zu schludern. Ein Helm mit Sicherheitszertifizierung, Handschuhe, Jacke und Hose, ob nun aus Leder oder Textil, sollten ebenso zur Grundausstattung zählen wie Motorradstiefel. Denn „spiele ich Tennis, greife ich ja auch zum Tennisund nicht zum Federballschläger“, sagt Birnbaum. Also solle man sich auch nicht in Jeans und Blouson aufs Motorrad setzen, sondern ausgewiesene Motorradbekleidung mit entsprechenden Protektoren wählen, die bei einem Sturz entsprechend schütze. Denn vor einem Sturz sei gerade der Wiedereinsteiger nicht gefeit.